Den Gastronomen fehlt es an Personal

In der Coronakrise war die Bewirtungsbranche schon einigen Belastungen ausgesetzt. Jetzt haben die Kneipen, Restaurants und Cafés mit einem anderen Problem zu tun: Die Gäste kommen in Scharen, aber die notwendigen Servicekräfte sind ausgerechnet in der Sommersaison rar.

Auch Simone Hilt, die Betreiberin des Gasthauses „Zum Löwen“ in Backnang, weiß ein Lied vom Personalmangel zu singen. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Auch Simone Hilt, die Betreiberin des Gasthauses „Zum Löwen“ in Backnang, weiß ein Lied vom Personalmangel zu singen. Foto: A. Becher

Von Bernhard Romanowski

Backnang. Egal ob drinnen oder draußen: Mittlerweile kann man es sich wieder ordentlich schmecken lassen in den gastronomischen Betrieben, ohne allzu große Einschränkungen durch die Coronabestimmungen in Kauf nehmen zu müssen. Allenfalls das Wetter lässt vielleicht manchmal beim Draußensitzen zu wünschen übrig. Ansonsten aber tun die Gastronomen im Raum Backnang alles, damit sich die Gäste bei ihnen rundum wohlfühlen können – und kommen dabei mitunter an Grenzen. Denn es fehlt mehr und mehr an Personal. Wir haben uns einmal umgehört, wie stark die Betriebe betroffen sind und wie sie damit umgehen.

Dass es an Bedienkräften im Servicebereich fehlt, kann Christos Kiroglou, den in Backnang fast alle nur als Taki kennen, nur bestätigen. „Aber in der Küche haben wir Glück, da können wir auf Leute aus Griechenland zurückgreifen“, so der Betreiber des „Merlin“ in der Backnanger Eberhardstraße. Sein Lokal, das als Club und Restaurant firmiert, erhält in Kürze Verstärkung aus Hellas, wie Kiroglou berichtet: „Wir warten auf eine Köchin. Sie erhält in Kürze die zweite Impfung und kann dann bei uns anfangen.“ Über Facebook im Internet und über Mundpropaganda war er schon häufiger auf der Suche nach Servicekräften. Auch für diesen Arbeitsbereich könnte er Personal aus dem Ausland akquirieren. Nur: „Es fehlt hier in der Region eben an Wohnraum, den ich den Leuten stellen muss. Wenn ich ein Haus hätte, wo ich die Angestellten unterbringen kann, wäre es einfacher.“

Auf der Suche nach Personal für ihr Lokal ist auch Simone Hilt, die das Gasthaus „Zum Löwen“ an der Backnanger Marktstraße in Backnang betreibt. Kein leichtes Unterfangen, wie sie schildert. In ihrem Familienbetrieb agiere man als Team, da müsse jeder seine Funktion erfüllen und aufmerksam schauen, wo gerade was zu tun ist. Es brauche Leute, die „zu den Stoßzeiten eben Gas geben und denen man nicht erst erklären muss, was ein Spezi ist.“ Vor fünf Jahren noch sei es leichter gewesen, motiviertes Personal zu finden, so Hilts Erfahrung. Zumeist seien es Studenten gewesen, die im Servicebereich anheuerten. Vom Stamm ihrer Mitarbeiter seien einige abgesprungen, nachdem ihr Restaurant coronabedingt siebeneinhalb Monate nicht öffnen konnte. Die Versuche, über Facebook oder ein Jobportal im Internet neue Leute anzuwerben, seien nicht sonderlich von Erfolg gekrönt gewesen, so Hilt. Die Motivation der Bewerber sei oft ungenügend. In Kürze werde aber doch eine neue Kraft bei ihr anfangen, freut sie sich. Wenn sie als Betreiberin selbst einmal krank und ausfallen würde, könnte es aber eng werden mit dem Geschäft, so Hilt.

Ein solches Szenario scheint im Restaurant „Joe Peña‘s“ in der Backnanger Schillerstraße schon Realität zu sein. Dort wo sonst mexikanische Küche und leckere Cocktails kredenzt werden, ist die Tür derzeit verschlossen, die Tische draußen sind verwaist. „Liebe Gäste, leider müssen wir Euch mitteilen, dass wir aufgrund von krankheitsbedingten Ausfällen und dem damit einhergehenden Personalmangel das Joe Peña‘s Backnang für eine kurze Pause schließen“, schreibt die Geschäftsleitung des Lokals auf ihrer Facebook-Seite. Sie will allerdings die Kunden der beliebten Einrichtung rechtzeitig informieren, sobald „wir wieder den Betrieb in gewohnter Qualität weiterführen und Euch unser Homemade Mexican Food und beste Cocktails servieren können“, heißt es weiter in dem Internet-Eintrag.

Kurzarbeit mit damit verbundenen Lohneinbußen und Entlassungen sieht Michael Matzke vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband im Rems-Murr-Kreis (Dehoga) als maßgeblich für den Personalmangel in der Branche an. Besonders betroffen von der Coronakrise seien aber die 450-Euro-Kräfte, die keinen Anspruch auf entsprechende Hilfsgelder anmelden können. Sie haben sich zum Teil in andere Branchen orientiert. Der Rückgang der Ausbildungszahlen und die fehlende Wertschätzung der Arbeit in dieser Berufssparte sind laut Matzke ebenfalls nicht zu unterschätzen: „Jetzt braucht man die Leute wieder und versucht sie per Anzeigen oder Instagram und Facebook zurückzuholen.“

Einige Gastronomen reagieren auf den Mangel etwa mit einem zusätzlichen Ruhetag oder verkürzten Küchenöffnungszeiten. Sie müssten sich aber auch fragen, ob das Betriebsklima stimmt und was sie für ihre Mitarbeiter verbessern könnten, so der Dehoga-Beauftragte aus Backnang. Sein Verband fordere schon länger, die Zulassungsbeschränkungen für Arbeitskräfte insbesondere aus dem EU-Ausland zu senken. Indessen sei oft davon zu hören, dass Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, zum Teil noch im zweiten oder dritten Lehrjahr abgeschoben würden. Hier sei die Dehoga dabei, auf die Politik einzuwirken.

Die Backnanger Hotels haben derweil ein anderes Problem, wie es Hendrik Wahl vom Hotel Gerberhof in der Wilhelmstraße schildert. „Das internationale Reisepublikum fehlt“, so Wahl mit Blick auf die coronabedingt stark reduzierten Geschäftsreisen und die abgesagten Messen. An Personal mangelt es demnach nicht, stattdessen blieben viele Zimmer leer. Ob und wann die Geschäftsleute wieder kommen, lasse sich derzeit kaum abschätzen, so der Hotelier.

Den Gastronomen fehlt es an Personal

© Alexander Becher

„Uns fehlen hier die Geschäftsleute“

Hendrik Wahl Hotelier

Gewerkschaft kritisiert Arbeitsbedingungen der Gastro-Branche

Branchenwechsel Im Zuge der Coronapandemie verzeichnen die Hotels und Gaststätten im Rems-Murr-Kreis eine Abwanderung von Fachkräften. Innerhalb des vergangenen Jahres haben im Landkreis rund 700 Köche, Servicekräfte und Hotelangestellte dem Gastgewerbe den Rücken gekehrt – das ist mehr als jeder achte Beschäftigte der Branche, wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unter Berufung auf Zahlen der Arbeitsagentur mitteilt.

Sommerloch „Angesichts weiterer Lockdowns bis in den Mai hinein dürfte sich der Personalschwund bis heute nochmals zugespitzt haben“, befürchtet Hartmut Zacher, Geschäftsführer der NGG-Region Stuttgart. Ausgerechnet in der Sommersaison fehle einem Großteil der Betriebe schlicht das Personal, um die Gäste bewirten zu können.

Kurzarbeit Für die Lage macht der Gewerkschafter insbesondere die Einkommenseinbußen durch die Kurzarbeit verantwortlich: „Gastro- und Hotel-Beschäftigte arbeiten sowieso meist zu geringen Löhnen. Wenn es dann nur noch das deutlich niedrigere Kurzarbeitergeld gibt, wissen viele nicht, wie sie über die Runden kommen sollen.“ Wenn die gut ausgebildeten Fachkräfte in Anwalts- oder Arztpraxen die Büroorganisation übernehmen oder in Supermärkten zwei Euro mehr pro Stunde verdienen als in Hotels und Gaststätten, dürfe es niemanden überraschen, dass sich die Menschen neu orientierten.

Attraktivität „ Unbezahlte Überstunden, ein rauer Umgangston und eine hohe Abbruchquote unter Azubis sind laut Zacher nur einige strukturelle Probleme der Branche. Wer künftig Fachleute gewinnen wolle, müsse umdenken und sich zu armutsfesten Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen bekennen. Dazu seien Tarifverträge unverzichtbar, so Zacher: „Am Ende geht es um einen Kulturwandel. Auch Servicekräfte haben ein Recht darauf, vor dem Dienst zu wissen, wann Feierabend ist. Sie haben Anspruch auf eine anständige Bezahlung – unabhängig vom Trinkgeld. Und auf eine faire Behandlung durch den Chef.“

Lebensqualität Gastronomen, die das Mittagessen so günstig anbieten, dass sie davon das Personal nicht mehr bezahlen können, machten ohnehin etwas falsch. „Viele Gäste sind durchaus bereit, ein paar Cent mehr für die Tasse Kaffee zu bezahlen – gerade jetzt, wo den Menschen bewusst geworden ist, dass der Besuch im Stammlokal ein entscheidendes Stück Lebensqualität ist“, so Zacher.

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Erstellt:
5. August 2021, 06:00 Uhr

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