Der lange Weg zum Coronatest
Jan Vogel erhielt kürzlich eine Warnmeldung der Corona-App auf sein Smartphone und wandte sich an die zuständigen Stellen, um das weitere Vorgehen abzustimmen und einen Test machen zu lassen. Das gestaltete sich schwieriger, als er gedacht hatte.

© Alexander Becher
Die Corona-App ist millionenfach heruntergeladen worden und täglich in Gebrauch. Eine Sicherheitsgarantie ist sie nicht. Fotos: A. Becher/privat
Von Bernhard Romanowski
GROSSERLACH. Als amtierender Schwäbischer Waldschrat und Vorsitzender des Großerlacher Vereins für historisches Handwerk und lebendige Geschichte ist Jan Vogel aus Neufürstenhütte zwar mehr auf die Themen Natur und Geschichte abonniert. Der modernen Technik ist er deshalb aber auch nicht abgeneigt. Der Schutz seiner Gesundheit sowie der seiner Mitmenschen ist Jan Vogel ebenfalls ein Anliegen. So hat er sich auch längst die Corona-Warn-App auf sein Mobiltelefon geladen. Diese von der Bundesregierung kostenlos vertriebene App hilft festzustellen, ob man in Kontakt mit einer infizierten Person geraten ist und daraus ein Ansteckungsrisiko entstehen kann, um so mögliche Infektionsketten schneller zu unterbrechen. Er schildert dieser Zeitung seine jüngste Erfahrung zum Thema Corona-App und zu den Folgen, die sich daraus für ihn ergaben.
Als er am vergangenen Samstagmorgen aufstand, bekam er demnach eine Push-Benachrichtigung auf sein Handy. Er dachte sich erst einmal nichts dabei, ließ sich seinen Kaffee zum Frühstück schmecken und öffnete irgendwann die Corona-Warn-App. „Zu meinem Schrecken tauchte eine in Rot getauchte Warnmeldung auf: Ich hätte eine hochriskante Begegnung mit einem coronainfizierten Menschen gehabt. Sprich, die Begegnung muss nahe und die Dauer mehr als 15 Minuten gewesen sein“, so schildert es Vogel.
Er las dann in der App, welche Schritte er nun unternehmen müsse. Sorglosigkeit war für ihn auch deshalb nicht angebracht, weil zwei Personen aus seinem engeren Kreis an Mitmenschen bereits durch das Coronavirus ihr Leben verloren haben, wie er sagt. Die Informationen in der App seien allerdings eher dürftig gewesen, so die Einschätzung des 38-Jährigen. Ihm wurde angezeigt, er solle seinen Hausarzt, das Gesundheitsamt oder die 116117 kontaktieren, also die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdiensts. Wenn möglich, solle er zu Hause bleiben. Vogel: „Von einer offiziellen Quarantäne war keine Rede. Es war nur ein Rat der App.“
Seine Versuche, jemanden im Gesundheitsamt des Landkreises Rems-Murr zu erreichen, blieben offenbar erfolglos. Es war Wochenende. Weder über die regulären Leitungen, noch über die Coronahotline sei jemand zu erreichen gewesen. Das Gleiche sei ihm dann widerfahren, als er bei seinem Hausarzt anrief. Es blieb also nur, die 116117 anzurufen. „Hier bekam ich nur eine Tonbandansage, dass ich zu Hause bleiben und mich bei Auftreten massiver Symptome in eine Fieberambulanz begeben solle. Es wurde mir weder gesagt, wo eine solche sei, noch, was ich weiterhin tun soll“, so Vogel. Da er nicht auflegte, sei er an die Notfallpraxis nach Backnang weitergeleitet worden, die aber wohl keine Coronaverdachtsfälle annimmt. Er wurde stattdessen – sofern ernsthafte Symptome gegeben seien – an eine Praxis im 54 Kilometer entfernten Schorndorf verwiesen. „Obwohl in Schwäbisch Hall, das gerade mal 20 Kilometer entfernt ist, auch eine Fieberambulanz ist. In Zeiten der Digitalisierung könnte man eigentlich meinen, solche Kreisgrenzen überwinden zu können, aber dem ist wohl leider nicht so“, wundert sich Vogel.
Ebenso verdutzte ihn der Hinweis, dass man solche Warnmeldungen auf der App nicht ganz so ernst nehmen müsse und die einzige Stelle, die aufgrund solcher Warnmeldungen testet, der Wasen in Bad Cannstatt sei. In der Backnanger Praxis wisse man aber nicht, ob da noch getestet werde. Erreichen würde man dort ohnehin niemanden, zumal es auch keine Telefonnummer dazu gebe, zitiert Vogel die Auskünfte aus Backnang.
Das Fragezeichen über seinem Kopf wuchs, er fühlte sich doch etwas verwirrt. Dabei hatte es doch in allen Medien geheißen, man solle die App aufs Handy laden und die Meldungen darin ernst nehmen. Da er zum Glück nur schwache Symptome hatte, die auch auf eine stärkere, nicht coronabedingte Erkältung hindeuten konnten, entschied er sich, bis zum darauffolgenden Montag zu warten. An der Schule, die er derzeit für eine Weiterbildung besucht, nahm man seinen Anruf mit dem Hinweis auf die Warnmeldung der App laut Vogel auch sehr leger auf. „Ja, dann kommen sie heute wohl nicht, oder? Dann müssen Sie sich vermutlich testen lassen, richtig? Mehr kam nicht, und somit war ich für den Tag entschuldigt“, so Vogels Darstellung.
Im Gesundheitsamt wurde ihm beschieden, dass er nirgendwo als Kontaktperson geführt werde.
Daraufhin rief er das Gesundheitsamt des Kreises an. Auch dort habe man ihm gesagt, er müsse die Warnmeldung nicht ganz so ernst nehmen, da es ja sein könne, dass eine Wand zwischen ihm und dem Infizierten war. Er solle seinen Hausarzt anrufen. Wenn der nicht teste, dann möge er sich an eine Schwerpunktpraxis wenden. Vogel versuchte es dann bei drei solcher Schwerpunktpraxen, da sein Hausarzt nicht testet. Erst bei der vierten wurde er angenommen. „Die drei anderen nahmen entweder nur eigene Patienten an oder waren voll. Letzteres ist ja plausibel, doch dass Praxen auf der Seite der Kassenärztlichen Vereinigung als Schwerpunktpraxen angezeigt werden, aber nur eigene Patienten behandeln, kann ich nebenbei gesagt nicht ganz nachvollziehen“, kommentiert Vogel. Für einen Test in der vierten Praxis mussten allerdings zwei Bedingungen erfüllt sein: Krankheitssymptome und der Verdacht auf Kontakt mit einer infizierten Person. Auch in dieser Praxis sei er mit dem Rat bedacht worden, die Warnmeldungen der App nicht zu überbewerten.
Auf dem Parkplatz der Praxis wurde er dann getestet. Seine Frage, ob er bis zum Vorliegen des Ergebnisses in Quarantäne gehöre, wurde ihm zufolge auch hier verneint. „Aus Eigenverantwortung und da es mir nicht wirklich gut ging, erwirkte ich beim Hausarzt eine Krankmeldung, um mich auskurieren zu können und Kontakte zu meiden.“
Er nahm derweil noch einmal Kontakt zum Gesundheitsamt in Waiblingen auf, da er mehrfach gelesen hatte, dass man in der Zeit zwischen dem Test und dem Erhalt des Ergebnisses in Quarantäne gehen müsse. Im Gesundheitsamt wurde ihm aber beschieden, dass er nirgendwo als Kontaktperson geführt werde und das zuständige Ordnungsamt ihn daher auch nicht unter Quarantäne stelle. Seinem Ansprechpartner sei es indessen auch seltsam vorgekommen, dass er nirgendwo als Verdachtsfall geführt werde, berichtet Vogel.„Rein aus Eigenverantwortung habe ich mich nun für den Rest der Woche selbst in Quarantäne gesetzt. Denn wenn dann Montag ist, sind die 14 Tage normale Quarantäne auch vorbei“, meint Vogel, der mittlerweile sein Testergebnis erhalten hat: negativ. Der Großerlacher stellt sich aufgrund seiner jüngsten Erfahrungen die Frage, wieso eine App so stark beworben werde, wenn deren Warnmeldungen dann nicht ernst genommen würden: „Wie sollen wir denn so die Welle brechen? Macht das Virus am Wochenende etwa Pause?“

© Photographer: Messow
Jan Vogel hadert mit der Warn-App.
Von Bernhard Romanowski
Man kann Jan Vogel nur ein großes Lob aussprechen: Der Mann aus Großerlach hat alles richtig gemacht, nämlich: nach Kräften versucht, schnell zu reagieren und seine Mitmenschen vor einer möglichen Infizierung zu bewahren. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er letztlich – und zum Glück – negativ getestet wurde. Seine Verwunderung über manche Abläufe im aktuellen Pandemiegeschehen sind nach seiner Odyssee auf dem Meer der Zuständigkeiten nachvollziehbar – die Argumente des Gesundheitsamts aber auch. Die App und die behördliche Vorgehensweise sind so etwas wie zwei unterschiedliche Stromkreise, die man nicht einfach kurzschließen kann. Denn der Datenschutz ist ein hohes Gut. Daran von staatlicher Seite zu rütteln, würde zu Recht Protest hervorrufen. Die App ist kein amtliches Instrument. Im Kampf gegen das Coronavirus gehört sie in den Bereich Eigenverantwortung. Diese bleibt unerlässlich in dem aktuellen Bemühen, der Pandemie Herr zu werden.
b.romanowski@bkz.de
Wer eine rote Warnung über die Corona-App erhält, sollte diese unbedingt ernst nehmen und sich so verhalten, als hätte man definitiv engen Kontakt zu einem Infizierten gehabt. Die Reduzierung der Kontakte ist hier angeraten.
Der zweite Schritt ist, den Hausarzt zu kontaktieren, um einen Test zu bekommen. Am Wochenende liegt bei den Ärzten jedoch der Schwerpunkt auf den Notfällen (zum Beispiel starke Symptome oder Beschwerden). Das soll auch auf der Homepage des Gesundheitsamts künftig klarer kommuniziert werden, so die Pressestelle des Kreises.
Die Warnung über die Corona-App allein ist in der Tat noch keine Grundlage für eine Quarantäneanordnung (vielleicht liegt hierin ein mögliches Missverständnis). Dies auch vor dem Hintergrund, dass Gesundheitsämter aus Gründen des Datenschutzes gar nicht auf die Daten der App zugreifen dürfen. Daher ist es umso wichtiger, dass Bürger in solchen Fällen von sich aus Kontakte reduzieren – wie im geschilderten Fall geschehen.
Der Rems-Murr-Kreis hat gestern neue Leitlinien für den Umgang mit Coronafällen in Schulen und Kitas herausgegeben (siehe unseren Artikel „Derzeit kein Unterricht an der Grundschule Großerlach“ in dieser Ausgabe). Über die verstärkte Nutzung des neuen Schnelltestzentrums sollen die Arztpraxen und Labore entlastet werden.