Eigentlich das Highlight des Jahres

Der Fastenmonat Ramadan sieht für Muslime das zweite Jahr in Folge anders aus als normalerweise. Statt nach Sonnenuntergang in großer Runde mit Verwandten, Freunden und Bekannten das Fasten zu brechen, geschieht das aktuell nur im kleinsten Kreis.

Pfarrer Jochen Elsner (links) vom evangelischen Kirchenbezirk Backnang übergibt im Namen von Dekan Wilfried Braun einen symbolischen Beitrag zur Ramadan-Kumanya-Hilfsaktion 2021 an Imam Mustafa Caldiran in der Ditib-Eyüp-Sultan-Moschee in Backnang. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Pfarrer Jochen Elsner (links) vom evangelischen Kirchenbezirk Backnang übergibt im Namen von Dekan Wilfried Braun einen symbolischen Beitrag zur Ramadan-Kumanya-Hilfsaktion 2021 an Imam Mustafa Caldiran in der Ditib-Eyüp-Sultan-Moschee in Backnang. Foto: A. Becher

Von Melanie Maier

BACKNANG. Eigentlich wäre Murat Haber gerade jeden Abend irgendwo anders zu Gast: bei seinen Eltern, bei Tanten und Onkeln, Cousins und Cousinen, Freunden oder Bekannten. Und er hätte selbst oft Besuch, würde nach Sonnenuntergang auftischen für das gemeinsame Fastenbrechen. Stattdessen verbringt der 34-Jährige aus Backnang, der Sekretär der Ditib-Eyüp-Sultan-Moschee ist, seine Abende mit seiner Frau und seinem Sohn daheim. „Sozusagen allein“, sagt er, denn Ramadan bedeutet für Muslime in erster Linie Gemeinschaft, Zusammenkommen, das Teilen von Zeit und Speisen. „Ich vermisse das sehr, sehr, sehr“, sagt Murat Haber. „Das war eigentlich immer das Highlight des Jahres.“

2021 ist schon das zweite Jahr, in dem der Fastenmonat anders aussieht als sonst. Hygieneregeln, eingeschränkte Möglichkeiten, sich zu treffen, dazu in diesem Jahr noch die Ausgangssperre. Normalerweise, berichtet Haber, wurde in der Eyüp-Sultan-Moschee während des Ramadans jeden Abend zum Fastenbrechen ein kostenloses Essen ausgegeben, 100 bis 150 Gemeindemitglieder und Bedürftige kamen zusammen, darunter einige muslimische Geflüchtete.

„Im Ramadan möchte jeder helfen, das ist wie in der Adventszeit.“

Die Tradition soll nicht ganz verloren gehen. Zwar sind keine gemeinsamen Mahlzeiten möglich, doch die Gemeindemitglieder haben rund 100 Lebensmittelpakete (auf Türkisch Kumanya-Paketi) für Bedürftige zusammengestellt. „Im Ramadan möchte jeder helfen“, erklärt Haber. „Das ist wie in der christlichen Adventszeit.“ Jeder zeige sich von seiner besten Seite. Das Fasten trage zur Spendenbereitschaft bei, sagt der Moschee-Sekretär: „Wenn man nichts essen und trinken darf, wird einem bewusst, dass es manchen Menschen immer so geht.“

Ihm selbst fällt das Fasten nur in den ersten Tagen schwer. Pünktlich um 9 und um 16 Uhr, seinen gewöhnlichen Essenszeiten, bekomme er anfangs Hunger, sagt Murat Haber. „Der erste Tag ist der schwierigste. Aber der Körper gewöhnt sich schnell an den neuen Rhythmus.“

Mustafa Gül hat mit dem Fasten keine Probleme. „Noch nie gehabt“, sagt er. Gül nimmt den Fastenmonat als eine schöne Zeit wahr, in der man zur Ruhe kommt. „Das ist auch eine Selbstfindungsphase“, sagt er. Kräftezehrender als den Essensverzicht findet der 51-jährige Ingenieur aus Backnang den Schlafmangel. Gül steht aktuell jeden Morgen gegen halb vier auf, um für seine Familie und sich Frühstück vorzubereiten. Brot mit Wurst, Käse oder Marmelade, manchmal stellt er Salat dazu. Etwas Besonderes ist nicht vorgesehen für die Sahur-Mahlzeit, die letzte Speise vor dem Sonnenaufgang.

Anders beim Iftar, der Mahlzeit nach dem Sonnenuntergang. „Datteln müssen eigentlich immer dabei sein“, sagt Büsra Güngör, 24. Danach komme eine Suppe. Eigentlich sei man nach ihr schon satt, sagt sie. „Mein Magen sagt: Es ist gut, meine Augen sagen: Nein, mach weiter.“ Als Hauptspeise gibt es in ihrer Familie „nichts Besonderes“: Fleisch, Reis, Salat, Fladenbrot. Süßgebäck wie Baklava folgt zwei, drei Stunden später.

Obwohl die Regeln dieselben sind wie immer, mag das „Ramadan-Feeling“ 2021 nicht so recht aufkommen, sagt Büsra Güngör. Als Religionsbeauftragte der Backnanger Ditib-Gemeinde wäre sie eigentlich fast täglich in der Moschee. Doch nun finden der Religionsunterricht für die Kinder und Jugendlichen und das gemeinsame Koranlesen mit den Frauen über Zoom oder WhatsApp statt. „Man kann die Freude nicht so gut teilen“, sagt Güngör. „Man kann sich nicht umarmen, wenn man sich in der Moschee trifft, oder hinterher noch miteinander sprechen.“

Wer in die Moschee geht, muss den eigenen Gebetsteppich mitbringen.

Für die junge Muslima ist der Fastenmonat noch einmal ganz anders als 2020: Die ersten Tage verbrachten sie und ihre Familie in Quarantäne. Die Mutter, der Vater, der große Bruder und die kleine Schwester – bis auf Büsra Güngör wurden alle positiv auf das Virus getestet. Die Mutter musste sogar ins Krankenhaus. Besuchen durfte die Familie sie nicht. „Das war auf jeden Fall belastend“, sagt die 24-Jährige aus Oberstenfeld. „Das Wichtigste ist wirklich die Gesundheit“, betont sie. „Ohne sie kann man überhaupt nichts machen.“

Deshalb hält Güngör die Einhaltung der Coronaregeln in der Moschee für besonders wichtig. Wer dorthin zum Beten kommt, muss den eigenen Gebetsteppich und eine medizinische oder FFP2-Maske mitbringen, Abstand einhalten und am Eingang die Hände desinfizieren. Die Gebete finden in verkürzter Form statt, es wird eine Anwesenheitsliste geführt. Bisher habe man die Situation in der Moschee in Backnang gut gemeistert, sagt Murat Haber. Das liege zum einen an der guten Organisation, zum anderen aber auch an den Mitgliedern, die große Rücksicht aufeinander nehmen und sich an die Regeln halten, sagt der Moschee-Sekretär. „Jeder ist in Übung, was die Regeln betrifft, das läuft automatisiert.“

Im Gegensatz zum vergangenen Jahr können die Gemeindemitglieder an dem Nachtgebet nach dem Fastenbrechen in der Moschee teilnehmen. „Darauf haben wir letztes Jahr komplett verzichtet, weil alles noch so neu war“, sagt Haber. Nun hat das Ordnungsamt eine Genehmigung ausgestellt: Wer betet, bekommt eine Teilnahmebestätigung mit Stempel und Unterschrift mit auf den Heimweg.

Wie lange die Moscheebesuche möglich sein werden, weiß Murat Haber nicht. „Dadurch, dass wir zu der Organisation Ditib gehören, entscheiden darüber nicht wir, sondern der Dachverband“, erklärt er. Sobald von diesem aber die Ansage komme, reiche eine WhatsApp-Nachricht an die Mitglieder und ein Hinweis bei Facebook, um die Moschee zu schließen. Bei steigenden Inzidenzzahlen halte man Rücksprache mit dem Ordnungsamt. „Lieber machen wir die Türen zu, bevor wir jemanden gefährden“, sagt Haber.

Fest steht ebenfalls noch nicht, wie das Zuckerfest, „Ramazan Bayramı“, gefeiert werden kann, das in diesem Jahr auch noch auf einen christlichen Feiertag, Christi Himmelfahrt, fällt. „Normalerweise würden 700 bis 1000 Leute in die Moschee kommen“, schätzt Mustafa Gül, der sich früher im Vorstand der Moschee engagiert hat. Das sei dieses Jahr sicher nicht möglich. Wie Murat Haber und Büsra Güngör hofft er, dass der Ramadan 2022 wieder wie gehabt stattfinden kann. Murat Haber nimmt auch etwas Positives aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres mit: „Corona hat uns beigebracht, wie schön es uns früher ging“, sagt er. „Ich hoffe, dass die Leute das mehr zu schätzen wissen, wenn die Pandemie vorbei ist.“

Was passiert im Fastenmonat Ramadan?

Der Ramadan (Arabisch für „heißer Monat“) ist der Fastenmonat der Muslime und der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. Nach islamischer Auffassung wurde in diesem Monat der Koran herabgesandt.

Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang verzichten gläubige Muslime auf das Essen und Trinken. Untersagt sind außerdem
Rauchen, Geschlechtsverkehr, aber auch
üble Nachrede und schlechtes Verhalten. Die Zeit des Fastens soll mit Gebeten, dem Lesen des Korans sowie Besuchen der Moschee verbracht werden. Darüber hinaus soll für wohltätige Zwecke gespendet werden.

Schwangere, Stillende, menstruierende Frauen, Kranke, Alte, Reisende, Kinder und Menschen, die harte körperliche Arbeit verrichten, sind vom Fasten ausgenommen.

Jedes Jahr verschiebt sich der Anfang des
Ramadans um etwa zwei Wochen. 2021
dauert der Fastenmonat vom Abend des 12. April bis zum Abend des 12. Mai. Im Anschluss wird das Fest des Fastenbrechens gefeiert (auf Türkisch „Ramazan Bayramı“, auf Arabisch „Eid al-Fitr“, auf Deutsch „Zuckerfest“). Es gilt als eines der wichtigsten muslimischen Feste. Die Festivitäten dauern je nach Land und Region zwei bis drei Tage.

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Erstellt:
30. April 2021, 06:00 Uhr

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