„Ein Stückchen zu Hause“

Circus Montreal plant im Backnanger Autokino seine ersten vier Auftritte seit Beginn der Coronaeinschränkungen. Die Familie Köllner ist dankbar, dass sie in diesen schwierigen Zeiten in Großerlach unbefristet bleiben darf, aber das Fernweh bleibt.

Mitglieder der Zirkusfamilie Köllner proben auf dem Platz unterm Backnanger Viadukt fleißig für die Premiere nach der Zwangspause. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Mitglieder der Zirkusfamilie Köllner proben auf dem Platz unterm Backnanger Viadukt fleißig für die Premiere nach der Zwangspause. Foto: A. Becher

Von Carmen Warstat

GROSSERLACH/BACKNANG. Gabriele Köllner ist nach wie vor zutiefst dankbar für das Angebot von Bürgermeister Christoph Jäger und Grundstückseigner Marco Wieland, in der Nähe des Freizeitzentrums von Großerlach kampieren zu dürfen. Das Wetter ist seit Tagen trübe und der Rasen hier vom vielen Regen aufgeweicht, im Wohnwagen aber duftet der Kaffee, und die Zirkusfrau weiß: „Wir dürfen hierbleiben, solange es nötig ist, zur Not auch über den Winter.“

Freilich – die Gefühle sind zweigeteilt. Auf der einen Seite Erleichterung und Dankbarkeit, auf der anderen der harte Existenzkampf. Die fünf Köllners sind ein hektisches Leben gewöhnt, und der Saisonhöhepunkt liegt eigentlich in den Monaten März, April, Mai, dann ist es weder zu kalt noch zu heiß für den Zirkus. Gerade diese Monate sind in diesem Jahr komplett weggefallen, und es ist klar, dass die Einnahmen fehlen.

Der Circus Montreal hofft nun auf das kommende Wochenende, denn erstmals seit Langem darf er wieder auftreten, wenn auch nicht im Zelt. Das Autokino in den Backnanger Etzwiesen wird der Schauplatz von vier Aufführungen sein. Dort wurde extra eine herunterfahrbare Bühne mit einer Stange, die fünf Tonnen Last trägt, montiert. Denn es ist der Familie wichtig, „dass wir eine Leistung zeigen, die der im Zelt fast gleichwertig ist“. Trotz aller Einschränkungen werden sogar Tiere mit von der Partie sein. Tochter Samantha (30) gibt eine Kleintiernummer mit Pfautauben, und man darf gespannt sein, wie die Vögel auf die ungewohnte Umgebung reagieren. Chip und Chap dürfen mit, das sind eineinhalb-jährige Lamas, die durch die Autoreihen geführt werden, damit sie das Publikum – insbesondere natürlich die Kinder – kennenlernen kann. Da sind Leckerlis durchaus erlaubt.

Die jüngste Tochter von Gabriele und Andreas Köllner heißt Michelle (18). Sie ist bekannt für ihre atemberaubende Luftakrobatik- und Hula-Hoop-Nummern – dank der Bühnenumbauten wird im Autokino beides möglich sein. Für Clownerei und Tempo-Jonglage zuständig ist Sohn André, Höhepunkt seiner Showeinlage der Balanceakt auf der Römischen Rolle (auch Rola-Rola). Mit Diego und Jeffrey werden auch zwei Neffen von Andreas Köllner dabei sein und beispielsweise Handstandakrobatik und Luftnummern an den Strapaten präsentieren.

Der Familiensinn ist groß, geht die ewige Wanderschaft doch auf alte Traditionen zurück. Nicht von ungefähr kommt der Name des Circus Montreal. William Köllner hatte ihn als Circus William gegründet und hegte den Wunsch, irgendwann einmal nach Kanada auszuwandern, in Montreal Zirkus zu machen war sein Traum. Also haben Sohn André und Schwiegertochter Gabriele dem Fernweh einen Namen gegeben. Sie selbst und auch ihre Kinder teilen diese Mentalität, auch wenn die Kreise enger geworden sind. Inzwischen beschränkt sich ihr Terrain auf das Land Baden-Württemberg, in dem sie schon eine feste Größe sind.

Dieser Tage aber steht so manches noch in den Sternen. Wird der Weihnachtszirkus in Bartenbach in diesem Jahr stattfinden? Gabriele Köllner weiß es nicht. Sicher ist, dass man die vorstellungsfreie Zeit auf jeden Fall weiterhin sinnvoll überbrücken wird: Reparaturen und Verschönerungsarbeiten an Wagen, Zelt und Fahrzeugen stehen an, der Hufschmied kommt. Die Tiere werden trotz allem regelmäßig trainiert, die Artisten müssen fit bleiben, und auch der Jongleur übt. Weniger erfreulich: Gabriele Köllner steht eine Hüftgelenksoperation bevor.

Am Wochenende im Autokino Backnang will man „dem Publikum ganz nah sein“. Fotos mit Clowns dürfen geschossen und die Kostüme der Mädels aus nächster Nähe bewundert werden. Der Kontakt der Kinder und Erwachsenen ist den Zirkusleuten ebenfalls wichtig, schließlich versteht man sich als „Circus mit Herz“.

Irgendwann einmal – „wer weiß schon, wann das sein wird“ – plant die Familie Köllner in Großerlach eine Dankesvorstellung für alle, die ihr durch die schwierige Zeit geholfen haben. Futterspenden kommen vor allem von Landwirten und sind, wie auch kleinere Spenden, hochwillkommen. Lebensmittel, Futter und Geldzuwendungen sind überlebenswichtig für den kleinen Zirkus mit Ponys, Lamas, Ziegen, Gänsen und Enten sowie Pfautauben.

Wer diesbezüglich Kontakt aufnehmen oder auch einfach mal so mit seinen Kindern in Großerlach vorbeikommen möchte, kann Gabriele Köllner unter der Nummer 0157/71592505 erreichen.

Die Vorstellungen im Autokino finden statt am Samstag, 20. Juni, um 16 und 19.30 Uhr sowie am Sonntag, 21. Juni, um 14 und 17 Uhr.

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Erstellt:
18. Juni 2020, 06:00 Uhr

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