Einzelhändler funken SOS an die Regierung

Der Stadtmarketingverein Backnang fordert aufgrund des Lockdowns schnelle Hilfen, faire Regelungen und klare Perspektiven.

Der Stadtmarketingverein wünscht sich, dass auch kleinere Geschäfte wieder öffnen dürfen – wie zuletzt im Dezember. Archivfoto: A. Becher

© Alexander Becher

Der Stadtmarketingverein wünscht sich, dass auch kleinere Geschäfte wieder öffnen dürfen – wie zuletzt im Dezember. Archivfoto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Die Mehrheit der kleinen und mittelständisch geprägten Einzelhändler hält nach Ansicht des Stadtmarketingvereins Backnang einen längeren Lockdown in der bisherigen Form nicht mehr durch. Aus diesem Grund funken die Einzelhändler SOS. In einem Brief an die lokalen Bundes- und Landtagsabgeordneten und an die zuständigen Minister fordern sie schnelle und unkomplizierte Hilfen, klare und faire Regelungen für alle Geschäfte sowie eine Perspektive zur Öffnung der geschlossenen Geschäfte und Handlungsempfehlungen.

Der Hilferuf ist unterzeichnet von der Vorstandsvorsitzenden des Stadtmarketingvereins Sigrid Göttlich und ihrem Stellvertreter Lothar Buchfink. Sie warnen davor, dass vor allem den kleinen Unternehmen allmählich das Geld ausgeht. Göttlich betont, dass unzählige Waren bereits lange im Voraus verbindlich bestellt worden sind und nun bezahlt werden müssen. Die Inhaberin des Backnanger Modegeschäfts Accente berichtet beispielsweise, dass alleine in ihrer Branche über 500 Millionen Winterartikel nicht verkauft werden konnten und in den Geschäften und Lagern deponiert sind. Nun kritisiert sie: „Die Hilfen des Staates kommen viel zu schleppend und das Antragsverfahren ist viel zu komplex.“ Zudem würden beim Hilfsgeld nur Fixkostenanteile berücksichtigt. An private Lebensunterhaltungskosten wie etwa Krankenkassenbeiträge der Unternehmer werde nicht gedacht. Göttlich gibt zu verstehen: „Viele Unternehmer verbrauchen ihre für das Alter erarbeiteten Reserven, um ihr Unternehmen am Leben zu halten und um sich selbst am Leben zu halten.“

Mehr noch als finanzielle Hilfe fordert Buchfink Chancengleichheit für alle. Aber die aktuellen Regelungen seien nicht fair. Viele Mitglieder des Stadtmarketingvereins würden es als ungerecht empfinden, dass einige Betriebe mit Mischsortiment geöffnet haben und etwa Spielwaren oder Parfümerieartikel verkaufen dürfen: „Geschlossene Geschäfte müssen zusehen, wie in nächster Umgebung ihre Sortimente in rauen Mengen angeboten und verkauft werden.“ Dies soll jedoch nicht als Appell verstanden werden, diese Geschäfte zu schließen. Vielmehr wünschen sich Göttlich und Buchfink, dass auch die kleineren Geschäfte und die Gastronomie wieder öffnen dürfen. Dort seien in der Vergangenheit große Anstrengungen unternommen worden, Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln einzuhalten. Dass sich nun die Kunden nur in wenigen Geschäften drängen, empfinden die Mitglieder des Stadtmarketingvereins als „nicht erwünschte Frequenzverdichtung“. Eine Aufteilung auf mehrere Geschäfte sei auch aus epidemiologischen Gründen sinnvoll.

Eine Öffnung der Geschäfte würde unter anderem auch dazu führen, dass finanzielle Hilfen erst gar nicht notwendig würden. Ein Aspekt, auf den vor allem Buchfink abhebt: „Denn dieses Geld muss über kurz oder lang auch zurückbezahlt werden. Entweder, weil es sich um Darlehen handelt, oder weil es wieder in Form von Steuererhöhungen auf die gesamte Gesellschaft zurückfällt.“ Deshalb appelliert auch er: „Lasst uns Wege finden, dass die Geschäfte wieder aufmachen dürfen.“ Er fordert von der Politik Rahmenbedingungen und einen Fahrplan, wie es weitergehen soll. Und er stellt als „positives Beispiel“ das Modell des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer heraus. Zum sogenannten Tübinger Weg gehöre unter anderem, dass Senioren zu bestimmten Zeiten einkaufen können. Der Erfolg scheint Palmer Recht zu geben, so ist der Inzidenzwert von Tübingen unter den Schwellenwert von 50 gefallen, wie Buchfink gestern betonte.

In dem Brief an die Verantwortlichen heißt es weiter: „Wir – Händler, Gastronomen und Dienstleister vor Ort – waren und sind in direktester Form von den Schließungen betroffen. Wir möchten öffnen und wir könnten es auch, da wir viel Zeit und Geld in Hygienemaßnahmen investiert haben, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Diese Konzepte sind gelernt und wurden bereits umgesetzt. Die kleinen Geschäfte in der Innenstadt können durch die vorhandenen Maßnahmen ein sicheres Einkaufen gewährleisten.“

Der Appell an die Politiker endet mit dem Wunsch: „Wir möchten eindringlich um Ihre Unterstützung und Stellungnahme bitten, damit die dargelegten kritischen Punkte Einzug in die politische Diskussion finden und insbesondere im Hinblick auf die zu erwartenden Konsequenzen ernsthaft hinterfragt werden.“

Einzelhändler funken SOS an die Regierung

© Edgar Layher

„Viele Unternehmer verbrauchen ihre für das Alter erarbeiteten Reserven.“

Sigrid Göttlich, Vorsitzende des Stadtmarketingvereins Backnang

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Erstellt:
26. Januar 2021, 06:00 Uhr

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