Erst auf der Reise ist das Virus so richtig Thema

Roadtrip in Coronazeiten: Nicolette Friedemann aus Backnang erzählt von leeren Stränden und disziplinierten Menschen bei ihrer Reise nach Portugal und zurück

Diese Reise hatte sich Nicolette Friedemann auch anders vorgestellt – mit Freund Alex und Hund Django im Auto gemütlich bis nach Portugal fahren, übernachten, wo man spontan landet, Sandstrand, Meer, Land und Leute genießen, und vor allem die vielen Eindrücke tief in sich aufnehmen. Andere Kulturen, andere Lebensart. Doch dann kam das Virus.

Nicolette Friedemann mit Hund : Die Backnangerin war oftmals nahezu allein am Strand in Portugal, an dem sich ansonsten die Wellenreiter tummeln und ein spektakuläres Schauspiel abgeben. Fotos: privat

Nicolette Friedemann mit Hund : Die Backnangerin war oftmals nahezu allein am Strand in Portugal, an dem sich ansonsten die Wellenreiter tummeln und ein spektakuläres Schauspiel abgeben. Fotos: privat

Von Simone Schneider-Seebeck

BACKNANG. Auf einmal ging es ganz schnell – Corona hat die Welt im Griff. Was vor vier Wochen hierzulande noch undenkbar war, nun ist es Wirklichkeit geworden: soziale Kontakte vermeiden, nicht durch das Land oder gar ins Ausland reisen; spätestens seit der Schließung der Schulen war das klar. Allerdings noch nicht vor gut zweieinhalb Wochen. Denn da machten sich die Physiotherapeutin, ihr Freund und der Hund auf den Weg Richtung Sonne.

Im letzten Jahr war die Idee bereits aufgekommen – eine Fahrt in den Süden, durch Spanien und Portugal bis an die westlichste Küste Europas. Da Hund Django ebenfalls mitkommen sollte, kam eigentlich nur eine Fahrt mit dem Auto infrage. Der Fiat Ducato des Berliner Freundes war hier ideal, da groß genug für die drei, um auch einmal eine Nacht darin verbringen zu können. Ursprünglich war die Überlegung gewesen, im Januar zu fahren, noch bevor die Touristensaison auf der iberischen Halbinsel startet. Weite Landschaft und wenig Leute, allerdings auch kühle Nächte, die im Auto vielleicht doch etwas ungemütlich werden könnten. So entschied man sich recht spontan, den Trip doch erst im März zu wagen. „Das Virus war für uns da noch gar nicht so aktuell“, sagt Nicolette Friedemann. Eine Woche später wären sie schon nicht mehr gefahren.

Nach einem Besuch bei Freunden in Bern ging es weiter durch die Schweiz nach Frankreich, dann die spanische Küste entlang, durch Bilbao und San Sebastian bis nach Portugal. „Wir wollten nicht einfach nur ein Land besuchen, wir wollten es richtig erleben“, so die Backnangerin.

Ursprünglich war eine dreiwöchige Reise geplant, kürzer lohnt es sich bei solch einer Strecke eigentlich nicht, doch die explosionsartige Verbreitung des Coronavirus machte dem Paar einen Strich durch die Rechnung. Schon kurz nach der Ankunft in Portugal waren die Auswirkungen bemerkbar. Viele Läden und Restaurants waren geschlossen. Am Strand von Nazaré, sonst eine Hochburg für Big-Wave-Surfer, zeigte sich kaum eine Menschenseele; Polizeipatrouillen stellten sicher, dass sich keine größeren Gruppen am Meer zusammenfanden. „In Portugal halten die Menschen sehr viel Abstand ein“, ist Friedemann aufgefallen, „zwei bis drei Meter sind es sicher.“

Das gilt auch beim Einkauf in den Lebensmittelgeschäften – zum Teil wurde draußen vor der Tür gewartet, damit es drinnen nicht zu voll wird. „Als ich wieder hier in Deutschland war, bin ich schon erschrocken, wie viele Leute gleichzeitig in Supermarkt oder Baumarkt unterwegs waren. Die Portugiesen haben sich sehr streng an die Empfehlungen und Regularien gehalten. In Lissabon war so gut wie nichts los. In einem der wenigen Cafés, die noch offen waren, saßen wir ganz allein.“

Die leeren Straßen, die geschlossenen Geschäfte, das fehlende Leben und die besorgten Fragen von Freunden und Familien waren Gründe, vorzeitig wieder zurückzukehren – der Wunsch, in die Heimat zu kommen, wurde immer stärker. Denn was würde passieren, wenn auf einmal das Land abgeriegelt würde? Käme man dann überhaupt noch nach Hause? Über den ADAC war es möglich, sich einen Passierschein für die Rückfahrt auszudrucken. Das war auch das Wichtigste, was an den Grenzen zählte – Passierschein und Ausweis. Damit wurde man gewissermaßen einfach durchgewunken.

Etwas Sorge bereitete noch das Tanken, doch Tankautomaten, bei denen mit Geldkarte gezahlt werden kann, sind in den südlichen Gefilden sehr verbreitet. Auch wenn die zugehörigen Shops geschlossen hatten, Tanken war problemlos möglich. Dennoch war es vollkommen unrealistisch, in einer Tour durchzurauschen. Einmal wurde heimlich abseits der Straße im Auto übernachtet. In Frankreich, noch etwa zwölf Stunden Fahrt von Backnang entfernt, gab es die Gelegenheit, in einem Hotel im Ort Bergerac zu übernachten, allerdings eine absolute Ausnahme, denn andere Hotels waren geschlossen.

Eine eigenartige Erfahrung, denn „wir waren ganz allein im Hotel. Erst morgens um 8 Uhr war die Rezeption wieder besetzt“, erzählt Nicolette Friedemann. Wie auch hierzulande können Wochenmärkte im Nachbarland weiterhin besucht werden. Ein respektvolles Miteinander hat die Physiotherapeutin dabei beobachtet. Auch sie als Fremde wurden freundlich aufgenommen und nicht als mögliche Krankheitsbringer angesehen. Nach gut 5000 Kilometern Fahrt ist sie wieder gut in der Murr-Metropole gelandet. Doch „wir wissen nicht, wo es hingeht. Die Situation geht an die Substanz.“

Trotz der unwirklichen und außergewöhnlichen Atmosphäre haben Nicolette Friedemann und ihr Freund Alex diese denkwürdige Reise genossen. „Wir haben unterwegs viel philosophiert. Jetzt merkt man erst, wie sich alles verändert. Hier in Deutschland kann man zumindest noch spazieren gehen. Und es ist wichtig, miteinander zu kommunizieren. Das hat auch in Portugal gut funktioniert. Fehlende Kommunikation kann krank machen,“ ist sie überzeugt. Und sie ist froh darüber, dass sie ihren Beruf noch ausüben kann, sei es in der Praxis, sei es bei Hausbesuchen. Irgendwie sei es ein tröstlicher Gedanke, dass auf der ganzen Welt alle mit einem gleichen Problem zu kämpfen haben – ein kleines Virus stellt alles auf den Kopf.

Trotz der unsichtbaren Bedrohung Coronavirus hat Nicolette Friedemann aus Backnang die Tage in Portugal genossen.

Trotz der unsichtbaren Bedrohung Coronavirus hat Nicolette Friedemann aus Backnang die Tage in Portugal genossen.

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Erstellt:
26. März 2020, 06:00 Uhr

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