„Es darf keine Generation Corona geben“

Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist trotz Pandemie besser, als es Schulabgänger und deren Eltern vermuten. Doch Bewerber und Betriebe finden ohne Messen und Praktika nur schwer zusammen. Die Fachkräfteallianz Rems-Murr will dem entgegenwirken.

Die Coronapandemie überschattet auch den Ausbildungsmarkt. Schüler und Unternehmen sind zurückhaltend. Symbolfoto: S. Gruber/stock.adobe

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Die Coronapandemie überschattet auch den Ausbildungsmarkt. Schüler und Unternehmen sind zurückhaltend. Symbolfoto: S. Gruber/stock.adobe

Von Kristin Doberer

BACKNANG/WAIBLINGEN. Die Abschlussprüfungen rücken immer näher und viele Jugendliche stehen vor einer wichtigen Frage: Was will ich nach der Schule machen? Ausbildung, Studium oder lieber eine weiterführende Schule besuchen? Doch auch in diesem Jahr schwebt die Corona-Pandemie über allem. Es gibt kaum Möglichkeiten für Berufspraktika, es finden keine Ausbildungsmessen und keine Berufsorientierung in den Schulen statt. „Viele Schüler wissen nicht, was sie überhaupt machen wollen. Und dann warten viele ab oder entscheiden sie sich erst mal für eine weiterführende Schule oder ein Studium“, sagt Christine Käferle von der Agentur für Arbeit Waiblingen. Dabei sei die Lage auf dem Ausbildungsmarkt in der Region nicht so schlecht, wie man vermuten könnte. Im vergangenen Jahr, also dem ersten Corona-Jahr, hatte die Pandemie weniger negativen Einfluss auf den Arbeits- und Ausbildungsmarkt als von vielen angenommen. „Der Ausbildungsmarkt im vergangenen Jahr war sehr stabil“, sagt Käferle.

Und auch in diesem Jahr gebe es offene Ausbildungsplätze. Im März 2021 wurden 1964 Bewerber gemeldet, die auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. Dem gegenüber stehen 1993 aktuell noch offene Ausbildungsstellen im Landkreis. Angebot und Nachfrage halten sich zahlenmäßig also fast die Waage. „Natürlich passt es nicht immer so, dass genau das noch unbesetzt ist, was man gerade sucht“, gibt Käferle zu. Aber gerade für die jungen Menschen sei Stuttgart auch immer einen Blick wert, denn hier gibt es im Moment sogar 1356 Ausbildungsstellen mehr als Bewerber. Gerade wenn die Bewerber auch etwas Flexibilität mitbringen, wenn der Wunschberuf gerade nicht gefragt ist, seien die Chancen, einen Ausbildungsplatz in der Region zu finden, recht gut. „Es ist noch lange nicht zu spät für eine Ausbildung, aber jetzt ist auch nicht die Zeit, um zu warten“, sagt Käferle.

30 Prozent weniger Plätze in der Hotel- und Gastronomiebranche.

Im Vergleich zu den Vorjahren ist das Angebot an Ausbildungsstellen aber insgesamt doch um 13 Prozent zurückgegangen. Im März 2020 – auf diese Zahlen hatte die Pandemie noch keinen Einfluss – gab es noch 2366 Ausbildungsstellen, im Jahr 2019 waren es 2126. Im März 2021 lag die Zahl knapp unter 2000. Hier zeigt sich auch der Einfluss der Coronapandemie: Zum Beispiel gibt es etwa 30 Prozent weniger Ausbildungsstellen im Hotel- und Gastgewerbe. Auch gab es einen Rückgang bei der Metalltechnik (minus 18 Prozent) und bei Industriekaufleuten (minus 19 Prozent). Aber Markus Beier von der IHK Region Stuttgart betont auch: „Der Rückgang liegt nicht ausschließlich an Corona. Zum Teil ist es auch einfach ein konjunkturell bedingter Trend.“

Auch sei zu bedenken, dass die Ausbildungsplätze in den Vorjahren auf einem absoluten Hoch waren. Den Rückgang müsse man also vorsichtig einordnen. Auch haben im vergangenen Jahr neue Ausbildungsberufe einen Aufschwung erhalten. So wurden im Bereich Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce – eine Ausbildung, die es erst seit 2018 gibt – 22 neuen Verträgen im Jahr 2020 abgeschlossen (plus 80 Prozent). „Vor Corona war das zum Beispiel auf einem sehr niedrigen Niveau“, erklärt Beier die starke Zunahme. Bei vielen Unternehmen sei das Thema Online-Handel nämlich erst durch Corona in den Blick gerückt.

Mit Blick auf den Ausbildungsbeginn im Jahr 2021 ist Beier „vorsichtig positiv“ gestimmt. Zwar werden die meisten Verträge erst zwischen Mai und September abgeschlossen und vermutlich rückt das Fenster auch in diesem Jahr noch weiter nach hinten: 2020 wurden viele Ausbildungsverträge sogar noch nach offiziellem Ausbildungsbeginn abgeschlossen. „Aber die ersten Zahlen sehen gar nicht so schlecht aus“, meint Beier. Auch seien im vergangenen Jahr sogar einige Ausbildungsbetriebe neu dazugekommen. „Wir hatten die Befürchtung, dass die Betriebe die Ausbildungsmöglichkeiten zurückschrauben“, sagt er. Aber die Bereitschaft der Unternehmen sei immer noch da. Viele sehen das sogar als eine Investition in die Zukunft. „Und es darf einfach keine Generation Corona geben“, betont Beier.

Doch ein großes Problem ergibt sich durch die Pandemie: Für die Schulabgänger und die Unternehmen gibt es kaum Möglichkeiten, sich gegenseitig kennenzulernen. Das merkt auch die Handwerkskammer deutlich: „Bei Betrieben spüren wir eine gewisse Zurückhaltung und auch von Schülern kommen viel weniger Anfragen“, sagt Petra Ehm stellvertretend für die Kreishandwerkerschaft. Auch im Handwerk werden die Ausbildungsverträge eher zwischen den Pfingst- und Sommerferien abgeschlossen. Deshalb müsse man jetzt schon aktiv werden. „Wenn wir weiter abwarten, wird es nur noch schwieriger“, sagt Ehm. Denn je länger man mit einer Kampagne warte, desto mehr Schulabgänger würden sich für andere Ausbildungswege wie ein Studium oder eine weiterführende Schule entscheiden.

Da viele Kennenlernmöglichkeiten durch Fernunterricht oder Kontaktbeschränkungen nicht stattfinden können, sei außerdem der Einfluss der Eltern in diesem Jahr extrem wichtig. „Die Eltern spielen eine entscheidende Rolle bei der Berufswahl“, sagt Schulamtsleiterin Sabine Hagenmüller-Gehring. Doch vielen Eltern sei das gar nicht so bewusst. Ebenso wüssten viele nicht über die verschiedenen Ausbildungsmöglichkeiten Bescheid. Darüber müsse man sie informieren.

Diese Aktionen plant die Fachkräfteallianz Rems-Murr

Die Broschüre „Elternpower“ soll Basisinformationen zur Berufswahl geben. Eltern seien oft ratlos, wie sie ihrem Kind in dieser Phase helfen können. In der Broschüre werden die Eltern direkt angesprochen und bekommen Praxistipps, um zum Beispiel richtig mit Absagen umzugehen, um zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Schritte anzugehen und zu sehen, wo sie passende Kontakte und weitere Informationen finden.

Der BiZ-Call der Agentur für Arbeit Waiblingen startet. Jugendliche und Eltern können sich Montag bis Donnerstag zwischen 10 und 15 Uhr unter 07151/9519902 melden und alle Fragen rund um Ausbildung, Studium, weiterführende Schulen und Überbrückungsmöglichkeiten klären.

Unter dieser Nummer gibt es außerdem eine Elternsprechstunde zu speziellen Zeiten. Am 7. Mai können Eltern von 17 bis 20 Uhr anrufen, am 8. Mai von 10 bis 12.30 Uhr.

Die Online-Plattform „Fokus Beruf“soll weiter ausgebaut werden. Da die Ausbildungsmesse des Rems-Murr-Kreises auch in diesem Jahr nicht in Präsenz stattfinden konnte, wurde eine virtuelle Messe aufgebaut, auf der sich 96 Unternehmen aus der Region präsentieren. Zwar wurde die virtuelle Messe gut besucht, doch bei den tatsächlichen Kontaktaufnahmen war noch Luft nach oben. „Die Hürde war da dann doch recht hoch“, sagt Andrea Bronner vom Landratsamt. Deshalb soll am 20. und 21. Mai ein Livechat in dem Online-Portal stattfinden, in dem sich die Unternehmen vorstellen und Bewerber niederschwelliger den Kontakt aufnehmen können.

Die Kreishandwerkerschaft will sich in den kommenden Monaten stärker in den sozialen Medien präsentieren und bei verschiedenen Aktionen der Handwerkskammer beteiligen, zum Beispiel beim „Sommer der Berufsausbildung“.

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Erstellt:
27. April 2021, 06:00 Uhr

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