Für die Seele ein Lichtstrahl

Premiere im Rems-Murr-Kreis: Erstes Autokino in Auenwald ein voller Erfolg

Das erste Autokino im Rems-Murr-Kreis bietet einen Anblick, der gefühlt ewig nicht zu sehen war: Eine Autokarawane schiebt sich vorwärts, diese Form des „Ausgehens“ ist erlaubt. Das Auto wird zur Trutzburg gegen den heimtückischen Virenflug. Das Erlebnis „Autokino“ boomt bundesweit. Und das Auenwalder „Autokino für die Seele“ macht da keine Ausnahme.

Für die Seele ein Lichtstrahl

© Alexander Becher

Von Heidrun Gehrke

AUENWALD. Beim Einbiegen auf den Parkplatz wird die große Kinoleinwand zum alles überstrahlenden Lichtfleck in der einbrechenden Dunkelheit. Auch für die Seele ein Lichtstrahl, der stimmungserhellend in eine Zeit fällt, die von eher düsteren Nachrichten geprägt ist. Der Zustrom fällt erwartungsgemäß groß aus: An allen vier Abenden bleibt kein Stellplatz frei. Zusammen mit dem „Dankeschön-Autokino“ für die „Helden der Arbeit“ schwirren 500 Menschen aus zu dieser Lichtquelle, gibt Bürgermeister Karl Ostfalk auf Nachfrage bekannt, der als erster Autokino-Parkplatzanweiser des Rems-Murr-Kreises den Besucherstrom lenkt.

Fahrzeuge, besetzt mit zwei oder vier Personen, zuckeln vorüber. Eine Versammlung rollender Privatkinosessel, die sich nicht zu nah kommen. Automatische Abstandsregelung in Coronazeiten, die nicht der Unfallvermeidung infolge zu dichten Auffahrens dient, sondern dem Schutz vor Ansteckung. Jedes Auto erhält eine Nummer und den dazu passenden Stellplatz zugewiesen.

Snacks und Getränke können per WhatsApp bestellt werden. Tänzerinnen des Tanzsportzentrums Weissacher Tal schlängeln sich durch die Reihen und reichen Tüten durch Autoscheiben. Im Inneren kann der Mundschutz ja unten bleiben – und am Chipstütengeraschel können sich höchstens die Insassen stören, nicht ein ganzer Kinosaal.

Mara Pacenza aus Oberbrüden versammelt sich erstmals zum Filmschauen auf einem Parkplatz, durch die Autoscheibe, unter Decken. „Im eigenen Rahmen, aber doch unter Leuten“ fühle sie sich. Hat sie ein Nachholbedürfnis infolge des Lockdowns? „Nein, wir wären auch ohne Corona hier, weil es eine tolle Idee ist.“ Eine Premiere ist das Erlebnis Autokino auch für Familie Walther aus Oberbrüden. „Heimelig, aber doch anders als daheim“, sagen sie. „Das erste Highlight nach sieben Wochen“, betont die 13-jährige Tochter. „So langsam langt’s mit immer nur daheim“, fügt die zwei Jahre ältere Schwester hinzu.

Das Autokino feiert in Coronazeiten bundesweit eine Renaissance. Im Kopfkino von Rosie, Christa und Rainer sind damit schöne Erinnerungen verbunden. „Super Idee, wir kennen es von früher, da sind wir immer nach Kornwestheim gefahren“, meint die 60-Plus-Clique aus Backnang. Der Kinoabend ersetze die geplante Geburtstagsfete, die coronabedingt flachfalle. Den Film hätten sie schon gesehen. „Eine Komödie tut derzeit auch ein zweites Mal gut“, sind sie sicher. Etwas „Komede“ im Vorfeld hätten sie gehabt: Ihr Auto habe die zulässige Höhe überschritten. Jetzt sind sie mit dem standheizungsfreien Kleinwagen der Tochter da, der in eine Bastion gegen das Frieren verwandelt wurde: „Stricksocken, Schlafsack, Schal, Fleece und Tee“, zählen sie auf. Ohne wärmendes Interieur wird es bei neun Grad am Premierenabend frisch um die Nase.

Klar im Vorteil: Autofahrer mit Standheizung oder jene, die den Hinweis der Gemeinde, Decken mitzunehmen, beherzigt haben. So wie Lena (15) und ihr Freund Nils aus Kallenberg, die „retromäßig“ angetuckert sind – im urigen Ape-Transporter der Eltern. Auf der Ladefläche ist mit Decke, Kissenauflagen, Snacks und Säften alles vorbereitet, um die Beine auszustrecken wie auf dem heimischen Sofa, dem sie aber einen Abend lang entfliehen wollen. „Das hier hat viel mehr Feeling als streamen und per Handy zu gucken.“ Ihr Handy bringen sie trotzdem vollgeladen mit, denn ein Radio lasse ihr ansonsten perfekt autokinogeeignetes Kultgefährt vermissen. Es scheint nicht für Autokinoabende konzipiert zu sein, bei denen der Filmton über UKW in die Fahrzeuge übertragen wird. Die beiden wissen sich zu helfen: „Wir haben eine App gefunden für Radioempfang auf dem Smartphone, hoffentlich klappt’s.“

Analog und aus der Zeit gefallen ist die Methode, die sich Anke und Jens Unkel aus Unterbrüden haben einfallen lassen, um nicht Stummfilmkino schauen zu müssen. Ein pastellgelber Radiorekorder, solide batteriebetrieben und optisch retro, thront auf dem Armaturenbrett. Die alte Technik, der schon längst eine Abseitsposition im Hobbykeller zugewiesen sei, ist plötzlich wieder up to date. Im Gegensatz zur modernen Fahrzeugtechnik ihres fahrbaren Untersatzes: „Unser Autoradio schaltet nach einer Viertelstunde ohne Motor automatisch ab“, sagt Jens Unkel. „An den heutigen Abend konnten wir beim Kauf natürlich noch nicht denken“, witzelt seine Ehefrau. Auch die 14 und 15 Jahre alten Töchter Mara und Jule auf der Rückbank staunen. „Ein Konzert will ich damit nicht hören, aber für den Kinoton wird’s reichen“, loben sie das Relikt.

Die Eltern kommen ins Schwärmen. „Wir haben es in den 1990er-Jahren gekauft, das war genau unsere Autokinozeit.“ Die jetzt direkt vor der Haustür ein beachtliches Comeback feiert.

Info

„Anträge auf Frequenzen für Autokinos boomen wie nie zuvor“, meldeten Medien bereits vor zwei Wochen. Die Gemeinde Auenwald hat sich früh darum gekümmert: Vor vier Wochen habe er sich an die Bundesnetzagentur gewandt, um eine Frequenz zu bekommen, informiert Bürgermeister Karl Ostfalk auf Nachfrage.

Die Gemeinde hat die Frequenz für das Autokino, den Autogottesdienst (siehe unten) und geplante Musik- und Kabarettveranstaltungen im Autokino bei der Bundesnetzagentur bis zum Herbst angemietet.

Die Technik lief nach Auskunft von Ostfalk reibungslos, betreut vom technischen Autokinoleiter Thomas Bader. Wie er lebten viele Helfer und Mitarbeiter der Verwaltung seit Wochen fürs Autokino. Die Tänzerinnen des Tanzsportzentrums Weissacher Tal sorgten fürs Kinosnackcatering.

Die Jugendlichen Hendrik Bader und Julian Gutermuth haben den Trailer gemacht, der im Vorspann gezeigt wurde. Damit auch sonst technisch alles rundläuft, war Feuerwehrgerätewart Jochen Wieland in Bereitschaft, der leergelaufenen Autobatterien eine Starthilfe verpasst hätte – er musste aber nicht einschreiten.

Partner ist der Verein Kinomobil Baden-Württemberg, der neben dem Projektor auch die Filme von den Verleihern zur Verfügung stellt.

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Erstellt:
4. Mai 2020, 06:00 Uhr

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