„Geschichten vom Gelingen“

Das Interview: Erlacher-Höhe-Vorstand Wolfgang Sartorius will negativen Stimmungen positive Botschaften entgegensetzen

Corona trifft auch die Erlacher Höhe. Es gab bereits Quarantänen, der Betrieb musste darauf abgestellt werden. Und: Die Einweihung eines neuen Gemeinschaftsgebäudes muss in den Herbst verschoben werden. Vorstand Wolfgang Sartorius unterstreicht aber: „Dahinter verschwinden die anderen Themen nicht.“ So etwa die Wohnungsnot.

„Wir haben viele Bauprojekte am Laufen“: Wolfgang Sartorius vor dem fast fertigen Gemeinschaftsgebäude auf der Hellen Platte. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

„Wir haben viele Bauprojekte am Laufen“: Wolfgang Sartorius vor dem fast fertigen Gemeinschaftsgebäude auf der Hellen Platte. Foto: A. Becher

Von Armin Fechter

Herr Sartorius, wie kommt die Erlacher Höhe bislang mit dem Coronavirus klar?

Wir leben in großer Anspannung. Unser Krisenstab tagt fortlaufend, um die Schutzmaßnahmen an die aktuelle Situation anzupassen, und unsere Abteilungen sind in enger Abstimmung mit den lokalen Gesundheitsämtern. In drei Abteilungen hatten wir bereits Quarantänen, im Moment noch in einer mit einer positiv getesteten Person ohne Symptome. Bisher liegen keine schweren Erkrankungen vor. Die Personen, die infiziert waren, waren vergleichsweise milde betroffen. Darüber bin ich sehr froh.

Wie hat das den Betrieb beeinflusst?

Nehmen wir das Beispiel Helle Platte. Ein kleines Dorf mit lauter einzelnen Häusern. Vom Gesundheitsamt wurde Quarantäne angeordnet. Dabei wurden die Häuser jeweils als Einheiten betrachtet, das heißt, die Menschen sollen keinen Kontakt untereinander haben, sondern in den Zimmern bleiben. Das bedeutet, dass man die Bewohner, was die hauswirtschaftliche Seite anbelangt, häuserweise versorgen muss. Das ist ein sehr großer Aufwand. Und wenn zeitgleich noch Mitarbeiter in Quarantäne geschickt werden, dann haben Sie schlagartig einen Mitarbeitermangel und müssen ein Notprogramm fahren. Aber – toi, toi, toi – bisher haben wir es gut bewältigt.

Würden Sie davon sprechen, dass sich für die Erlacher Höhe eine Entspannung abzeichnet?

Das kann man sicher nicht sagen, wenn man die Gesamtlage betrachtet. Nach wie vor nehmen die Infektionen zu, und rein statistisch betrachtet wird damit auch die Wahrscheinlichkeit größer, dass man irgendwann noch einmal betroffen ist. Eine ganz kleine Entspannung gibt es insoweit, als wir jetzt erste Erfahrungen haben mit Quarantänen. Da habe ich wirklich großen Respekt und Hochachtung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine supertolle Arbeit gemacht und das bisher mit Umsicht und Ruhe hingekriegt haben. Die Vorkehrungen, die wir getroffen haben, um schnell und angemessen reagieren zu können, haben sich bewährt. Dafür bin ich sehr dankbar.

Und man lernt daraus, wie man mit neu auftretenden Fällen umgehen muss?

Begrenzt, denn es ist halt so: Die Landkreise agieren mit ihren Gesundheitsämtern sehr unterschiedlich. In einem Landkreis entscheidet das Gesundheitsamt so, im nächsten anders. Das ist nicht so einfach zu handhaben. Aber die Gesundheitsämter sind eben auch mit einer Situation konfrontiert, die für sie neu und massiv herausfordernd ist.

Vor Kurzem hat die Erlacher Höhe ihren Jahresbericht vorgelegt. Er enthält, wie bei Jahresberichten üblich, auch Zahlenmaterial. Aber andere Sachen – Geschichten über Menschen – stehen im Vordergrund. Was ist die Botschaft, die Sie uns an die Hand geben?

In der Einleitung haben wir geschrieben: „Mit Geschichten vom Gelingen setzen wir bewusst einen Kontrapunkt zu den vielen Geschichten vom Misslingen, die Teil der Wirklichkeit und täglich in den Medien präsent sind, sei es hierzulande oder in der weiten Welt.“ Als wir das geschrieben haben, war Corona noch nicht in Sicht. Der Jahresbericht war gedruckt, bevor es bei uns richtig losging. Wir hatten im Blick, dass an vielen Stellen eine negative Stimmung wahrzunehmen war – Auseinandersetzungen unter der Gürtellinie zwischen politischen Richtungen etwa. Wir wollten nicht einstimmen in das allgemeine Klagen, sondern etwas dagegensetzen. So entstand der Titel: „Geschichten vom Gelingen“.

Welche dieser Geschichten würden Sie herausgreifen wollen?

Zum Beispiel die Geschichte aus Künzelsau. Dort waren drei Männer, die aus unterschiedlichen Gründen als Wohnungslose im Aufnahmehaus gelandet sind. Alle hatten den Wunsch, eine eigene Wohnung zu finden, und alle hatten auf dem Wohnungsmarkt keine Chance. Dann kriegen wir in einem Künzelsauer Teilort eine Wohnung angeboten und sagen: Okay, das können wir versuchen. So entsteht eine Männer-WG. Die weitere Begleitung verläuft sehr erfolgreich, die Männer sind froh, dass sie sich so gefunden haben und sich miteinander arrangieren können. Und irgendwann gelingt es, dass sie sich dauerhaft in einer Wohnung einrichten und fest im Gemeinwesen eines Ortes integriert sind.

Dann beschreiben Sie im Jahresbericht aber auch, „was uns Sorge macht“. Was brennt Ihnen denn unter den Nägeln?

Zum einen natürlich das Coronathema, das das Leben für wohnungslose und einkommensarme Menschen drastisch erschwert. Aber dahinter verschwinden die anderen Themen nicht: zum Beispiel die Wohnungsnot. Momentan ist es überall, auch im ländlichen Raum, in Hohenlohe genauso wie im Schwarzwald und im Rems-Murr-Kreis sowieso, fast unmöglich, geeigneten Wohnraum für Einpersonenhaushalte zu finden. Da gibt es massive Defizite, die unsere Arbeit erschweren.

Zurzeit schüttet der Staat doch eine Menge Geld für Coronahilfen aus. Wird dann womöglich an anderer Stelle eingespart?

Ich hoffe nicht, aber das ist eine Fragestellung, die über dem gesamten sozialen Bereich hängt. In der Vergangenheit war es mehrfach so, dass wir Konjunktureinbrüche teils heftig zu spüren bekamen. Diejenigen, die jetzt als Helden beklatscht werden und die Stellung halten, unterliegen einer gewissen Gefahr, wieder vergessen zu werden, wenn alles vorbei und gut bewältigt ist. Die grundlegenden Fragestellungen in unserer Gesellschaft sind nicht aufgehoben, auch wenn Corona sicherlich bei vielen zum Nachdenken und sicherlich auch zum Hinterfragen von Werthaltungen führt. Aber am Ende könnte es halt wieder so sein, dass derjenige, der in Stuttgart beim Daimler oder beim Porsche ein Auto zusammenbaut, ein Drittel mehr verdient als eine Pflegefachkraft. Da würde ich mir eine Veränderung wünschen. Die Menschen, die sich jetzt mit höchstem Engagement und auch unter Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens einbringen, verdienen, dass am Ende der Krise auch für sie bessere Vergütungen stehen. Wenn es jetzt Einmalzahlungen oder Steuererleichterungen gäbe, fände ich das höchst angemessen.

Im Streit um die Hartz-IV-Kürzungen haben Sie sich ganz entschieden positioniert. Ist das noch ein Thema?

Das Verfassungsgerichtsurteil vom Dezember wird sehr unterschiedlich interpretiert. Jetzt gibt es dazu eine Initiative von Arbeitsministerin Hoffmeister-Kraut, die zusammen mit anderen CDU-Arbeitsministern vorgeprescht ist. Wir haben darauf mit einem offenen Brief reagiert und vor der Wiedereinführung von Totalsanktionen durch die Hintertür gewarnt. Die Ministerin hat sich inzwischen zu einem Gespräch bei uns angekündigt. Darüber freuen wir uns, auch wenn dies jetzt zeitlich durch Corona verrutscht. Wir hoffen, dass Maß und Vernunft erhalten bleiben und Politik respektiert, wenn das Verfassungsgericht sagt: Man kann Menschen nicht an den Rand der Existenz und schon gar nicht um die Wohnung bringen. Wir haben ja in der Vergangenheit erlebt, dass Leute auf der Straße gelandet sind, dass sie auf die Straße gehartzt wurden. Das ist inakzeptabel.

„Es geht um Menschenwürde“, schreiben Sie im Jahresbericht. Damit beziehen Sie sich aber nicht allein auf die Hartz-IV-Thematik.

Zurzeit sind die Menschen wieder mehr in Richtung konservativer Parteien unterwegs und suchen die Sicherheit. Ich finde auch, dass die Bundesregierung in der Summe gerade einen sehr guten Job macht. Trotzdem ist es auch wahr, dass Nazisymbole wieder aus der Mottenkiste auftauchen und fremde oder fremd aussehende Menschen, Rechtsstaat, Religionsfreiheit und andere Werte offen angegriffen werden. Das braucht weiterhin eine selbstbewusste und wehrhafte Demokratie. Die Menschen, für die wir eintreten, sind sehr leicht diejenigen, die dabei unter die Räder kommen. Da werden schnell Opfer produziert. Und dagegen wollen wir uns wenden.

Die Erlacher Höhe entwickelt sich weiter, auch baulich. Was tut sich gerade?

Wir haben viele Bauprojekte am Laufen oder in Planung, zum Beispiel das Vorhaben Therapeutische Wohngemeinschaft (TWG) Backnang, für das wir jetzt den Roten Punkt haben. Gerade sind wir mit den Kostenträgern im Gespräch, wie das Projekt aufgesetzt wird. Wir wollen im Rahmen unserer Möglichkeiten Wohnraum schaffen und für Verbesserungen eintreten. Murrhardt ist mit seiner TWG auch mit dabei, da läuft jetzt der nächste Bauabschnitt.

Und bei der Hellen Platte soll es ein neues Gemeinschaftsgebäude geben?

Das ist kurz vor der Fertigstellung. Eigentlich wollten wir es beim Jahresfest der Öffentlichkeit zeigen. Die Gebäudehülle steht, die Installationen sind drin, jetzt folgt noch der Innenausbau. Aber das Jahresfest fällt aufgrund der aktuellen Lage aus. Dann wird die Einweihung wohl im Herbst sein.

Und was kommt in nächster Zeit weiter? Was hat es mit dem neuen Pflegeheim in Erlach auf sich?

Wir haben eine sehr starke Nachfrage, weil es nur wenige Pflegeheime im Land gibt, die auf unseren Personenkreis spezialisiert sind. Außerdem kommt auch aus der Wohnbevölkerung vermehrt Nachfrage. Im jetzigen Pflegeheim, das wir im 14. Betriebsjahr haben, müssten wir wegen der aktuellen Bestimmungen ganz erhebliche Umbauten machen. Das ist baulich praktisch nicht zu machen. Deshalb prüfen wir einen Neubau.

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Erstellt:
4. Mai 2020, 06:00 Uhr

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