Große Resonanz auf „Backnanger Appell“

Gleich am ersten Tag haben mehr als 1700 Frauen und Männer die Onlineresolution für Solidarität und Rücksichtnahme unterzeichnet. Neben viel Zuspruch gibt es aber auch Kritik: Manche befürchten, die Aktion könnte die Spaltung der Stadtgesellschaft noch vertiefen.

Timo Haible betreut die Website für den „Backnanger Appell“. Gestern war das SPD-Mitglied damit beschäftigt, die Namen von vielen Hundert Unterzeichnern auf der Internetseite freizuschalten.Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Timo Haible betreut die Website für den „Backnanger Appell“. Gestern war das SPD-Mitglied damit beschäftigt, die Namen von vielen Hundert Unterzeichnern auf der Internetseite freizuschalten.Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Gernot Gruber ist verblüfft: „Ich hatte insgeheim auf 1000 Unterstützer gehofft“, verriet der Backnanger SPD-Landtagsabgeordnete gestern. Dass sich neben den 70 Erstunterzeichnern gleich am ersten Tag mehr als 1700 weitere Frauen und Männer hinter den sogenannten „Backnanger Appell“ gestellt haben, wertet er als großen Erfolg: „Das zeigt, dass wir mit unserem breiten, parteiübergreifenden Ansatz richtig lagen.“ Der Vorsitzende des Backnanger SPD-Ortsvereins hatte die Aktion zusammen mit Heinz Franke, dem Fraktionschef im Gemeinderat, initiiert, nachdem er mehrfach aus der Bürgerschaft angesprochen worden war: „Viele hatten das Bedürfnis, ein Zeichen zu setzen.“

Auf der Liste der Unterzeichner finden sich bekannte Namen aus Backnang, aber auch aus umliegenden Gemeinden, zum Beispiel Bürgermeister Reinhold Sczuka aus Althütte, Juliane Putzmann vom Bandhaus Theater oder Peter Claußnitzer, Geschäftsführer bei der Firma Harro Höfliger. Sie alle unterstützen den „Backnanger Appell für Solidarität, Demokratie und Rücksichtnahme“, mit dem die Initiatoren auch einen Gegenpol zu den sogenannten Spaziergängen setzen wollten, die Gegner der Coronamaßnahmen seit Dezember jeden Montag in Backnang veranstalten.

Die große Resonanz auf die Internetaktion ist für Gruber der Beleg dafür, dass die „Spaziergänger“ nur eine Minderheitenmeinung vertreten. Das sieht auch der Backnanger Oberbürgermeister Maximilian Friedrich so: „Die Aktion zeigt, dass es sehr viele Menschen gibt, die es anders sehen.“ Friedrich selbst gehört auch dazu und hat den Appell deshalb ohne zu zögern unterschrieben: „Der Text gibt auch mein Stimmungsbild wieder“, erklärt der OB. Die geltenden Coronamaßnahmen sind in seinen Augen „sinnvoll und vernünftig.“

Dass sich die Gegenbewegung bis jetzt nur virtuell und nicht auf der Straße formiert, begründet Gernot Gruber mit den hohen Infektionszahlen. Selbst mit Masken und Abstand bedeute eine Versammlung mit mehreren Hundert Teilnehmern ein erhöhtes Risiko. „Außerdem wollen wir der Polizei nicht noch zusätzlichen Aufwand verursachen.“ Die vielen Demonstrationen in zahlreichen Orten belasteten die Ordnungskräfte ohnehin schon massiv.

Neben viel Zustimmung gibt es aber auch Kritik an der Aktion. Die kommt zum Beispiel von Stadträtin Charlotte Klinghoffer. Sie und ihre Kollegen von der Fraktion Bürgerforum/FDP/BIG haben den „Backnanger Appell“ bewusst nicht unterschrieben: „Dieser Appell trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei und das unterstützen wir nicht“, sagt Klinghoffer. Die Stadträtin ist laut eigener Aussage geimpft und geboostert, hat aber Verständnis für Menschen, die eine Impfung kritisch sehen: „Es bringt doch nichts, wenn wir immer noch mehr Druck aufbauen. Wir müssen auch andere Meinungen akzeptieren“, findet die Unternehmerin. Dass sich OB und Verwaltungsspitze nun im Internet öffentlich gegen die Proteste wenden, findet Charlotte Klinghoffer nicht richtig: „Das ist Propaganda und trägt zur Polarisierung bei. Ich hätte die Spaziergänge lieber geduldet, es war doch alles friedlich.“

Kritisch äußert sich auch die Backnanger Unternehmensberaterin Petra Pfeiffer. Als sie den Appell im Internet gesehen habe, habe sie zunächst überlegt, ihn zu unterzeichnen. Beim genaueren Durchlesen kamen ihr dann aber Zweifel. Gestört hat sie vor allem dieser Satz: „Vor diesem Hintergrund bedauern wir, dass so viele Menschen in Backnang und Umgebung bei so genannten ,Spaziergängen‘ gegen die Corona-Maßnahmen – oft ohne Abstand und Masken – die notwendige Solidarität vermissen lassen.“ Das sei doch kein Appell zum Zusammenhalt, sondern eine Schuldzuweisung, findet Pfeiffer: „So etwas vertieft die Spaltung eher“. Die Selbstständige plädiert dafür, die Emotionen rauszunehmen und die Diskussion auf eine sachliche Ebene zu bringen: „Wir sollten das Gemeinsame suchen, denn wir wollen doch alle weiter in dieser Stadt zusammenleben.“

Diesen Wunsch teile auch er, versichert Gernot Gruber: Ihm und den anderen Unterzeichnern des „Backnanger Appells“ gehe es nicht darum, Andersdenkende zu stigmatisieren: „Jemand, der sich nicht impfen lässt, ist deshalb kein schlechterer Mensch.“ Allerdings dürfe man von allen ein gewisses Maß an Rücksichtnahme und Solidarität einfordern. Und wenn die „Spaziergänger“ unangemeldet, ohne Masken und Abstand durch die Stadt marschierten, dann sei das eine bewusste Provokation. Trotzdem sei es ihm wichtig, niemanden auszugrenzen und Brücken zu bauen, sagt Gruber: „Dazu ist jeder von uns bereit.“

Homepage Alle Bürger, die sich der Initiative anschließen wollen, können den Appell unter https://backnanger-appell.de online unterzeichnen.
Kommentar
Ein starkes Zeichen der Mehrheit

Von Kornelius Fritz

Bis zu 1500 Menschen sind in den vergangenen Wochen immer montags durch die Backnanger Innenstadt gezogen. Backnang ist damit so etwas wie die Kreishauptstadt der Coronaproteste geworden. Eine zweifelhafte Ehre, der nun bereits mehr als 1700 Unterzeichner des „Backnanger Appells“ ein starkes Zeichen entgegensetzen: Nicht ihr seid die Mehrheit, sondern wir.

Bemerkenswert ist diese Aktion vor allem deshalb, weil es den Initiatoren gelungen ist, fast die gesamte Stadtgesellschaft hinter sich zu vereinen: Schulleiter und Ärzte, Vereinsvertreter und Kirchenleute.

Streiten kann man allerdings über den Text. War es wirklich nötig, die „Spaziergänger“ öffentlich als unsolidarisch anzuprangern? Vorwürfe erzeugen nur Gegenvorwürfe und lassen die Fronten verhärten. An wen sich dieser Appell richtet, wäre auch klar gewesen, ohne es ausdrücklich zu erwähnen.

k.fritz@bkz.de

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Erstellt:
28. Januar 2022, 06:00 Uhr

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