Große Verunsicherung bei Gastronomen

Erst harte 2-G-plus-Regelung, dann rudert die Landesregierung zurück und lässt Ausnahmen zu. Dehoga-Chef Michael Matzke spricht von einer Katastrophe, auch wegen der vielen Stornierungen. Die Wirte der Gasthäuser Kunberger und Löwen sowie Storchen und Merlin sind sauer.

Kunberger-Wirtin Petra Wolf (links) bietet ihren Gästen an, einen Schnelltest zu beaufsichtigen, der dann gültig für ihr Lokal ist. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Kunberger-Wirtin Petra Wolf (links) bietet ihren Gästen an, einen Schnelltest zu beaufsichtigen, der dann gültig für ihr Lokal ist. Foto: A. Becher

Von Florian Muhl

Backnang. „Langsam wissen wir nicht mehr, was nun Wahrheit und was nun Politik ist und was nun vorausschauend ist, was nun nachhaltig ist, also es ist... eine Katastrophe.“ Michael Matzke spricht Klartext. Der erste Vorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Rems-Murr spricht den Backnanger Gastronomen aus der Seele. Zu groß war die Verwirrung und Verunsicherung, die die Landesregierung in den vergangenen Wochen und insbesondere in den letzten vier Tagen gestiftet hat. Zuerst die Ankündigung 2Gplus in den Gaststätten, also Tests auch für Geimpfte und Genesene. „Danach setzte eine Stornierungswelle ohne Ende ein“, sagt Matzke.

Am Sonntag dann die Ausnahmen der 2-G-plus-Regelung, die die Landesregierung als „Klarstellung“ verkauft. Matzke nennt es anders: „Dann rudert man wieder zurück.“ Jetzt müssen sich Personen, die entweder eine Boosterimpfung haben oder die, bei denen seit der zweiten Impfung oder einer Genesung noch keine sechs Monate vergangen sind, vor einem Gaststättenbesuch nicht mehr zusätzlich noch testen lassen (siehe Infokasten). Auf der einen Seite sei es natürlich viel besser als vorher, meint der Dehoga-Chef. Aber er rechnet damit, dass jetzt auch viele Gäste doch verunsichert sind und wegbleiben. „Also es ist ein heilloses Durcheinander momentan“, schimpft Matzke.

Schon die 2-G-Regel hat dazu geführt, dass viele Weihnachtsfeiern abgesagt worden sind, sagt der Vorsitzende. Meist lautete der Grund, dass man den Betriebsfrieden nicht stören wolle, nach dem Motto: „Die einen dürfen, die anderen nicht.“ Betriebe hätten damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: keinen Ärger und Geld gespart. Die 2-G-plus-Ankündigung habe dann die zweite Stornierungswelle ausgelöst. Matzke nennt als Beispiel die Verunsicherung, die im Hotelgewerbe herrschte: „Ein Hotelgast braucht alle drei Tage einen Test. Wenn der aber morgens zum Frühstück ins Restaurant gehen will, dann muss er einen täglichen Test machen. Dieses ganze Hickhack stand dann im Raum, keiner wusste so richtig, wo’s langgeht. Und jetzt das Zurückrudern. Aber das große Geschäft ist kaputt.“

„Das ganz Weihnachtsgeschäft geht uns flöten, alle großen Feiern, locker zehn Stück, sind abgesagt“, klagt Kunberger-Wirtin Petra Wolf. Ihr erster Gedanke nach der 2-G-plus-Ankündigung war, ihre Weinstube dichtzumachen und nur noch Essen to go anzubieten. Dann aber würden die Gäste der drei kleineren Weihnachtsfeiern darunter leiden, die noch nicht abgesagt hätten. „Wir probieren es jetzt mal eine Woche, weil ich weiß wirklich nicht, wie es die Leute annehmen, ob sie kommen oder nicht. Und parallel dazu machen wir to go.“

Sollten Gäste kommen wollen, die doch einen Test benötigen, aber keinen vorweisen können, hat Petra Wolf die Möglichkeit, einen Schnelltest zu beaufsichtigen, der dann bei negativem Ausgang als einmalige Eintrittskarte für den Kunberger-Besuch gilt. So wolle sie verfahren, „bis halt wieder die neue Verordnung kommt, täglich ändert sich das ja. Momentan ist es so, da halten wir uns natürlich dran.“

Angesichts der 2-G-plus-Ankündigung hatten die Löwen-Betreiber Simone und Markus Hilt rasch reagiert und beschlossen, die Gaststube zu schließen und nur noch für Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern zu öffnen. Allerdings wollten sie Essen zum Mitnehmen anbieten. „Aber es bleibt nun doch alles beim Alten, unsere Gaststube bleibt geöffnet. Und zusätzlich bleibt unser Mitnahmeangebot bestehen“, so Simone Hilt gestern, nachdem die Landesregierung die Ausnahmeregelung veröffentlicht hatte. Die Gastronomin denkt, dass die Zahl der Gäste, die in die Gaststube kommen wollen, weiter abnehmen wird. „Schon bei der 2-G-Regelung ist’s Geschäft zurückgegangen. Ich denke, dass viele doch eher das Essen mitnehmen möchten.“

„Auf jeden Fall lasse ich die erste Woche auf“, sagt Storchen-Wirt Dimitrios Pinakas. Er hat festgestellt, dass derzeit verdammt wenig los ist. „Es kommen weniger Gäste. Das war schon so, als 2G kam. Die Leute sind schon verängstigt.“ Zudem registriere er viele Absagen, beispielsweise eine Weihnachtsfeier am vergangenen Freitag mit 20 Personen und eine Geburtstagsfeier am Samstag mit 40 Gästen.

Christos Kiroglou, Inhaber der Bar und des Restaurants Merlin in Backnang, den die meisten „Taki“ nennen, sagt „undurchdringlich, keiner weiß Bescheid“, als er nach der neuen Coronaverordnung befragt wird. „Das größte Problem, das wir gerade haben, ist die ältere Generation. Die checkt mittlerweile gar nichts mehr.“ Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet sagt Kiroglou, dass er nach einem ersten 50-Prozent-Rückgang jetzt durch die erneute Diskussion und Verordnung einen weiteren Umsatzeinbruch verkraften müsse. Die Leute seien sehr unsicher. „Bei uns sind alle größeren Weihnachtsfeiern abgesagt worden.“ Tanzveranstaltungen gibt’s auch keine mehr. „Alle Discos und Klubs sind zu. Das ist bestimmt für einige der Todesstoß.“

Überarbeitete Coronaverordnung des Landes mit Ausnahmeregelungen

Regelung In der Alarmstufe II gilt für den Zugang zum Restaurant (auch Hotelrestaurant)

2Gplus, das heißt, auch Geimpfte und Genesene benötigen neben ihrem Impf- und Genesenennachweis noch einen negativen Antigen- oder PCR-Test.

Ausnahmen Ausgenommen von der Testpflicht sind folgende Personen:

Personen mit einer Boosterimpfung

Personen ohne Boosterimpfung, die aber wegen ihres Immunzustands Personen mit einer Boosterimpfung gleichgestellt sind, das sind:

Geimpfte mit abgeschlossener Grundimmunisierung, wenn seit der letzten erforderlichen Einzelimpfung nicht mehr als sechs Monate vergangen sind

Genesene, deren Infektion nachweislich maximal sechs Monate zurückliegt (Nachweis der Infektion durch Labor- oder PCR-Test)

Schließung Discotheken, Klubs und klubähnliche Lokale müssen in der Alarmstufe II ausnahmslos für alle Personen (für Ungeimpfte wie auch für Geimpfte und Genesene) landesweit schließen.

Übergangsregelung Noch bis zum 31. Januar haben alle noch nicht vollständig immunisierten Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren die Möglichkeit, über tagesaktuelle Antigen-Schnelltests Zutritt zu allen 2-G-Einrichtungen zu erhalten. Die Landesregierung geht davon aus, dass auch alle Jugendlichen ab zwölf Jahren bis zum Ablauf dieser nun nochmals verlängerten Frist die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen.

Kulanz Wegen der Kurzfristigkeit der Einschränkungen hat das Sozialministerium erklärt, bei der Kontrolle in der ersten Woche Kulanz zu üben und von der Ahndung von Verstößen zunächst abzusehen.

Zum Artikel

Erstellt:
7. Dezember 2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen