Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus ist umstritten, nicht nur erklärte Impfgegner sehen sie kritisch. Wir wollten von Entscheidungsträgern aus verschiedenen Bereichen wissen, wie sie dazu stehen.

Wie weit darf der Staat gehen, damit sich seine Bürgerinnen und Bürger gegen Corona impfen lassen? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander, nicht immer wird dabei nur sachlich diskutiert. Foto: Imago

© imago images/Karina Hessland

Wie weit darf der Staat gehen, damit sich seine Bürgerinnen und Bürger gegen Corona impfen lassen? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander, nicht immer wird dabei nur sachlich diskutiert. Foto: Imago

Von unserer Redaktion

Maximilian Friedrich, Oberbürgermeister Backnang: Von besonderer Bedeutung ist für mich, wie wir das Ziel einer nachhaltigen, dauerhaft tragfähigen und gerechten Beherrschung der Pandemie erreichen, ohne die Spaltungen in der Gesellschaft noch weiter zu vertiefen. Dabei sollte eine Impfpflicht als Ultima Ratio nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erachte ich sie aber als unverhältnismäßig. Die Omikron-Variante ist zwar deutlich ansteckender gegenüber ihrem Ursprung, aber offensichtlich mit durchschnittlich geringeren Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem. Es gibt zweifellos viele gute Gründe für eine Impfung und ich werbe dafür, sich impfen und boostern zu lassen, sofern keine medizinischen Gründe dem entgegenstehen. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir mit anderen Maßnahmen die Impfquote auch auf freiwilliger Basis weiter erhöhen können. Beispielsweise könnten mithilfe verpflichtender Impfberatungen Vorbehalte gegen eine Impfung abgebaut und stattdessen mehr Akzeptanz erreicht werden.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

© Alexander Becher

Richard Sigel, Landrat Rems-Murr-Kreis: Ich spreche mich klar für eine allgemeine Impfpflicht aus. Ich halte eine allgemeine Impfpflicht für ehrlicher als eine Impfpflicht durch die Hintertür mit Coronamaßnahmen für Ungeimpfte. Wie schwierig sich eine Impfpflicht für einzelne Berufsgruppen praktisch und gerecht umsetzen lässt, zeigt die aktuelle Diskussion. Eine politische Debatte ist wichtig, aber ich bin der Meinung, dass man das Thema auch nicht zerreden sollte – in der Hoffnung, dass sich eine politische Entscheidung erledigt. Nur eine allgemeine Impfpflicht sichert nach meinem Dafürhalten auf Dauer mehr Normalität: Für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, für betroffene Unternehmen und Branchen und ganz besonders für unsere Kinder und Jugendlichen.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

© KD BUSCH.COM

Inge Gräßle, Bundestagsabgeordnete der CDU: In der Frage einer Impfpflicht bin ich nach wie vor unentschieden. Aktuell lese ich viel und habe in drei Online-Veranstaltungen die Bürgerinnen und Bürger in meinem Wahlkreis nach ihrer Meinung gefragt. Die Sprachlosigkeit zwischen den Gruppen und die Gefahr der Spaltung unserer Gesellschaft macht mir Sorgen. Gesundheitliche Bedenken habe ich weniger: Noch nie wurde ein neuer Impfstoff milliardenfach so erfolgreich verimpft. Meine Sorgen sind eher praktischer und rechtlicher Natur: Eine Impfpflicht ist ein erheblicher Eingriff in unsere Grundrechte und muss gut begründet werden. Die gestellten Fragen sind berechtigt und warten noch auf kluge Antworten. Hier wäre die Bundesregierung gefordert gewesen, einen vernünftigen Entwurf vorzulegen – doch Scholz und Co. verstecken sich ja leider hinter dem Parlament.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

© Thomas Zehnder

Ricarda Lang, Bundestagsabgeordnete der Grünen: Noch vor zwölf Monaten hätte ich mich gegen eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Doch die Realität zeigt, dass wir eine verdammt hohe Impfquote brauchen, um der Überlastung unseres Gesundheitssystems vorzubeugen und zu verhindern, dass wir unkontrolliert von Welle zu Welle rutschen. Deshalb setze ich mich im Bundestag dafür ein, dass wir eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren auf den Weg bringen. In puncto Freiheit müssen wir hier abwägen: Auf der einen Seite steht der Eingriff durch die Impfpflicht, doch auf der anderen stehen die massiven Freiheitseinschränkungen durch die Maßnahmen, die immer wieder notwendig sind. Und diese treffen uns alle. Die allgemeine Impfpflicht hat damit eine positive Freiheitsbilanz, sie schützt unsere Freiheit.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

Wilfried Braun, evangelischer Dekan im Kirchenbezirk Backnang: Mit der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Bayern im Jahr 1809 hat der Siegeszug gegen die Pocken begonnen. 171 Jahre später konnte die WHO die weltweite Ausrottung dieser heimtückischen Krankheit feststellen. Auch die vor allem auf Schulen und Kitas bezogene Impfpflicht gegen Masern wird selten infrage gestellt. Sowohl für eine allgemeine als auch für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht gibt es also Erfahrungswerte, die zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen können. Andererseits liegt offen zutage, dass sich Ängste kaum je mit der Festsetzung von Pflichten haben beseitigen lassen. So sehr wir als Kirche für eine Impfpflicht plädieren möchten – nicht zuletzt, um eine Ungleichbehandlung der Mitarbeitenden in verschiedenen Bereichen zu vermeiden – so deutlich sehen wir doch die Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeiten und persönliche Befindlichkeiten nicht aus dem Auge zu verlieren.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

© Edgar Layher

Reiner Möller, Präsident des Polizeipräsidiums Aalen: Ich bin für eine allgemeine, zeitlich befristete Impflicht, weil ich davon überzeugt bin, dass wir die Pandemie nur mit einer solchen überwinden können. Leider müssen wir im zweiten Jahr der Pandemie feststellen, dass die bisherige Impfbereitschaft für eine Herdenimmunität nicht ausreicht und wir so auch für künftige Wellen nicht gewappnet sind. Ich habe große Sorge, dass wir uns ohne Impflicht nicht aus der Spirale samt Einschränkungen befreien können und dies zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führt. Ich halte verschiedene Modelle für denkbar. Wichtig wäre mir eine allgemeine Impflicht und nicht eine berufsbezogene. Die Regelung muss rechtssicher und alle Fragen der Umsetzung, der Sanktionierung et cetera müssen im Detail geklärt sein. Ich hoffe, dass wir dadurch zur „neuen“ Normalität zurückkommen. Dass also wieder alles für alle möglich ist und wir das soziale Leben wieder in vollen Zügen aufnehmen können. Sorge habe ich, dass eine Minderheit auch hiergegen demonstriert und meine Kolleginnen und Kollegen weitere Aggressionen erfahren.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

Sabine Laible, stellvertretende Geschäftsführerin des Alten- und Pflegeheims Staigacker in Backnang: Was die Impfpflicht angeht, tue ich mich sehr schwer damit, mich zu positionieren. Ich bin fürs Impfen – dahinter stehe ich zu 100 Prozent. Ob man dafür eine Pflicht braucht, weiß ich nicht. Ich befürchte, dass sich dadurch manche radikalisieren oder an den rechten Rand rutschen könnten. Ich glaube, wenn wir die Pandemie irgendwann in den Griff bekommen und zu einer gewissen Normalität zurückkehren wollen, ist es notwendig, dass sich alle impfen lassen. Gleichzeitig glaube ich, dass wir dazu auch die Durchseuchung der Bevölkerung brauchen – aber es ist natürlich besser, wenn bis dahin alle geimpft sind, damit die Verläufe möglichst mild sind. Eine berufs- oder altersbezogene Impfpflicht fände ich total unfair – falls die Impfpflicht kommt, dann sollte sie für alle ab 18 Jahren gelten.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

© privat

Stephan Schönfeld aus Murrhardt, stellvertretender Vorsitzender der Ärzteschaft Backnang: Ob es eine Impflicht geben soll, kann ich nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten, es ist für mich ein kontroverses Thema. Einerseits könnte eine Impflicht bewirken, dass sich bisher Ungeimpfte bald impfen lassen. Das wiederum könnte Vorteile für den Geimpften und die Gesellschaft haben, da eine Impfung vor einem schweren Krankheitsverlauf und damit möglichen Krankenhausaufenthalt schützen kann – und somit auch vor einer Überlastung des Gesundheitswesens. Andererseits birgt die Impfpflicht die Gefahr, dass die Gräben in der Gesellschaft vertieft werden, dies zu einer noch größeren Spaltung führt. Druck erzeugt häufig mehr Gegendruck. Ziel sollte eine noch besser informierte, aufgeklärte Gesellschaft sein, in der wir uns noch stärker der Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen bewusst sind. Ich halte es für wichtig, die Sorgen der Menschen auf beiden Seiten ernst zu nehmen, noch besser zu kommunizieren und aufklärend zu überzeugen, dass nach aktuellem Wissensstand bei einer Impfung die positiven Effekte für den Einzelnen und die Gesellschaft überwiegen.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

Irmtraud Wiedersatz, Bürgermeisterin Burgstetten: Ich halte die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht gegen Covid-19 nicht für sinnvoll. Grundlegende Fragen zu den neuen Impfstoffen sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht geklärt. Dazu gehören insbesondere Dauer und Stärke des Impfschutzes sowie Art, Häufigkeit und Stärke der Nebenwirkungen. Daher muss eine Entscheidung für oder gegen die Covid-19-Impfung von jedem individuell getroffen werden können. Aufgrund der vielen Impfdurchbrüche, selbst bei geboosterten Personen, wird die Pandemie durch die Impfung nicht beendet sein. Trotz Impfungen sind Infektionen und Weitergabe der Viren zu jedem Zeitpunkt möglich. Zudem umgehen neue Virusvarianten den Impfschutz immer erfolgreicher. Die Entwicklung und Verimpfung angepasster Impfstoffe dauert derzeit noch zu lange, um die Bevölkerung rechtzeitig zu immunisieren. Auch ist das Risikopotenzial von Mehrfachimpfungen unzureichend erforscht. Die Einführung der gesetzlichen Impfpflicht führt zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft und zur Ausgrenzung und strafrechtlichen Verfolgung von Bürgerinnen und Bürgern, die sich aus medizinischen, weltanschaulichen, religiösen oder anderen Gründen bewusst gegen eine Impfung entschieden haben.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

© Jörg Fiedler

Claus Paal, Präsident der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr: Impfen ist nach meiner persönlichen Überzeugung und nach der viel maßgeblicheren fachlichen Meinung der meisten Experten das Mittel der Wahl, um die Pandemie in absehbarer Zeit zu überwinden und Leben zu retten. Dass der Sinn einer Impfpflicht durchaus umstritten ist, zeigt sich daran, dass es sogar innerhalb der Bundesregierung verschiedene Meinungen dazu gibt. In der Wirtschaft gibt es eine ähnlich differenzierte und engagierte Diskussion zum Thema Impfpflicht wie in der Gesellschaft insgesamt, die auch je nach Branche sehr unterschiedlich ausfällt. Ich persönlich kann mir eine Impfpflicht in kritischen Bereichen vorstellen und bin bereit, eine generelle Impfpflicht zu diskutieren, wenn Fachleute plausibel die Notwendigkeit darlegen können. Unabhängig davon hat die IHK bereits früh einen starken Beitrag zum Impfen geleistet: mit intensiver Beratung, mit der Unterstützung von Impfaktionen in Unternehmen und der Durchführung eigener Impfaktionen.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

© Gabriel Habermann

Karin Moll, geschäftsführende Schulleiterin in Backnang: Ich spreche mich gegen eine allgemeine Impfpflicht aus. In Deutschland wurden noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, den Weg zur Impfung leicht zu machen. Ich vermisse barrierefreie Internetportale zur Terminierung der Impfungen, eine Vielzahl von niederschwelligen Impfangeboten, kurze ansprechende Informationen zur Impfung in vielen Sprachen oder Erklärvideos. Vernünftig wäre aus meiner Sicht eine Impfpflicht für Menschen ab 60 Jahren, für Menschen in medizinischen Berufen und in der Pflege, für Menschen mit Vorerkrankungen. Alle anderen müssen davon überzeugt werden, dass ein schwerer Verlauf einer Covid-Erkrankung gefährlicher als die Impfung ist. Sich impfen zu lassen ist für mich ein Zeichen der Solidarität.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

© Pressefotografie Alexander Beche

Gunnar Stuhlmann, Rechtsanwalt aus Weissach im Tal: Generell spricht vieles für eine Impfpflicht. Aber jedem sollte klar sein, dass mögliche Folgeimpfungen alle drei Monate, wie von Herrn Lauterbach avisiert, immer schwerer vermittelbar sein werden. Auch ist es kaum umsetzbar, alle Bürger regelmäßigen Boosterimpfungen zu unterziehen. Ich halte daher eine Impfpflicht ab 50 Jahren für die beste Lösung. Hierbei schützen wir die vulnerablen Gruppen und grenzen die Menge der Impflinge hinreichend ein. Bei der Frage der Sanktionierung sollte man Realismus walten lassen. Als Jurist befürchte ich bei einer Impfpflicht ab 18 Jahren eine Klageflut und ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft. Bei einer Pflicht ab 50 Jahren erhoffe ich mir eine höhere Zustimmungsrate.

Hilft eine Impfpflicht? Zweifel bleiben

Zum Artikel

Erstellt:
2. Februar 2022, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen