Homeoffice hat sich vielfach etabliert

Die Politik erwägt angesichts des verschärften Pandemiegeschehens, eine Homeoffice-Pflicht einzuführen. Wir haben uns bei Verwaltungen und Unternehmen der Region umgehört, inwieweit das mobile Arbeiten schon praktiziert wird.

Videokonferenz statt Präsenzmeeting: In Coronazeiten trifft man sich zur Besprechung verstärkt im virtuellen Raum. Foto: B. Romanowski

Videokonferenz statt Präsenzmeeting: In Coronazeiten trifft man sich zur Besprechung verstärkt im virtuellen Raum. Foto: B. Romanowski

Von Bernhard Romanowski

BACKNANG. „Wir leben das. Bei uns wird das sehr skandinavisch gehandhabt, sehr weitreichend und nachhaltig“, antwortet Landrat Richard Sigel auf die Frage, wie man das Thema Homeoffice in der Verwaltung des Rems-Murr-Kreises umsetzt. Sigel, der den skandinavischen Vergleich bemüht, weil er geraume Zeit in Schweden gelebt hat, lässt wissen, dass die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten im Waiblinger Landratsamt schon vor Corona, genauer gesagt schon in einer Dienstverordnung im Jahr 2018 festgeschrieben wurde. Es gibt einen über 60-seitigen Corona-Leitfaden, der stets aktualisiert wird. Darin ist zum Beispiel geregelt, wie die coronagerechte Belegung der Büros zu erfolgen hat, er enthält Passagen zum Thema Kinderbetreuung und zu den Bestimmungen für Reiserückkehrer.

„Stand Januar 2021 sind bereits 515 Notebooks mit Verschlüsselungstechnik im Landratsamt im Einsatz. Mit Blick auf die bestehende Vollzeitäquivalenz im Landratsamt von rund 1300 sind dies fast 50 Prozent und wiederum in Relation zu den Mitarbeitenden sind nahezu ein Drittel mit mobilen Endgeräten ausgestattet“, zählt Sigel auf. Ebenso seien 611 Headsets und 34 zusätzliche Kameras für Konferenzen an Desktop-PCs im Einsatz. „Mit 166 Handys und 246 iPhones unterstützen wir im Moment zudem die Erreichbarkeit“, so der Landrat weiter. Ab Februar werde ein neues Softwaresystem in der Fläche eingeführt, mit dem künftig das Telefon mit all seinen Möglichkeiten auf dem Rechner abgebildet wird, um die Erreichbarkeit im Homeoffice sicherzustellen. „Rufumleitungen sowie die Nutzung privater Anschlüsse sind dann hinfällig“, erklärt Richard Sigel.

Die Digitalisierung ist auch Thema beim Führungskräftetreffen im Landratsamt.

Darüber hinaus bestehe bereits seit Mitte des letzten Jahres die Möglichkeit, sich von jedem Endgerät in das Intranet des Landratsamts einzuwählen. Sigel: „Das ermöglicht unseren Mitarbeitern einen datengeschützten Zugriff auf die beruflichen E-Mails von überall aus. Im Vergleich zu anderen Verwaltungen ist das Landratsamt hier bereits sehr gut aufgestellt.“ Der Ausbau mit mobilen Endgeräten werde weiter mit Priorität vorangetrieben. Bereits seit drei Jahren erhalten alle Auszubildenden des Rems-Murr-Landratsamts einen Tablet-PC.

Auch bei einem nächsten Führungskräftetreffen werde das Thema „Digital Leadership“, also die digitale Transformation von Führungsprozessen, und damit auch das Thema Homeoffice auf der Agenda stehen. Landrat Sigel hat dazu die Stuttgarter Agentur The New Normal ins Boot geholt, um diesen Prozess fachkundig zu begleiten. Es sei noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, zumal manche Führungskräfte oder Firmenchefs nichts von Homeoffice hielten. Diese unterstellten den Mitarbeitern im Homeoffice Untätigkeit und erzeugen bei ihnen ein schlechtes Gewissen. „Das darf nicht sein. Mir persönlich ist das wichtig. Von einer Verordnung halte ich nichts. Es ist eine Einstellungssache. Man muss es vorleben“, so der Landrat entschieden.

Auch bei der Kreissparkasse Waiblingen wurde bereits vor Beginn der Coronapandemie das mobile Arbeiten flächendeckend eingeführt, wie Axel Kröninger berichtet. „Wir haben im Jahr 2020 über 500 Geräte für das mobile Arbeiten zur Verfügung gestellt. Über die Hälfte der Beschäftigten der Sparkasse nutzen aktuell das Angebot“, so der Sprecher des Unternehmens weiter. Es seien bewusst keine starren Regeln für die Handhabung des mobilen Arbeitens festgelegt worden. „Die Ausgestaltung erfolgt vor Ort und nach Bedarf in den einzelnen Teams. Natürlich muss hierfür die Tätigkeit beziehungsweise Aufgabenerfüllung auch mobil möglich sein. Insgesamt haben wir bisher sehr positive Erfahrungen mit dem mobilen Arbeiten gemacht“, betont Kröninger.

Daher werde das Thema auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Kreissparkasse spielen und soll aktiv weiterentwickelt werden. Kröninger: „Da wir ja bereits das Thema freiwillig anbieten, dürfte eine gesetzliche Verankerung für die Kreissparkasse keine große Auswirkung haben.“

Die Coronapandemie hat den bereits eingeläuteten digitalen Wandel auch bei uns im Haus beschleunigt, wie Jürgen Beerkircher von der Volksbank Backnang erzählt. „Wir setzen im Moment verstärkt auf das mobile Arbeiten von zu Hause aus. Seit Anfang 2020 wurden große Teile unserer Volksbank mit mobilen Arbeitsplätzen ausgestattet. Dort, wo es die Arbeitsabläufe erlauben, können unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten“, so der Vorstandsvorsitzende. Insgesamt sei rund die Hälfte aller Arbeitsplätze des Geldinstituts so umgestellt, dass mobiles Arbeiten möglich ist. Zudem werde regelmäßig geprüft, ob auch wirklich alle Möglichkeiten des mobilen Arbeitens ausgeschöpft sind. Das mobile Arbeiten klappe sehr gut, zum Beispiel per Video-Konferenz. „Grundsätzlich schade ist es natürlich, dass man sich nicht von Angesicht zu Angesicht begegnen kann. Ich denke, wir alle vermissen derzeit persönliche Begegnungen, aber der Schutz der Gesundheit geht da vor. Um trotzdem Nähe und Kontakte innerhalb der Belegschaft zu ermöglichen, veranstalten wir demnächst zum Beispiel ein gemeinsames virtuelles Koch-Event, bei dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsam am Herd stehen – aber eben digital und von der eigenen Küche aus“, kündigt Beerkircher an. Man wolle kreative Lösungen finden, um sich nicht aus den Augen zu verlieren. Die digitalen Möglichkeiten setzt die Volksbank Backnang im Kontakt mit ihren Kunden ein. „Wir beraten sie im Moment verstärkt über den PC per Video. Die Kunden sehen unsere Berater, man spricht miteinander und bekommt Berechnungen und andere Dinge am heimischen PC gezeigt“, so der Vorstandschef. Das sei unheimlich praktisch und werde sehr gut angenommen. Beerkircher: „Ich denke, die modernen technischen Möglichkeiten werden wir auch unabhängig von Corona nutzen.“ Und was hält der Volksbankchef vom Vorstoß einiger Politiker, Homeoffice gesetzlich zu verankern? „Verordnen sollte man da nichts. Es liegt in der Verantwortung der jeweiligen Geschäftsführung, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Präsenz und mobilem Arbeiten zu finden. Dabei sind auch soziale Kontakte wichtig. Grundsätzlich hilfreich für mehr mobiles Arbeiten wäre es aber auch, steuerliche und bürokratische Hemmnisse abzubauen“, so Beerkircher.

„Wo immer und so viel wie möglich ist von Homeoffice Gebrauch zu machen.“

In der Bezirksdirektion Ludwigsburg-Rems-Murr der AOK Baden-Württemberg wird seit dem ersten Lockdown im März 2020 überwiegend vom Homeoffice aus gearbeitet, nachdem die technischen Voraussetzungen dafür bereits im Vorfeld geschaffen worden waren. „Wo immer und so viel wie möglich ist davon Gebrauch zu machen – dies auch vor dem Hintergrund, dass bei der AOK schon seit Jahren zahlreiche Arbeitsprozesse auf digitalem Weg erfolgen“, sagt Joachim Härle, der für die Bezirksdirektion spricht. Diese Vorgabe gelte bis auf wenige Ausnahmen. Als Beispiel nennt Härle die 14 Kundencenter in der Region. „In dringenden Fällen erhalten AOK-Versicherte nach vorheriger telefonischer Vereinbarung unter strenger Einhaltung der Hygiene-Regeln eine persönliche Beratung. Dafür ist eine Mindestzahl an Beratungspersonal vor Ort in Präsenz erforderlich.“ Dass dies alles gut funktioniert, liege an der hohen Motivation und Flexibilität aller Mitarbeitenden. Eine besondere Herausforderung liege in der zwangsläufig stark veränderten internen wie externen Kommunikation. Härle: „E-Mails, Telefonate, Web- und Videokonferenzen können das persönliche Gespräch von Mensch zu Mensch keinesfalls gleichwertig ersetzen – und schon gar nicht über längere Dauer.“

Kommentar
Keine Gewissheit

Von Bernhard Romanowski

Bislang war die Möglichkeit zum Arbeiten im Homeoffice eher ein Privileg. Angesichts des Pandemiegeschehens erwägt die Politik aber, es sogar zur Pflicht zu machen, um die direkten Kontakte der Mitarbeiter eines Betriebs weitestgehend zu reduzieren. In Frankreich zum Beispiel hat es das bereits im Oktober gegeben. Belgien zog einige Tage später nach. Der Gesundheitsminister des kleinen Königreichs, Frank Vandenbroucke, ließ allerdings verlauten, dass es weniger um mögliche Infektionen in den Betrieben gehe, sondern darum, volle Busse und Bahnen zu den Stoßzeiten zu verhindern. In der momentanen zweiten Coronawelle sollen dort verstärkt Kontrolleure unangekündigt in den Betrieben auftauchen. Auch von möglichen Strafen im mittleren fünfstelligen Bereich ist die Rede. Ließe sich das auch in Deutschland realisieren? Oder pocht die Wirtschaft hier zurecht darauf, dass man es den Unternehmen überlassen solle, wie sie mit dem Thema Homeoffice umzugehen haben? Unsere Umfrage in der Region zeigt: Im Rems-Murr-Kreis haben die Personalverantwortlichen bereits vieles vorbildlich und in Eigeninitiative umgesetzt. Ob das allerdings reicht, kann derzeit noch niemand mit Gewissheit sagen.

b.romanowski@bkz.de

Zum Artikel

Erstellt:
19. Januar 2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen