Junge Menschen als Pandemieverlierer

Im Jahresbericht des Kreisjugendamts tritt die besondere Belastung der Kinder und Jugendlichen in der Coronakrise zutage.

Symbolfoto: Stock-Adobe/Valua Vitaly

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Von Bernhard Romanowski

BACKNANG/WAIBLINGEN. Für Kinder und Jugendliche, insbesondere für die sozial Schwächeren unter ihnen, war die Coronapandemie besonders hart. Im Jahresbericht 2020 des Rems-Murr-Kreisjugendamts deutet sich dieser Umstand bereits an. Holger Gläss, der Leiter des Kreisjugendamts, und Andreas Ockert, der Jugendhilfeplaner im Rems-Murr-Kreis, stellten den Bericht jüngst den Kreispolitikern im zuständigen Ausschuss vor.

Beide machten deutlich, dass die jungen Menschen die Verlierer der Pandemie seien und dass deren Belangen, die zumeist nur durch die Brille der Erwachsenen betrachtet würden, weitaus mehr Bedeutung in der Politik eingeräumt werden müsse. Sicherlich seien illegale Coronapartys und die sogenannte Stuttgarter Krawallnacht zu Recht in den Medien thematisiert worden. Nur sei dabei vergessen worden, dass sich die große Mehrheit der jungen Leute sehr diszipliniert und den Coronaverordnungen konform verhalten habe – und das, obwohl sie so viele Nachteile hatten erdulden müssen, wie die Experten ausführten.

In Studien zur Situation in Deutschland wurde demnach herausgearbeitet, dass Kinder und Jugendliche in benachteiligten Lebenslagen, die etwa von Armut betroffen sind, die in beengten Wohnverhältnissen leben und denen von daher ohnehin Grenzen in der Entfaltung gesetzt sind, besonders stark belastet waren und noch sind. Von den 73600 Menschen im Alter unter 18 Jahren im Rems-Murr-Kreis gelten 14000 als armutsgefährdet. Einerseits sei der Lebensalltag durch die Schließung von Kitas und Schulen, durch das Fehlen von Treffen im Freundeskreis und von Freizeit-, Sport- und Kulturangeboten „ziemlich aus den Fugen geraten“, wie es im Bericht heißt. Andererseits bestehe eben die Erwartungshaltung, dass die jeweils aktuell gültigen Regeln eingehalten und alltägliche Aufgaben weiter umgesetzt werden.

Der Trend des gestiegenen Hilfebedarfs im Kinder- und Jugendbereich setzt sich fort.

„Funktionieren“ sei also angesagt für die Kinder und Jugendlichen. Dennoch seien gerade die psychischen Belastungen für Kinder, Jugendliche und Eltern insgesamt gestiegen. „Da der Rems-Murr-Kreis für Baden-Württemberg verhältnismäßig ausgeprägte sozial-strukturelle Belastungsindikatoren aufweist und bereits mit steigenden Bedarfen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe zu rechnen war, ist davon auszugehen, dass dieser Trend durch die gesellschaftliche Krise tendenziell verschärft wird“, so ein wörtlicher Passus aus dem Jahresbericht. Soziale Ungleichheiten in Bezug auf die psychische Gesundheit wurden demnach bereits in zahlreichen Studien belegt. Die fehlende Unterstützung durch Kita, Schule, Schulsozialarbeit und Jugendhäuser kann die Problemlage vor allem für jene Kinder und Jugendlichen verschärfen, die bereits von Armut oder eingeschränkten Bildungschancen betroffen sind.

Viele weitere Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle: eine psychische Erkrankung oder Suchtproblematik eines Elternteils, Bewegungsmangel, schlechte Ernährung, Stress durch familiäre Konflikte oder Trennung der Eltern, hoher Medienkonsum, Geldsorgen oder Schulden oder auch Auseinandersetzungen mit Behörden, zum Beispiel durch Verstöße gegen Coronavorgaben.

„Auf dringende Unterstützung sind vor allem die Kinder und Jugendlichen angewiesen, bei denen gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen. Diese Fälle werden im Jugendamt immer mit Priorität bearbeitet“, betonen die verantwortlichen Akteure im Rems-Murr-Kreis. Große Sorge bestehe gegenüber jenen jungen Menschen, die unter Vernachlässigung oder Gewalt innerhalb der Familie leiden. Für sie sei es während des Lockdowns schwieriger, sich Hilfe zu holen oder an eine Vertrauensperson zu wenden. Die Anzahl der Inobhutnahmen war 2020 indessen rückläufig. Die Inobhutnahme ist eine sogenannte vorläufige Maßnahme zum Schutz von Kindern und Jugendlichen und stellt eine hoheitliche Aufgabe des Jugendamts dar.

Gegenüber dem Jahr 2019 sei die Zahl der begonnenen Inobhutnahmen vergangenes Jahr von 187 auf 152 deutlich gesunken. Bis Ende Mai sei in diesem Jahr aber fast eine Verdopplung der Fallzahlen gegeben. Kreisjugendamtsleiter Gläss gibt hier Alarm auch mit Blick auf die personellen Ressourcen seiner Abteilung.

Per Instagram und „Jufon“

Um die Erreichbarkeit zu verbessern, hat das Kreisjugendamt seit Beginn des zweiten Lockdown ein Kinder- und Jugendtelefon („Jufon“, 07151/501 3333) eingerichtet. Dieses Angebot wird bereits angenommen weiter beworben werden.

Das Kinder- und Jugendtelefon ist werktags von 16 bis 19 Uhr besetzt und telefonisch sowie per WhatsApp (0173- 904 8073) zu erreichen. Zudem gibt es eine Jugendhomepage des Kreisjugendamts (www.rems-murr-kreis.de/jugend) und einen „Jugendkanal“ auf Instagram (jugend_remsmurrkreis).

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Erstellt:
16. Juni 2021, 16:00 Uhr

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