Kontaktpflege war und ist das A und O

Schulsozialarbeit lebt von direkten Beziehungen zu Schülern, Lehrern und Eltern. Die coronabedingten Schulschließungen haben ihre Arbeit auf den Kopf gestellt. Welche Aufgaben auf die Schulsozialarbeit nun zukommen, ist noch nicht gänzlich klar.

Sind auf den Pausenhöfen und Schulgeländen wieder präsent: Auf diese Weise wollen Sabine Bornträger und andere Schulsozialarbeiter frühere Kontakte wiederbeleben und neue Beziehungen knüpfen. Foto. A. Becher

© Alexander Becher

Sind auf den Pausenhöfen und Schulgeländen wieder präsent: Auf diese Weise wollen Sabine Bornträger und andere Schulsozialarbeiter frühere Kontakte wiederbeleben und neue Beziehungen knüpfen. Foto. A. Becher

Von Nicola Scharpf

BACKNANG/WEISSACH IM TAL/SULZBACH AN DER MURR. Freunde sind in Streit geraten, es gibt Konflikte zwischen Mitschülern, Lehrer bitten wegen Auseinandersetzungen mit Schülern oder Eltern um Rat: In solchen und ähnlichen Fällen klopfen die Beteiligten bei der Schulsozialarbeit an und suchen dort Unterstützung, Schlichtung, Hilfe. Normalerweise. Doch das, was zum Alltagsgeschäft eines niederschwelligen Angebots wie der Schulsozialarbeit gehört, hat es mit Beginn der Coronakrise in der Phase der Schulschließungen nicht mehr gegeben. Schulsozialarbeiter aus verschiedenen Orten und von verschiedenen Schularten haben die Zeit als sehr herausfordernd erlebt. Was nun, da der Präsenzunterricht für die Schüler wieder begonnen hat, an Aufgaben auf Schulsozialarbeiter zukommt, können die Fachkräfte noch nicht gänzlich abschätzen. Auf jeden Fall können sie ihrer Arbeit wieder unmittelbarer, im direkteren Austausch nachgehen: Beziehungen knüpfen und Kontakt halten, Zeit zum Zuhören geben und Ideen für Problemlösungen anbieten.

Schulsozialarbeiter, so schildert es Melanie Hirsch, sind von ihrer Persönlichkeit her viel auf Interaktion mit anderen Menschen aus. „Es war schlimm, mit mir und meinem PC alleine zu sein“, erinnert sich die Erzieherin, die zusammen mit drei Kollegen die schulartübergreifende Schulsozialarbeit am Bildungszentrum Weissacher Tal leistet, an die Zeit ab Mitte März, als die Schulen geschlossen waren. „Ganz ehrlich, es war wie ein Loch. Meine Kollegen und ich waren in Schockstarre.“ Sie hätten es so empfunden, als hätten sie keine Handhabe mehr zu den Lehrern, Klassen und Einzelfällen gehabt. Ähnlich schwierig hat es Sina Plapp-Szasz von der Schulsozialarbeit am Schulzentrum in Sulzbach an der Murr empfunden, ihre Kontrollfunktion ablegen zu müssen. „Ich habe mich gefühlt wie ein freundlicher Wachhund, der eingesperrt ist.“ Immer wieder seien ihr ihre Einzelfälle durch den Kopf gegangen: Wie geht es diesem Mädchen wohl? Was erlebt jenes Kind gerade?

Hauptthema – und Hauptproblem – in der Zeit der Schulschließung war: „Wie bleiben wir an denen dran, die ohnehin schon vorher unsere Zeit und Aufmerksamkeit benötigt haben?“, formuliert es Sabine Bornträger, die in erster Linie für die Schulsozialarbeit an der Backnanger Mörikeschule spricht, aber auch im Austausch ist mit den entsprechenden Anlaufstellen an anderen Backnanger Schulen. „Wie können wir die Kinder und Jugendlichen erreichen? Wie können wir die Eltern erreichen?“, benennt Hirsch die Fragestellung in der Zeit der sozialen Distanz. Das Team am Bize ist auf Instagram und Facebook aktiv geworden, hat einen Elternbrief verschickt. An der Mörikeschule war anfangs das zentrale Anliegen, die telefonische Erreichbarkeit sicherzustellen, damit Verbindungen nicht abreißen und Schüler wissen, wo sie anrufen können.

Unabhängig davon, auf welche Weise die Schulsozialarbeiter auf sich und ihr weiterhin bestehendes Angebot aufmerksam gemacht haben, es ging darum, zu signalisieren: „Ich bin immer noch da, auch wenn ihr mich nicht seht“, sagt Plapp-Szasz. Der Datenschutz und die Schweigepflicht, der die Schulsozialarbeiter unterliegen, haben es oftmals erheblich erschwert, in Kontakt zu bleiben. Viele Auflagen von oben hätten ihnen die Hände gebunden, sodass sie wenig Spielraum gehabt hätten, sind sich die Schulsozialarbeiterinnen einig. „Aber wir haben unser Bestes gegeben“, sagt Sina Plapp-Szasz.

Zu normalen Zeiten ist neben der schnellen Einzelfallhilfe auch das Gruppenangebot ein wesentlicher Bestandteil der Schulsozialarbeit, schildert Bornträger. Dieser präventive Ansatz von Klassensettings, Sozialkompetenztrainings und anderen Veranstaltungen ist komplett weggefallen und entfällt nach wie vor. „Das fühlt sich noch sehr ungewohnt an und es fehlt uns allen“, so Bornträger. Wobei sich das Sozialcurriculum, das seit rund 15 Jahren an der Mörikeschule existiert, als tragende Säule erwiesen habe, von der man profitiere. Diese langjährige Arbeit habe sich als gute Basis herausgestellt, auf die Schüler und Lehrer bauen können.

Da das Kontakthalten in der Gruppe nicht stattgefunden habe, sei die Einzelfallhilfe hochgefahren worden. „Das war auch nötig“, ordnet Bornträger rückblickend ein. Vor allem Lehrer, die durch das Homeschooling mehr Einblicke in den Alltag ihrer Schüler gehabt haben, seien auf die Schulsozialarbeit zugekommen, wenn sie sich Sorgen um ein Kind gemacht haben. Vereinzelt hätten sich Schüler von sich aus gemeldet, so Bornträger. Haustürkontakte und/oder Spaziergänge, dabei die Abstandsvorschriften einhaltend, sind Möglichkeiten der Schulsozialarbeit in den Fällen gewesen, in denen unmittelbarer Kontakt geboten war. Backnanger Schulsozialarbeiter sind auch zusammen mit der Ortspolizeibehörde Streife gelaufen, um Begegnungen herzustellen.

Alle drei Frauen kennen Fälle, in denen die Schüler abgedriftet sind.

Alle drei Schulsozialarbeiterinnen schildern Fälle, in denen ein Schüler abgedriftet und komplett von der Bildfläche verschwunden ist. Alle drei hatten auch einzelne Fälle, in denen es zu einem Kind die komplette Coronazeit über durchgängigen Kontakt gegeben hat. Die Befürchtung, dass sich die Zahl der intensiven Fälle, in denen Kinder und ihr Wohl geschützt werden müssen, massiv erhöht, hat sich zumindest für Backnang bislang nicht bestätigt, sagt Bornträger. „Diese Welle existiert nicht. Oder sie ist noch nicht angekommen. Wir sind noch in Habachtstellung.“

Insgesamt hat die Schulsozialarbeit nun, da die Schüler in den Schulen zurück sind, ihren Platz noch nicht gänzlich wiedergefunden. Ihr Auftrag sei noch nicht zur Gänze klar, sagt Hirsch. „Wir haben euch nicht vergessen. Wir sind da. Das ist das Signal, das wir vor den Sommerferien geben wollen.“ Hirsch erlebt die Schüler insgesamt als „sehr abgehängt“. Es überwiege der entspannte Chillmodus gegenüber dem Bewusstsein, dass nun der (Schul-)Arbeitsalltag wieder begonnen habe. Alle Beteiligten würden daran arbeiten, wieder Struktur in den Tag zu bringen. Ob und inwiefern eine Aufarbeitung der Coronakrise stattfindet, sei individuell verschieden, sagt Bornträger. „Da muss man sensibel sein. Jeder verarbeitet besondere Ereignisse individuell.“ Die einen möchten gerne darüber sprechen, die anderen sagen lieber nichts. Sie und ihre Kollegen von der Schulsozialarbeit an der Mörikeschule sind morgens, wenn die Klassen vom Pausenhof ins Schulgebäude gehen, immer anwesend: Sie beleben frühere Kontakte wieder, bauen neue Beziehungen auf, vereinbaren Gesprächstermine mit einzelnen Schülern.

Auch Plapp-Szasz zeigt vor allem auf dem Pausenhof des Sulzbacher Schulzentrums Präsenz, seit die Kinder und Jugendlichen wieder an die Schule zurückgekehrt sind. Der Tenor der Schüler sei, dass sie die Schule und vor allem das Miteinander vermisst haben. „Es tut den Schülern gut, wieder hier zu sein. Es tut auch mir selbst gut, wieder an der Schule zu sein.“ Der Fokus nach der Schulöffnung lag und liegt für Plapp-Szasz auf den Sozialkontakten, die so lange gefehlt haben und jetzt wieder aufleben. „Schließlich ist Schule nicht nur ein Lernort, sondern ein Lebensort.“

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Erstellt:
15. Juli 2020, 06:00 Uhr

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