Lichtblicke für den Einzelhandel

Wir haben uns umgehört, wie sich die jüngsten Coronabeschlüsse der Bund-Länder-Konferenz auf die verschiedenen Bereiche des Lebens im Rems-Murr-Kreis auswirken. Die Händler sind verhalten optimistisch, die Gastronomie seufzt und der Landrat rechnet.

Bei Etti Taschen & Co. in Backnang hält man die Kunden mit dem Verweis auf die Anrufmöglichkeiten und mit Durchhalteparolen auf Schwäbisch bei der Stange: „Mir hen no zua! Aber mir lasset d’ Rüssel net hänga! Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Bei Etti Taschen & Co. in Backnang hält man die Kunden mit dem Verweis auf die Anrufmöglichkeiten und mit Durchhalteparolen auf Schwäbisch bei der Stange: „Mir hen no zua! Aber mir lasset d’ Rüssel net hänga! Foto: A. Becher

Von Bernhard Romanowski

BACKNANG. „Vieles ist noch unklar, und wir fahren weiter auf Sicht. Aber durch die vorsichtigen Öffnungsmöglichkeiten ist ein Licht der Hoffnung gegeben“, kommentiert Martin Windmüller die jüngsten Coronabeschlüsse der Bund-Länder-Konferenz. Als Betreiber eines Betten- und Wäschehauses und Vorstandsmitglied des Stadtmarketingvereins in Backnang hat Windmüller ganz genau hingehört, was die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten zuletzt zu verkünden hatten.

Im Einzelhandel mit Artikeln, die nicht dem alltäglichen Gebrauch zugerechnet werden, dürfen die Läden ab Montag wieder Kunden empfangen, und zwar einen Kunden pro 40 Quadratmeter Verkaufsfläche und mit Terminbuchung. Nähme man nicht den Sieben-Tage-Inzidenzwert des Bundeslandes Baden-Württemberg, sondern jenen des Kreises Rems-Murr von derzeit unter 50 als Richtwert, dürften diese Einzelhändler sogar einen Kunden pro 10 beziehungsweise pro 20 Quadratmeter Verkaufsfläche und ohne Terminbuchung bedienen.

Es sei eine bürokratische Herausforderung für die Unternehmer, aber eben auch eine Chance für besonders beratungsintensive Geschäfte, so Windmüller. Dazu zählt er auch seine Firma. Seit 16. Dezember ist sein Geschäftshaus geschlossen. „In diesen gut zweieinhalb Monaten haben wir rund eine halbe Million Euro weniger Umsatz gemacht“, beziffert Windmüller seinen coronabedingten Ausfall. Er selbst habe bislang immer noch Verständnis für die Entscheidungen der Bundesregierung gehabt. Aber innerhalb seiner Branche rumore es schon länger, sagt er.

Michael Matzke von der Dehoga Rems-Murr sieht seine Branche erneut hintangestellt.

Was viele verärgert habe, sei der Umstand, dass es Geschäfte gibt, die unter anderem Artikel des täglichen Bedarfs vertreiben und diese auch entsprechend in den Vordergrund stellen, aber eben auch Dinge wie Spielwaren oder ähnliches weiter verkaufen konnten, während dies darauf spezialisierten Geschäften nicht erlaubt war. „Das sind ärgerliche Schlupflöcher“, so Windmüller: „Es ist jetzt Zeit zu öffnen, auch um weitere Schäden zu vermeiden“. Denn die Überbrückungshilfe des Staates für die Unternehmer sei sicher hilfreich, aber kaum ausreichend, wie mancher meint.

Windmüller spricht von einer „mordskomplizierten Antragstellung“, die nur über Steuerberater und mit hohem buchhalterischen Aufwand zu bewerkstelligen sei. Geschäfte, die modischen Trends unterliegen, hätten es noch schwerer. Die Abschreibungsmöglichkeiten für Saisonware seien sehr kompliziert, fast nicht umsetzbar, erläutert Windmüller.

Michael Matzke vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband im Rems-Murr-Kreis (Dehoga) spricht davon, dass die jüngsten Coronabeschlüsse noch sehr frisch seien und es noch keine Durchführungsverordnung vom Land gebe. „Aber nach derzeitigem Stand bieten die Beschlüsse für uns erneut keine Perspektive“, so Matzke, der durchaus weiß, dass möglicherweise ab 22. März die Außengastronomie wieder zulässig ist, wenn auch je nach Inzidenzwert nur mit tagesaktuellen Tests und vorheriger Terminbuchung der Gäste. „Aber die Außengastronomie macht bei uns in der Region vielleicht 20 Prozent aus. Und was nutzt das, wenn das Wetter nicht mitspielt?“, fragt sich Matzke.

Sicher gebe es einige in der Branche, die das als kleinen Lichtblick begrüßen. Für andere wiederum werde sich der Aufwand erst gar nicht lohnen, wenn sie nur ein paar Tische zur Verfügung haben. Die Clubs und Discos würden dabei ganz vergessen. Auch für die weiteren Bereiche der Gastronomie und die Hotels sind erst nach dem 22. März neue Entscheidungen zu erwarten.

Dabei habe seine Branche doch bewiesen, dass ihre Konzepte zu Hygiene und Abstand im Sinne der Rücksichtnahme auf die Gesundheit aller Beteiligten funktionieren. „Und doch haben wir mit am längsten zugehabt. Jetzt reicht es dann bald auch mal“, so Matzke, der auch zuletzt bei einer Demonstration in Stuttgart mit rund 70 weiteren Vertretern aus allen 47 Kreisen des Bundeslandes auf die Probleme der Branche aufmerksam gemacht hat.

Dort, wo man eigentlich wissen sollte, wie sich die Beschlüsse nun auf das Leben im Rems-Murr-Kreis auswirken, wusste man es gestern noch nicht. Das Land müsse die Beschlüsse erst noch umsetzen, gibt die Pressestelle des Landratsamts in Waiblingen zu verstehen. „Nach den Bund-Länder-Beschlüssen müssen nun rasch die Detailfragen vom Land geklärt und in eine Verordnung gegossen werden“, sagt denn auch Landrat Richard Sigel. Der Kreis sei aber top aufgestellt, was die Schnelltests angeht. Denn für schrittweise Lockerungen bei den Coronaregeln sei der regelmäßige Einsatz von Schnelltests eine grundlegende Bedingung, heißt es aus dem Waiblinger Kreishaus.

Landrat Sigel sieht den Kreis bestens aufgestellt, fragt aber auch, wer für die kostenlosen Schnelltests zahlt.

Wie das konkret ablaufen soll, stehe bundesweit noch nicht fest. Der Rems-Murr-Kreis habe jedoch vorgesorgt und schon frühzeitig verlässliche Strukturen geschaffen, die sich jetzt bezahlt machen und weiter ausgebaut würden. Unter www.rems-murr-kreis.de/schnelltest könne sich jeder online mit wenigen Klicks einen Termin für einen Schnelltest in einem Testzentrum sowie bei einer Apotheke oder Arzt um die Ecke buchen. „Einfach, wohnortnah und komfortabel“, rührt die Pressestelle die Werbetrommel dafür. Das Portal war zum Schulstart nach den Faschingsferien an den Start gegangen. Inzwischen machen knapp 100 Testzentren mit. In den ersten knapp zwei Wochen wurden bereits 10000 Tests gebucht. Das zeige, dass das Angebot rege genutzt wird. „Der große Vorteil: Nach dem Test erhält man das Ergebnis in kürzester Zeit per E-Mail. Dieses Ergebnis könnte in Zukunft als Nachweis – etwa für den Restaurantbesuch – gelten“, so die Mitteilung des Landratsamts. „Eines steht aber fest: Wir im Rems-Murr-Kreis sind mit den verlässlichen und funktionierenden Strukturen, die wir geschaffen haben, optimal aufgestellt: Schon bisher bieten wir komfortabel und flächendeckend Schnelltests im Landkreis an“, so der Kreischef weiter.

Angesichts immer neuer Ankündigungen seitens Bund und Land fordert Sigel erneut, dass die Dinge durchdacht und umsetzbar sein müssen. „Wer kostenlose Tests für alle verspricht, muss auch sagen, wie die Abrechnung funktioniert“, betont der Landrat. „Der Rems-Murr-Kreis steht in jedem Fall bereit und hat sich optimal gewappnet. Es wäre ein Leichtes, unser Portal so anzupassen, dass alle Tests kostenlos sind.“

Ebenso sei noch nicht geklärt, wer anlasslose Tests für Schüler bezahlt. „Wir können diese Tests mit unseren Strukturen ohne Probleme anbieten. Dafür brauchen wir aber rasch eine klare Ansage vom Kultusministerium, wer die Kosten dafür trägt und wie die Abrechnung abläuft“, betont der Landrat, der sich dazu in einem Brief an das Kultusministerium gewandt hat.

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Erstellt:
5. März 2021, 06:00 Uhr

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