Mit 24 Stunden ist der Tag einfach zu kurz

Mütter stehen in Coronazeiten vor besonderen Herausforderungen. Einerseits müssen sie weiterhin ihrem Beruf nachgehen, andererseits müssen sie die Familienarbeit damit in Einklang bringen – mit Kindern im Haus eine gewaltige Aufgabe.

Die Backnangerin Sophie Pröhl ist eine jener Mütter, die ihr Leben zwischen Laptop, Herd und Schularbeiten neu ausrichten muss. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Die Backnangerin Sophie Pröhl ist eine jener Mütter, die ihr Leben zwischen Laptop, Herd und Schularbeiten neu ausrichten muss. Foto: A. Becher

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Jammern is nich – dafür hat grade keine Mama Zeit. Im Gegenteil: Auf die Frage „Wie geht es Ihnen?“ antworten alle befragten Mütter als Erstes, dass sie selbst ja noch vergleichsweise gut dran sind, dass alles viel schlimmer sein könnte, wenn zum Beispiel die Kinder kleiner (oder größer), mehr (oder weniger) oder nicht ganz so verständig und unglaublich kooperativ wären, als sie tatsächlich sind, wenn sie Homeoffice (oder kein Homeoffice) hätten, wenn das Wetter nicht so schön wäre, wenn die Oma nicht ab und zu mit Mundschutz überm Gartenzaun..., ja, wenn sie nicht überhaupt einen Garten hätten (und das haben echt nicht alle) und so weiter. Alle erzählen von ihren Kindern als Antwort auf die „Wie geht’s Ihnen“-Frage.

Und sie selbst? Ja, darüber müsste man erst mal nachdenken. Geht aber nicht, wenigstens nicht jetzt gerade und nicht am Telefon, denn da muss nebenher Streit geschlichtet werden, Schulaufgaben beaufsichtigt werden, getröstet werden, entzweigegangenes Spielzeug repariert werden, Nasen geputzt, Hände gewaschen und Telefonzeit erbettelt werden. „Noch drei Minuten, Schatz, okay? Bin gleich fertig.“

„Mit 24 Stunden ist mein Tag einfach zu kurz“, sagt eine. Sie gehört zu denen ohne Garten, lebt alleine mit ihrem neunjährigen Sohn in einer Etagenwohnung. „Vor Corona war er viel und gern bei den Großeltern, bei seinen Schulfreunden, beim Kung-Fu-Training, beim Teenietreff und in der Singschule. Jetzt sind die Großeltern Risikogruppe, und alles andere entfällt. Seit mehr als sieben Wochen ist Leon (alle Namen geändert) 24 Stunden am Tag, sieben Tage pro Woche daheim. Sein Tag hat überhaupt keine Struktur mehr.“ Mama geht arbeiten, seit März immer Spätschicht im Verkauf und jeden zweiten Samstag vormittags.

„Wenn es nach dem Sommer nicht anders wird, muss ich kündigen.“

„Bis zu den Sommerferien halt ich das vielleicht noch durch“, sagt sie. „Wenn es danach nicht anders wird, muss ich kündigen“, was natürlich auch schlimm wäre. Sie mag ihre Arbeit, hat einen tollen Chef, „aber mein Kind dermaßen allein zu lassen, das geht doch nicht“. Nein, das geht wirklich nicht.

Am anderen Ende des „Zufriedenheitsspektrums“ befindet sich Louise Müller. Ihre Kinder sind vier und sechs Jahre alt, und die Eltern haben inzwischen eine gute Arbeitsteilung gefunden: Der Mann „darf“ nachmittags in die Werkstatt, sie vormittags ins Büro. „Eigentlich ist das richtig gut so. Wenn ich mittags nach Hause komme, sind die Schularbeiten des Großen schon gemacht, und das Mittagessen ist fertig. Nach dem Essen geht mein Mann zur Arbeit und ich habe Kinderzeit, die ich richtig genieße.“ Dass die Kids keine Termine mehr haben, ist für die Mutter willkommene Entschleunigung. „Wir müssen nicht mehr ständig wecken, auf die Zeit achten, antreiben, hinbringen, abholen, anziehen, ausziehen, organisieren – und wir haben uns vorgenommen, davon ein bisschen was in die Nach-Corona-Zeit mitzunehmen. Wenn möglich will mein Mann seine Arbeitszeit um ein paar Stunden reduzieren, und wir wollen das Tagesprogramm der Kinder abspecken.“

Bei Anja Krause läuft’s anders. Sie arbeitet im Betrieb des Ehemanns und nimmt die Kinder jetzt mit ins Büro. Die Kinder gehen in die 1. und 4. Klasse, „und die Vormittage sind für uns alle Arbeitszeit. Die Kinder machen Schulaufgaben und ich mein Büro.“ Sie lacht. „Das klappt natürlich mal mehr und mal weniger. Und weil der Chef ihr Vater ist, ist das ja auch nicht so schlimm. Aber ich bin nun mal keine Lehrerin. Wenn sie ihre Schulaufgaben kriegen, weiß ich, wie’s geht, aber ich kann es nicht altersgemäß erklären.“ Ein Problem ist auch, dass sie überhaupt keine Zeit mehr für sich alleine hat, nicht mal die 25 Minuten im Auto auf der Fahrt zur Arbeit. „Ich steh mit den Kindern auf, geh mit ihnen zur Arbeit, danach kochen wir zusammen, verbringen den Nachmittag miteinander, bis abends der Papa nach Hause kommt.“ Immerhin: Seit 14 Tagen bietet die Tanzschule einmal pro Woche am Abend Online-Training an. Das ist jetzt ihre Stunde – mehr ist grade nicht drin.

„Auf einmal bin ich wieder rund um die Uhr für alles zuständig.“

So richtig nach 50er-Jahren fühlt sich jetzt der Familienklassiker an: Papa in Vollzeit im Homeoffice, Mama mit Teilzeitstelle und Kindern. „Auf einmal bin ich wieder rund um die Uhr für absolut alles zuständig“, erzählt Ronja. „Haushalt, Einkaufen (auch für die Risikonachbarin), Kochen – es gibt ja keine Kantine mehr –, Schularbeiten, Freizeitgestaltung für alle, Kita ersetzen, Lehrer ersetzen, Schwimmtraining ersetzen, ‚nebenher‘ noch meine eigene Arbeit. Drei Wochen lang war das bei mir auch Homeoffice, und ich wäre fast durchgedreht.“ Inzwischen „darf“ sie wieder ins Büro und kann Arbeitszeit und Familienzeit halbwegs trennen. „Es verschwimmt ja sonst alles“, klagt sie. Dem dazugehörigen Ehemann geht’s genauso. Das Schlafzimmer ist jetzt Homeoffice, und die Arbeit geht praktisch rund um die Uhr.

Fast besser hat es da der stress- und organisationsgestählte vollzeitarbeitende alleinerziehende Vater von Teenagern: „In meinen vier Wochen Kurzarbeit bin ich früher nach Hause gekommen und hab meine Kinder viel öfter gesehen. Gemeinsam einkaufen, kochen und essen statt Schulkantine – das war richtig schön.“ Der große 17-Jährige macht grade FSJ, „und das lief trotz Corona so durch“, die jüngere Schwester werkelt derzeit am verschobenen Realschulabschluss. „Wir kommen klar“, sagt Papa, und da klingt Stolz durch. „Immer schon – und jetzt, wo sie so groß und selbstständig sind, erst recht. Wenn sie jünger wären, müsste ich jetzt natürlich zu Hause bleiben.“

Auch hier also das oben genannte „Wenn“: Wenn’s anders wär, wär’s viiiel schlimmer. Alle haben sie tolle Kinder. Und sie alle schaffen das schon, irgendwie. Auf Mama ist Verlass. Immer. Sogar, wenn sie Papa ist.

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Erstellt:
26. Mai 2020, 06:00 Uhr

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