Noch keine Trendwende in Sicht

Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 246 hat der Rems-Murr-Kreis am vergangenen Sonntag einen neuen Höchstwert erreicht. Inzwischen ist die Zahl zwar wieder leicht gesunken, trotz des Lockdowns gibt es aber nach wie vor viele Ansteckungen.

Aktuell gibt es keine coronafreie Gemeinde im Rems-Murr-Kreis. Besonders stark betroffen ist weiterhin Welzheim. Grafik: S. Horn

Aktuell gibt es keine coronafreie Gemeinde im Rems-Murr-Kreis. Besonders stark betroffen ist weiterhin Welzheim. Grafik: S. Horn

Von Kornelius Fritz

WAIBLINGEN/BACKNANG. Die meisten Geschäfte im Rems-Murr-Kreis haben seit Ende März geschlossen, seit dieser Woche sind auch Kitas und Schulen wieder dicht. Außerdem gelten strenge Kontaktbeschränkungen und eine nächtliche Ausgangssperre. Trotzdem verharren die Infektionszahlen weiter auf sehr hohem Niveau. Am Dienstag meldete das Gesundheitsamt 159 Neuinfektionen an Rems und Murr. Das sind zwar etwas weniger als vor einer Woche (194), weil allerdings noch 27 Nachmeldungen vom Montag hinzukamen, bleibt die Sieben-Tage-Inzidenz fast unverändert bei 232 – eine Trendwende sieht anders aus.

Stellt sich die Frage, wo sich nach wie vor so viele Menschen anstecken? Eine eindeutige Antwort darauf kann auch das Gesundheitsamt nicht liefern. „Vor Ostern waren Fälle in Schulen und Kitas ein deutlicher Schwerpunkt des Infektionsgeschehens im Rems-Murr-Kreis“, teilt die Pressestelle des Landratsamtes mit. Auch in der vergangenen Woche hätten sich dort noch etliche Kinder angesteckt. Häufig wurden aus einem Fall dann schnell mehrere, denn durch die höhere Ansteckungsrate der Mutationen seien oft ganze Familien betroffen, berichtet Jens Steinat, der Pandemiebeauftragte der Kreisärzteschaften im Rems-Murr-Kreis. „Bei der Urvariante des Virus waren oft nur ein oder zwei Familienmitglieder infiziert, nun werden meistens alle positiv getestet“, erzählt der Allgemeinarzt aus Oppenweiler.

In vielen Fällen lässt sich aber auch schlicht nicht nachvollziehen, wo und bei wem sich die Infizierten angesteckt haben. Die Behörden sprechen deshalb von einem „diffusen Infektionsgeschehen“. Auch regional gibt es aktuell kaum Schwerpunkte. Setzt man die Zahl der Infizierten ins Verhältnis zur Einwohnerzahl, sticht nur Welzheim hervor. Dort sind aktuell 78 Personen nach einem positiven Testergebnis in Quarantäne, das entspricht 0,7 Prozent der Bevölkerung. Der hohe Wert hat auch mit illegalen Partys zu tun, die Jugendliche dort in einer Gewerbehalle feierten (wir berichteten). In den übrigen Rems-Murr-Gemeinden liegt der Anteil der Covid-Erkrankten zwischen 0,04 Prozent in Kaisersbach (nur ein Infizierter) und 0,5 Prozent in Alfdorf. In Backnang sind derzeit 137 Personen beziehungsweise 0,37 Prozent der Bevölkerung positiv getestet.

Die Intensivstationenfüllen sich wieder.

Dass die hohen Zahlen auch mit vermehrten Tests zu tun haben könnten, wie oft behauptet wird, bestreitet Jens Steinat: „Wären die Leute nicht getestet worden, wären sie eben ein paar Tage später in der Statistik aufgetaucht. Mit dem Unterschied, dass sie in der Zwischenzeit noch weitere Personen angesteckt hätten.“ Der Hausarzt sieht den Grund für die hohen Zahlen eher in einer zunehmenden Nachlässigkeit in der Bevölkerung: „Nach einem Jahr Pandemie zeigen viele eine gewisse Ermüdung und nehmen es mit den Regeln bewusst oder unbewusst nicht mehr so genau.“

Die hohen Infektionszahlen schlagen sich auch in den Patientenzahlen der Rems-Murr-Kliniken nieder. Stand gestern wurden dort 76 Covid-19-Patienten behandelt, 15 davon wurden auf der Intensivstation künstlich beatmet. Das sind zwar noch nicht ganz so viele wie am Höhepunkt der zweiten Welle, als in Winnenden und Schorndorf bis zu 23 Erkrankte beatmet werden mussten, wegen der zeitlichen Differenz zwischen Ansteckung und Einlieferung ins Krankenhaus rechnet die Klinikleitung aber noch für mindestens zwei bis drei Wochen mit steigenden Patientenzahlen.

Dabei sei die Belastung für Ärzte und Pflegepersonal schon jetzt sehr hoch, hatte Jutta Franz, Leiterin der Intensivstation, vergangene Woche in einem Youtube-Video der Rems-Murr-Kliniken berichtet. Nicht nur körperlich, sondern auch psychisch, denn im Unterschied zu den ersten beiden Wellen landen nun auch immer mehr jüngere Patienten mit schweren Verläufen auf der Intensivstation. Gleichwohl betont Klinikgeschäftsführer Marc Nickel, dass die Lage weiterhin „gut beherrschbar“ sei. Nach dem Ausbruch der Coronapandemie hatten die Rems-Murr-Kliniken ihre Maximalkapazitäten an beiden Standorten auf insgesamt 92 Beatmungsplätze erhöht.

Die gute Nachricht ist, dass es mittlerweile deutlich weniger Todesfälle gibt. Im Dezember, dem Höhepunkt der zweiten Welle, starben im Rems-Murr-Kreis insgesamt 89 Infizierte, im April waren es bislang 18. Das dürfte ein erster Erfolg der Impfkampagne sein: In der besonders gefährdeten Altersgruppe der über 80-Jährigen sind inzwischen die meisten geimpft. Jens Steinat warnt allerdings davor, nur auf die Verstorbenen zu schauen, denn auch diejenigen, die als genesen gelten, hätten oft mit Langzeitfolgen zu kämpfen. „In meine Praxis kommen jeden Tag ein bis zwei Patienten, die auch Wochen und Monate nach der Infektion noch Beschwerden haben“, berichtet der Allgemeinmediziner.

Jens Steinat appelliert deshalb an die Bevölkerung, ihren Beitrag zu leisten, um die Zahlen zu senken. „Es steht und fällt mit jedem Einzelnen“, betont der Mediziner. „Wenn jeder macht, was empfohlen wird, können wir die Inzidenz in zwei bis vier Wochen auch wieder unter 100 bringen“, ist Steinat überzeugt. Wenn gleichzeitig auch die Impfkampagne weiter Fahrt aufnimmt, dann könnte schon in ein paar Wochen ein Hauch von Normalität in unser Leben zurückkehren.

Hohe Inzidenzen in der Region

Der Rems-Murr-Kreis steht mit seinem hohen Inzidenzwert nicht alleine da, auch alle Nachbarlandkreise haben die Schwelle von 200 Neuinfektionen je 100000 Einwohner pro Woche überschritten.

Den höchsten Wert in der Region meldet derzeit der Landkreis Esslingen (255), der den Kreis Schwäbisch Hall (253) von seinem unrühmlichen Spitzenplatz verdrängt hat. Auch der Ostalbkreis (251) und die Landkreise Göppingen (244), Heilbronn (244) und Ludwigsburg (206) melden hohe Werte. In der Landeshauptstadt Stuttgart liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei 211.

Erfreulich ist dagegen die Entwicklung bei den Impfzahlen. Bis gestern sind im Rems-Murr-Kreis 51236 Personen mindestens einmal geimpft worden. Das sind mehr als doppelt so viele wie Anfang April. Großen Anteil daran haben die Hausärzte, die nach Ostern in die Impfkampagne eingestiegen sind. Seitdem haben 14383 Personen in den Hausarztpraxen ihre Spritze erhalten. Hinzu kommen noch die Personen, die außerhalb des Landkreises geimpft wurden.

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Erstellt:
28. April 2021, 06:00 Uhr

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