„Schule als sozialer Raum ist nicht zu ersetzen“

Schulleiter berichten vor den Kreisräten über ihre Erfahrungen in Coronazeiten mit Verordnungen, Risiken und Raumnöten.

„Schule als sozialer Raum ist nicht zu ersetzen“

© Ralph Steinemann Pressefoto

Von Armin Fechter

WAIBLINGEN. Die Coronakrise hat an den beruflichen Schulen Spuren hinterlassen. Vielfältige Schwierigkeiten sind aufgetreten, wie Stefan Weißert, Chef der Grafenbergschule Schorndorf und geschäftsführender Schulleiter im Kreis, jetzt deutlich machte. „Eine der größten Herausforderungen, die ich in meiner bisher 16-jährigen Zeit als Schulleiter erlebt habe“, sei die Planung des Schulbetriebs in diesen Monaten gewesen, sagte er in seinem Bericht im Verwaltungs-, Schul- und Kulturausschuss des Kreistags.

Auf Weißerts Schreibtisch türmen sich inzwischen die unterschiedlichen Verordnungen der unterschiedlichen Behörden – nicht eingerechnet die mehrfach eingegangenen gleichlautenden Papiere unterschiedlicher Dienststellen. Häufig seien die Verordnungen dabei so spät gekommen, dass fertige Planungen über den Haufen geworfen wurden und in allerletzter Minute neue aufgesetzt werden mussten. Und: „Wir mussten immer wieder mit Ausnahmeregelungen für Risikogruppen arbeiten und bekamen auf Nachfrage oft erst spät eine Antwort – die Verunsicherung war allgegenwärtig.“ Wobei es um Kantinenregelungen ebenso ging wie um Hygiene in Sanitärräumen.

Für den Unterricht – „eigentlich unser Hauptthema“ – konnten die beruflichen Schulen in der Regel auf etwa 80 Prozent der Lehrkräfte für Präsenzunterricht zurückgreifen. Etwa 20 Prozent zählten zu den Risikogruppen, die ausschließlich für Fernlernunterricht eingesetzt wurden. Aber auch bei den Schülern habe man Risikogruppen identifizieren und für deren Beschulung Lösungen finden müssen: „Der Fernlernunterricht hat plötzlich eine zentrale Bedeutung gewonnen.“ Im Bereich der Gesundheitsberufe habe man nur digitalen oder analogen Fernlernunterricht anbieten dürfen, Präsenzunterricht gab es zunächst nur in Abschlussklassen. Fachpraktischer Unterricht und Sport konnte wegen des Abstandsgebots nicht erteilt werden.

Aber der Fernlernunterricht brachte Probleme mit sich: Nicht alle Schüler konnten auf diese Weise erreicht werden. Häufig gab es daher einen Mix aus Arbeiten mit Videokonferenztools, Zusendung von Aufgaben und Lernmaterial per E-Mail oder direkt per Post, berichtete Weißert: „Ich denke, dass dies deutlich macht, dass wir alle im Bereich des digitalen Unterrichtens zukünftig noch besser aufgestellt sein müssen.“ Dazu seien aber auch datenschutzrechtliche Fragen noch abschließend zu klären.

Vielfältige Prüfungen strapazieren die Planung an beruflichen Schulen.

An den beruflichen Schulen sei stark unter dem Aspekt der vielfältigen Prüfungen zu planen. Diese haben am 18. Mai begonnen und ziehen sich bis 31. Juli. Erschwert wird die Lage, weil den Schülern freigestellt wurde, ob sie am Haupt- oder am Nachprüfungstermin teilnehmen. So habe man viele neue Präzedenzfälle geschaffen. Neben dem Abitur finden, versetzt oder gleichzeitig, auch Prüfungen in Berufskollegs, Berufsfachschulen, AVdual und zum Berufsschulabschluss statt. Weißert: „Da kommen an unserer Schule schon mal fast 600 Prüflinge auf einmal zusammen.“ Hinzu kommen noch praktische Abschlussprüfungen gemeinsam mit den dualen Partnern.

Die häufig gestellte Frage, wann der Regelbetrieb an der Schule wieder möglich sein wird, „kann ich heute nicht beantworten. Ich denke, da muss man sich erst einmal auch in der Landesregierung einig werden.“ Es gelte ja stets als oberstes Gebot, die Hygiene- und Sicherheitsvorschriften einzuhalten. Da jetzt der Großteil der Prüfungen abgeschlossen ist, könnten die Schulen mit einem erweiterten Präsenzunterricht beginnen – soweit es die Grundsätze des Infektionsschutzes und die Hygienehinweise des Kultusministeriums zulassen. Ziel sei dabei, dass alle Schüler wenigstens zeitweise an die Schule kommen. Wie es im nächsten Schuljahr werden soll, ist noch unklar: Verlässliche Planungsgrundlagen lägen noch nicht vor, ein entsprechender Planungsbrief des Kultusministeriums stehe noch aus. Wegen der Risikogruppen in der Lehrerschaft gebe es für den angestrebten Regelbetrieb allerdings eine beachtliche Personallücke, machte Weißert deutlich. Und nicht nur das: Die Anzahl der Schüler im Regelbetrieb mache es bei den verfügbaren Räumlichkeiten in den Schulen unmöglich, die Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten.

Deutlich geworden sei in den zurückliegenden Wochen aber auch, dass digitale Unterrichtsmethoden – auch wenn sie noch so virtuos eingesetzt werden – die Schule als sozialen Raum nicht ersetzen könnten: Der direkte Kontakt mit den Lehrern und erst recht mit den Mitschülern habe den Schülern gefehlt. Weißert: „Digitale Lernplattformen sind und bleiben, auch bei allerhöchster Qualität, kein Ersatz für den Sozial- und Lebensraum Schule. Was Schule allein für den sozialen Ausgleich, bei allen bleibenden Differenzen, leistet, ist allen in den letzten Wochen bewusst geworden.“

Ähnliche Einschätzungen trug Sonderschulrektor Günter Rathgeb aus Sicht der sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren vor. Der Leiter der Christian-Morgenstern-Schule Waiblingen sprach von einer zunehmenden Überforderung aller Beteiligten während des Homeschoolings und wies auf soziale Aspekte und die Gefahr des Auseinanderdriftens von Entwicklungslinien bei den Kindern hin. Ferner sprach er Defizite bei der technischen Ausstattung sowohl bei den Schülern als auch in der Schule an.

Mit Blick auf den kommenden Präsenzunterricht verwies er auf personelle und räumliche Probleme, die nur ein begrenztes Angebot möglich machten. Gleichzeitig warnte er eindringlich im Hinblick auf die Öffnung: „Wenn’s schiefläuft, kann es sein, dass wir eine Situation wie in Israel haben.“ Dort mussten viele Einrichtungen wegen neuer Coronafälle wieder geschlossen werden.

Die Ausführungen kamen bei Reinhold Sczuka (CDU) allerdings nicht besonders gut an. Die Schulleiter hätten das Gefühl vermittelt, dass man sie alleingelassen habe, bemängelte er. Digitalisierung könne nur ein zusätzliches Standbein sein. Den Schülern müsse man aber den Sozial- und Lebensraum Schule wiederbringen. Sczuka zeigte sich überzeugt, dass es älteren Schülern leichter falle als jüngeren, die Regeln einzuhalten, und er wies darauf hin, dass den Eltern in den vergangenen Monaten viel zugemutet worden sei. Deshalb gelte es nun das Signal zu setzen: „Wir kriegen das hin.“

Symbolfoto: R. Steinemann

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Erstellt:
29. Juni 2020, 06:00 Uhr

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