Sorge vor der berufsspezifischen Impfpflicht

Von Mitte März an gilt die Impfpflicht für Beschäftigte in der Pflege und in Krankenhäusern. Die Leiterinnen und Leiter der Alten- und Pflegeheime in der Region sehen das kritisch – sie fürchten, dass sich der Fachkräftemangel dadurch noch mehr verschärfen könnte.

Eine Mitarbeiterin wird Ende 2020 im Alten- und Pflegeheim Staigacker gegen Covid-19 geimpft. Archivfoto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Eine Mitarbeiterin wird Ende 2020 im Alten- und Pflegeheim Staigacker gegen Covid-19 geimpft. Archivfoto: J. Fiedler

Von Melanie Maier

Rems-Murr. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht könne nur ein erster Schritt sein, findet Steffen Wilhelm. „Wir sind der Ansicht, das Thema Impfen ist ein Thema für die ganze Gesellschaft. Unsere Mitarbeiter leisten ohnehin seit Monaten einen großen Beitrag zur Pandemiebekämpfung“, so der Pressesprecher der Diakonie Stetten.

22 Alten- und Pflegeheime betreibt der Träger in der Region, inklusive der Teilzeitkräfte arbeiten dort rund 900 Menschen. Ab Mitte März müssen sie nachweisen können, dass sie gegen Covid-19 geimpft oder von der Krankheit genesen sind beziehungsweise dass sie sich nicht impfen lassen können. So haben es Bundestag und Bundesrat beschlossen. Wer keinen Nachweis hat, dem droht schlimmstenfalls der Jobverlust. Das betrifft die Mitarbeiter von Alten- und Pflegeheimen und von Kliniken und Krankenhäusern genauso wie niedergelassene Ärzte und deren Personal, Angestellte von Rettungsdiensten, Hebammen und weitere Personen in patientennahen Berufen.

Arbeitgeber sind vom 16. März an dazu verpflichtet, Beschäftigte ohne gültigen Nachweis unverzüglich dem Gesundheitsamt zu melden. Das Gesundheitsamt ist nach Ablauf einer angemessenen Frist dazu berechtigt, Bußgelder, Zutrittsverbote oder Tätigkeitsverbote auszusprechen. Ohne entsprechenden Nachweis besteht (wie bei der Masernimpfpflicht) ein gesetzliches Beschäftigungsverbot. Die Impfpflicht ist zunächst bis 31. Dezember 2022 befristet.

In den 22 Häusern der Diakonie Stetten sind Steffen Wilhelm zufolge rund 85 Prozent der Angestellten bereits geimpft. „Auch mit der Boosterimpfung kommen wir gut voran“, sagt der Pressesprecher. Bei den Bewohnern seien sogar um die 90 Prozent vollständig geimpft – die Zahl variiere natürlich von Einrichtung zu Einrichtung. Was die angekündigte Impfpflicht betreffe, so merke man, dass sie einen Effekt habe, so Wilhelm: „Einige konnten sich nun doch zu einer Impfung durchringen. Wir haben die Hoffnung, dass die Pflicht am Ende gar kein so großes Problem darstellen wird.“

In der Belegschaft werde das Thema aber durchaus kontrovers diskutiert – während die einen die nahende Impfpflicht als zusätzliche Belastung empfinden, begrüßen sie die anderen. Die Mitarbeiter seien insofern ein Spiegel der Gesellschaft, sagt Wilhelm. Welche Auswirkungen die Impfpflicht konkret haben wird, weiß er noch nicht. Mit der Umsetzung habe man sich noch nicht im Detail beschäftigt. Eins aber sei sicher: „Wenn auch nur einzelne Mitarbeiter aussteigen würden, wäre das ein großer Verlust für uns“, betont Wilhelm.

Die Befürchtung, Pflegekräfte könnten ihrem Beruf den Rücken kehren, hat auch Sabine Laible. Die stellvertretende Geschäftsführerin des Alten- und Pflegeheims Staigacker in Backnang weiß, dass in fast jedem ihrer Teams mindestens eine Person arbeitet, die nicht geimpft ist. „Wir haben gute Mitarbeiter, die nicht geimpft sind“, sagt sie. „Sie wollen wir nicht verlieren.“ Deutschlandweit gebe es einen Mangel an Pflegekräften, führt Laible aus. „Ich weiß nicht, ob die Impfpflicht für Gesundheitsberufe ihn noch verstärken wird. Ob sich die Mitarbeitenden beruflich umorientieren werden oder ob sie sie als Anlass nehmen werden, sich doch noch impfen zu lassen.“

Im Staigacker entspricht die Impfquote der stellvertretenden Geschäftsführerin zufolge etwa der der Gesamtbevölkerung: Rund 70 Prozent der zirka 400 Mitarbeiter waren geimpft, als Sabine Laible den Impfstatus vor ein paar Wochen abfragte. Nach den Genesenen erkundigte sie sich jedoch nicht. Die Quote derjenigen mit gültigem Nachweis dürfte also etwas höher liegen.

Die angekündigte Impfpflicht hält Laible für „schwierig“: „Ich sehe zwar, dass man etwas tun muss“, sagt sie. „Aber eine Impfpflicht für einzelne Gruppen finde ich nicht ganz in Ordnung. Mir wäre es lieber gewesen, eine Impfpflicht für alle einzuführen.“

Dieser Ansicht ist auch Erlacher-Höhe-Vorstand Wolfgang Sartorius. „Wenn es schon ohne Impfpflicht nicht geht, wäre es besser, eine allgemeine Impfpflicht zu erlassen, anstatt wenigen, ohnehin stark belasteten Berufsgruppen mehr zuzumuten als anderen“, sagt er. „Aus unserer Sicht wäre es besser gewesen, schon im Sommer Impfungen auf freiwilliger Basis stärker zu forcieren.“ In den verschiedenen Abteilungen des diakonischen Sozialunternehmens bewegen sich die Impfquoten laut Sartorius zwischen 65 und 100 Prozent.

An den Rems-Murr-Kliniken sind nach Auskunft von Pressesprecherin Romana Bronner aktuell gut 66 Prozent der Belegschaft geimpft. „Wir bieten auch weiterhin breitflächig Impfungen für unsere Beschäftigten an und führen Aufklärungsgespräche“, sagt sie. Zu einer Impfpflicht möchten sich die Rems-Murr-Kliniken als Institution nicht äußern, erklärt Bronner, da dies eine politische Entscheidung sei, die auf politischer Ebene diskutiert werden sollte.

Kommentar
Generelle Impfpflicht wäre sinnvoller

Von Melanie Maier

Die Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheitsberufen richtet mehr Schaden an, als dass sie nützt. Zum einen schützt es Kranke und Pflegebedürftige nur bedingt, wenn zwar Pflegekräfte, Klinikangestellte und Reinigungspersonal geimpft sind, externe Besucher aber nicht. Zum anderen fühlen sich die Mitarbeitenden von Pflegeheimen und Krankenhäusern zu Recht unfair behandelt – auch wenn das Vorgehen zum Schutz aller beiträgt.

Es ist zu befürchten, dass nicht wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen der Impfpflicht ihrem Beruf – zumindest vorübergehend – den Rücken kehren und sich der Fachkräftemangel im Gesundheitssektor so verschärft. Eine generelle Impfpflicht wäre sinnvoller gewesen.

m.maier@bkz.de

Zum Artikel

Erstellt:
4. Januar 2022, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen