„Spaziergänge“ sollen legale Demos werden

Seit Mitte Dezember treffen sich Kritiker der Coronamaßnahmen jeden Montag zu nicht angemeldeten Protestzügen durch die Backnanger Innenstadt. Nun gibt es Hoffnung, dass aus den verbotenen Demonstrationen legale werden könnten. In Weissach ist dies bereits gelungen.

Nennt sich Spaziergang, ist aber eine Demonstration: Seit mehreren Wochen ziehen immer montags mehrere Hundert Menschen durch Backnang. Weil die Versammlungen nicht bei der Stadt angemeldet wurden, waren sie bisher illegal. Archivfoto: A. Becher

© Alexander Becher

Nennt sich Spaziergang, ist aber eine Demonstration: Seit mehreren Wochen ziehen immer montags mehrere Hundert Menschen durch Backnang. Weil die Versammlungen nicht bei der Stadt angemeldet wurden, waren sie bisher illegal. Archivfoto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Mit einer sogenannten Allgemeinverfügung hatte die Stadt Backnang im Dezember versucht, den ungenehmigten Aufzug der Protestierer zu verhindern (siehe Infobox) – geholfen hat es nichts. Auch an den folgenden Montagen zogen bis zu 1500 Personen durch die Innenstadt, um gegen Coronamaßnahmen und Impfpflicht zu protestieren. Nur wenige hielten sich dabei an Maskenpflicht und Abstandsregeln.

Dass die Polizei die Teilnehmer zwar per Lautsprecher darauf hinwies, dass es sich um eine illegale Versammlung handelt, den Protestmarsch aber nicht stoppte, begründet Holger Bienert vom Polizeipräsidium Aalen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. „Eine solche Versammlung aufzulösen, wäre nur mit massivem Zwangsmitteleinsatz möglich“, so Bienert. Angesichts der Tatsache, dass alles friedlich ablief und unter den Teilnehmern Familien mit Kindern waren, sei das nicht zu rechtfertigen. Auch Maximilian Friedrich will die Situation nicht eskalieren lassen. Er habe zwar Verständnis dafür, dass sich manche wundern, wieso die „Spaziergänge“ trotz Verbots weiter stattfinden, den Zug mit Gewalt zu stoppen, sei aber unangemessen. „Das sind Szenen, die hier keiner sehen will“, so der OB. Im Übrigen könnte dies gewaltbereite Chaoten sogar noch anlocken.

Allerdings wollen Stadt und Polizei die ungenehmigten Proteste auch nicht einfach hinnehmen: „Jedem, der daran teilnimmt, muss klar sein, dass es sich um eine illegale Versammlung handelt und er mit einem Bußgeld rechnen muss“, erklärt Friedrich. Um Beweise zu sichern, habe die Polizei Videoaufnahmen von den „Spaziergängern“ gemacht, berichtet Holger Bienert. Zwar werde man sicher nicht alle Teilnehmer belangen können, wer auf den Aufnahmen zweifelsfrei zu identifizieren sei, müsse jedoch mit einer Anzeige rechnen. Die Geldbußen können in solchen Fällen laut OB Friedrich bis zu 500 Euro betragen.

Stadtrat Steffen Degler wäre bereit,die Versammlungen anzumelden

Viel lieber wäre es dem Oberbürgermeister allerdings, wenn man gar keine Strafen verhängen müsste, weil es sich bei den Protesten um eine legale Demonstration handelt. Denn anders als es in Querdenker-Kreisen kolportiert wird, habe das Verbot nichts mit den Positionen zu tun, die die Demonstranten vertreten. „Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut und eine rüstige Demokratie muss das aushalten“, erklärt Friedrich. Allerdings gebe es für Demonstrationen nun mal Spielregeln, an die sich alle halten müssten. Eine davon besagt, dass eine öffentliche Versammlung mindestens 48 Stunden vorher beim zuständigen Ordnungsamt angezeigt werden muss. Dabei muss auch ein Versammlungsleiter benannt werden. Dieser muss dann unter anderem eine bestimmte Zahl an Ordnern organisieren und dafür sorgen, dass alle Auflagen der Behörden erfüllt werden. Neben einer vorher abgesprochenen Strecke gehört dazu in der aktuellen Situation auch die Einhaltung von Maskenpflicht und Abstandsregeln. Wenn diese Vorgaben erfüllt werden, spreche überhaupt nichts gegen einen Protestzug durch Backnang, betont Ordnungsamtsleiterin Gisela Blumer: „Wir schränken die Meinungsfreiheit nicht ein.“

Als Beispiel nennt die Amtsleiterin Weissach im Tal: Auch dort wird seit einigen Wochen regelmäßig gegen die Coronamaßnahmen protestiert, allerdings legal. Michael Kraski aus Auenwald hat die Versammlungen vorschriftsgemäß beim Backnanger Ordnungsamt angemeldet und die geforderten Ordner benannt. Die Mehrheit der rund 100 Teilnehmer habe zuletzt auch Masken getragen, berichtet Blumer. Aus Sicht des Ordnungsamts gibt es in Weissach zurzeit deshalb nichts zu beanstanden.

Im Rathaus hofft man nun, dass die Backnanger Protestierer dem Beispiel folgen. Ein möglicher Versammlungsleiter könnte Stadtrat Steffen Degler sein: Das ehemalige AfD-Mitglied, das nach eigener Aussage bisher an allen Backnanger „Montagsspaziergängen“ teilgenommen hat, bestätigt auf Anfrage, dass er grundsätzlich bereit wäre, den Protestzug bei der Stadt anzumelden. Allerdings hält er es für schwierig, eine Maskenpflicht durchzusetzen. „Ich kann doch nicht gegen die Maskenpflicht demonstrieren und gleichzeitig eine Maske tragen“, findet Degler. Seine Befürchtung ist, dass er persönlich zur Rechenschaft gezogen wird, wenn sich die Teilnehmer den Vorschriften widersetzen. Er verweist auf den Weissacher Versammlungsleiter, der bereits ein entsprechendes Verfahren am Hals habe.

Gisela Blumer betont hingegen, ihrer Behörde gehe es nicht darum, einen Sündenbock zu haben. Wichtig sei aber, dass der Versammlungsleiter auf die Teilnehmer des Protestzugs einwirke, damit sich alle an die Auflagen halten. Die Erfahrung habe nämlich gezeigt, dass die Bereitschaft, sich an die Regeln zu halten, wesentlich größer sei, wenn der Appell aus den eigenen Reihen kommt, als wenn Polizei oder Behördenvertreter die Protestierer ermahnen.

Allgemeinverfügung auf dem Prüfstand

Verfügung Am 21. Dezember hatte die Stadt Backnang eine sogenannte Allgemeinverfügung erlassen. Diese untersagt alle nicht angezeigten und nicht behördlich bestätigten Versammlung auf der Gemarkung der Stadt Backnang. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird in der Verfügung „unmittelbarer Zwang“ angedroht.

Gerichtsurteile In zwei ähnlichen Fällen wurden solche Verfügungen nun aber von Gerichten beanstandet. So erklärte das Verwaltungsgericht Stuttgart eine Verfügung der Stadt Bad Mergentheim für unzulässig. Zuvor hatte schon das Oberverwaltungsgericht Koblenz Bedenken gegen ein Verbot des Landkreises Südliche Weinstraße angemeldet.

Reaktion Die Stadt Backnang will sich laut Gisela Blumer nächste Woche mit den anderen Großen Kreisstädten im Rems-Murr-Kreis auf eine gemeinsame Linie verständigen. Man habe auch das Innenministerium um eine Einschätzung gebeten. Unangemeldete Versammlungen sind laut Blumer aber auch ohne Allgemeinverfügung verboten.

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Erstellt:
17. Januar 2022, 06:00 Uhr

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