Unterricht im Drei-Schicht-Betrieb

Nach drei Monaten Homeschooling dürfen seit gestern alle Schüler wieder in die Schule. Zurück zur Normalität geht es aber noch nicht, denn zunächst startet ein wöchentlich wechselndes System aus Fernlernen und Präsenzunterricht.

Für die Schüler der achten Klassen beginnt der Unterricht an der Max-Eyth-Realschule erst um 13 Uhr. Die Schule arbeitet im Drei-Schicht-System, damit alle Schüler wieder für einige Stunden am Präsenzunterricht teilnehmen können.Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Für die Schüler der achten Klassen beginnt der Unterricht an der Max-Eyth-Realschule erst um 13 Uhr. Die Schule arbeitet im Drei-Schicht-System, damit alle Schüler wieder für einige Stunden am Präsenzunterricht teilnehmen können.Foto: J. Fiedler

Von Kristin Doberer

BACKNANG. Wieder Unterricht in der Schule heißt es seit Montag für alle Schüler in Baden-Württemberg. Nur eben nicht zur gleichen Zeit. Während die Klassen, die in diesem und im nächsten Schuljahr ihren Abschluss machen, schon seit dem 4. Mai wieder in der Schule unterrichtet werden, sehen die Schüler der unteren Jahrgangsstufen zum ersten Mal seit etwa drei Monaten die Schule wieder von innen. Um Hygiene- und Abstandsregeln weiterhin einzuhalten, sind Klassen geteilt. Wochenweise sollen sich die Klassenstufen abwechseln, sodass jeder Schüler eine Woche Präsenzunterricht hat und die nächste Woche Homeschooling. Wie viele Stunden die Schüler in der Schule bleiben und wann welche Gruppe anfängt, regelt jede Schule selbst.

„Es war wichtig, den Schulen viel Flexibilität zu lassen“, sagt Schulamtsdirektorin Sabine Hagenmüller-Gehring. Denn die Schulen haben sehr unterschiedliche Voraussetzungen: Klassengrößen, Lehrerzahl und bauliche Strukturen haben Einfluss auf die Möglichkeiten zur Einteilung der Gruppen. Besonders wichtig ist dafür, wie viele Lehrer überhaupt für den Präsenzunterricht zur Verfügung stehen. „Wir haben Glück: In unserem Kollegium ist der Großteil der Lehrer da“, sagt Heinz Harter, Rektor an der Max-Eyth-Realschule und Geschäftsführender Schulleiter der Backnanger Schulen. „Und wir haben sehr große Räume, sodass wir auch große Klassen halbieren können.“ Bei Schulen mit kleineren Klassenräumen kann es durch die Abstandsregeln nötig werden, dass eine einzige Klasse sogar dreigeteilt werden muss. Das wiederum sei schwierig, da so noch mehr Lehrer gebraucht werden, obwohl bereits die Lehrer fehlen, die einer Risikogruppe angehören und deshalb nicht im Schulhaus unterrichten müssen.

Lehrermangel ist vor allem für kleine Schulen ein Problem.

Die Schüler haben seiner Einschätzung nach etwa ein Drittel weniger Unterricht im jetzigen Präsenzunterricht im Vergleich zur Zeit vor Corona. Denn damit alle Schüler in die Schule können, gibt es für jeden Schüler nur vier Unterrichtsstunden pro Tag. Sie sind deshalb in verschiedene Schichten eingeteilt. Ein Teil der Schüler beginnt um 7.45 Uhr, ein anderer um 8.30 Uhr und ein weiterer nachmittags um 13 Uhr. In den vier Schulstunden konzentrieren sich die Lehrer an der Max-Eyth-Realschule auf Deutsch, Mathe und Englisch. Zum Teil kommen mittlerweile auch Naturwissenschaften, Geschichte und Sozialkunde dazu. Alle weiteren Fächer werden weiterhin online unterrichtet. „Es ist noch immer ein reduziertes System“, sagt Harter. Dabei habe er mit seinem großen Kollegium optimale Möglichkeiten zur Organisation, vor allem für kleine Schulen sei das schwieriger umzusetzen.

Denn laut Kultusministerium können etwa 80 Prozent der Lehrer im Präsenzunterricht eingesetzt werden, rund 20 Prozent verzichten auf den Unterricht im Schulhaus, da sie einer Risikogruppe angehören. Einige Schulen haben sehr mit dem Lehrermangel zu kämpfen, weiß Hagenmüller-Gehring, denn bei den 80 Prozent handelt es sich um eine Durchschnittszahl. „In manchen Schulen stehen fast alle Lehrer zur Verfügung. Es gibt aber auch sehr kleine Schulen, da fehlt zum Teil die Hälfte der Lehrkräfte. Nur mit viel Vorbereitung und Planung war es möglich, hier alle Schüler in die Schule zu holen.“ Viel Organisationsarbeit mussten auch Ute Offtermatt und ihr Kollegium an der Schillerschule leisten. „Krank werden darf jetzt keiner“, sagt die Rektorin. Denn auch an der Schillerschule ist die Zahl der Lehrer im Präsenzunterricht knapp. Deshalb hat jeder Schüler seinen individuellen Stundenplan bekommen. Eine Woche im Schulhaus wechselt sich mit einer Woche Homeschooling ab. Die Kinder haben zeitversetzt zwei Stunden Unterricht, in dem sich die Lehrer auf Deutsch und Mathe beschränken. Den Online-Unterricht will die Schule nun einstellen. „Die Kinder bekommen ihre Aufgaben für die Zeit im Fernunterricht direkt in der Schule, besprochen werden die Aufgaben dann, wenn sie in der folgenden Woche wieder im Schulhaus sind“, sagt Offtermatt. „Sollten sie allerdings Fragen haben, sind die Lehrer weiterhin telefonisch erreichbar, auch wenn kein Unterricht online oder per Telefonkonferenz mehr stattfindet.“

Die Befürchtung, dass sich die jüngeren Grundschüler nicht gut genug an die Regeln halten, kann Christine Röder, die Rektorin der Grundschule Maubach, nicht bestätigen. „Am ersten Tag waren alle sehr ruhig und erstaunt, weil alles so anders ist“, sagt die Schulleiterin. „Das mit den Regeln klappt aber ganz gut. Wenn man sie ein- bis zweimal an den Abstand erinnert, verstehen sie das auch und gewöhnen sich daran.“ Ein Vorteil sei, dass die Schüler in Maubach keine gemeinsame Pause haben, in der das Einhalten der Abstandsregeln schwieriger wäre. Denn auch sie haben nur zwei Stunden Unterricht pro Tag. Dass die Kinder deshalb vor den Sommerferien noch mit ihrem Lernstoff durchkommen, glaubt Röder nicht. Zuerst müssten die Lehrer feststellen, wo ihre Schüler stehen und sie dort abholen – das sei mit nur zwei Unterrichtsstunden pro Tag schon schwierig. Denn da das Kollegium an der Schule sehr klein ist und sich nun um mehrere Kleingruppen kümmert, muss zusätzlich darauf geachtet werden, dass die Lehrer ihr wöchentliches Stundenpensum nicht überschreiten. Und obwohl noch immer weit weniger Schüler gleichzeitig in der Schule sind als vor Corona, hat sich das Kollegium auf den persönlichen Umgang gefreut. „Es ist jetzt endlich wieder etwas lauter in der Schule, das ist schon einfach schön.“

Wie geht es weiter? Der nächste Schritt der Schulen ist umstritten.

Was ist nun die nächste Lockerung für die Schulen? Kultusministerin Susanne Eisenmann hat in den Raum gestellt, dass Ende Juni zumindest alle Schüler der Grundschulen zum normalen Schulbetrieb in ihren Regelklassen zurückkehren sollen. Ein Vorschlag, der geteilte Meinungen hervorruft, denn der Regelbetrieb ist mit Abstandsregeln nicht möglich. Christine Röder hat sich bereits Gedanken zu dem Szenario gemacht. In der kleinen Grundschule gehören fast alle Lehrer zur Risikogruppe, im Moment kommen sie trotzdem freiwillig, um den Präsenzunterricht zu stemmen. „Wenn außerhalb der Schule strenge Abstandsregeln gelten und in den Klassen dann ganz darauf verzichtet wird, werden sich bestimmt einige Lehrer Sorgen um ihre eigene Gesundheit machen“, sagt Röder.

Dem stimmt auch Offtermatt zu: „Dieser ganze Aufwand und die Planung wäre dann nur für zwei Wochen.“ Es würde sich kaum lohnen, das System erneut umzustellen, da bald die Sommerferien starten. Auch Schulamtsleiterin Hagenmüller-Gehring ist sich unsicher, wie es im nächsten Schritt weitergehen soll. „Ich würde es natürlich begrüßen, wenn alle Schüler so bald wie möglich wieder voll da sind. Aber für die Schulen war bereits der Schritt gestern mit großem Aufwand verbunden. Eine weitere Lockerung wird schwierig.“ Auch seien die Schulen davon ausgegangen, dass die Regelung nun bis zu den Sommerferien gleich bleibt. Andererseits melden ihr aber immer mehr Schulleiter, dass der Druck von den Eltern größer wird und die Motivation der Schüler, Zuhause zu lernen, geringer. Man merke immer mehr, wie unterschiedlich der Lernstand der Schüler ist und dass manche Schüler über das Homeschooling kaum erreichbar sind. „Und je länger das geht, desto größer wird die Lücke. Für die Kinder lohnt sich also jeder Tag, den sie in der Schule verbringen.“

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Erstellt:
16. Juni 2020, 06:00 Uhr

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