Unverständnis für erneute Maskenpflicht in Pflegeheimen

Seit diesem Monat müssen Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen eine FFP2-Maske aufsetzen, sobald sie ihre Zimmer verlassen. Für die Leiterinnen und Leiter der Heime geht diese Regelung viel zu weit. Sie appellieren an die Politik, diese zu lockern.

Beim Verlassen ihrer Zimmer müssen die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen aktuell laut dem neuen Infektionsschutzgesetz eine FFP2-Maske tragen. Symbolfoto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Beim Verlassen ihrer Zimmer müssen die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen aktuell laut dem neuen Infektionsschutzgesetz eine FFP2-Maske tragen. Symbolfoto: Tobias Sellmaier

Von Lorena Greppo

Rems-Murr. Seit dem 1. Oktober gilt in Pflegeheimen und Krankenhäusern die Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken. Für Besucherinnen und Besucher hat sich dadurch nichts verändert, erklärt Sabine Laible, stellvertretende Geschäftsführerin des Alten- und Pflegeheims Staigacker. Auch für die Mitarbeiter ergeben sich nur wenige Änderungen. Sie hätten zum Teil medizinische Masken tragen können, wenn sie nicht direkt am Bewohner waren – das war mit zum Teil sehr anstrengender körperlicher Arbeit weniger belastend. Auch für sie soll die FFP2-Maskenpflicht nun wieder durchgehend gelten, auch das sei noch tragbar. Wie sich die Neuerung des Infektionsschutzgesetzes hingegen auf die Bewohnerinnen und Bewohner auswirkt, bezeichnet Laible als „massiven Eingriff“. Denn sie sollen aktuell eine FFP2-Maske tragen, sobald sie ihre Zimmer verlassen – also auch in Gemeinschaftsräumen oder während Therapien. Laibles Meinung zu dieser Neuerung ist eindeutig: „So kann es nicht bleiben, das ist eine Zumutung“, sagt sie.

Ihre Hoffnung: Das Bundesgesundheitsministerium hatte neue Erläuterungen zum Gesetzestext angekündigt. Denn dieser besage lediglich, dass eine FFP2-Maske beim Eintritt in die Einrichtung getragen müsse und dass „Räume des dauerhaften Aufenthalts“ ausgenommen seien. Aktuell sei dies so ausgelegt worden, dass nur das eigene Zimmer als ein solcher Raum gilt. „Das ist sehr alltagsfern“, so Laible. „Der Wohnbereich sollte befreit sein.“ Sie haben diesbezüglich auch schon verschiedene Briefe an Behörde und verantwortliche Personen geschrieben. Denn klar sei: „Viele Bewohner verstehen das nicht.“

Ob Baden-Württemberg den Sonderweg mitgeht, ist nicht klar

Bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz sei es sowieso kaum möglich, dass sie eine Maske aufbehalten. Doch auch die anderen seien durch die neue Maskenpflicht stark verunsichert, manche fühlten sich verpflichtet, auf ihren Zimmern zu bleiben. Das käme einer erneuten Isolation wie zu Anfang der Pandemie gleich. Dabei sei das Heim für die Menschen ihr Zuhause – andere tragen da auch keine Masken. Dass in den Einrichtungen so rigorose Vorschriften gelten sollen und anderswo das Leben quasi ohne Einschränkungen vor sich geht, findet die stellvertretende Staigacker-Geschäftsführerin nicht nachvollziehbar.

Ob beispielsweise auch das Land Baden-Württemberg diesbezüglich einen Sonderweg gehen kann, ist noch nicht klar. Das Sozialministerium könne nicht sagen, ob es rechtlich möglich wäre, andere Regelungen zu treffen, teilt Jochen Haußmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP/DVP-Fraktion mit. Er fordert angesichts der Proteste gegen die Maskenpflicht: „Minister Lucha muss beim Thema Maskenpflicht für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen schnell für eine Lösung sorgen.“

„Eine massive Sonderbehandlung für Menschen mit Behinderung und Menschen in Pflegeeinrichtungen“

Kritik hatte es im Vorfeld in großem Maße gegeben. Überregionale Aufmerksamkeit erregte beispielsweise der Protest von Bewohnerinnen und Bewohnern, Angehörigen und Pflegerinnen und Pflegern des St.-Anna-Stifts in Ulm im September. In der hiesigen Region hatten sich auch die Vorstände der Diakonie Stetten Rainer Hinzen und Dietmar Prexl und die Geschäftsführerin des Alexander-Stifts Gaby Schröder klar positioniert. Zum einen treibe das neue Infektionsschutzgesetz „die massiven Benachteiligungen für Pflegeeinrichtungen noch weiter auf die Spitze“, teilten sie mit.

Vor allem die negativen Folgen für die Bewohnerinnen und Bewohner wurden hervorgehoben: „Diese Vorgabe bedeutet für Menschen mit Behinderung und Menschen in Pflegeeinrichtungen eine massive Sonderbehandlung und ist ein großer Rückschlag für alle Bemühungen um Inklusion und Normalität für die betroffenen Menschen“, so ihr Urteil. Diese wohnen mittlerweile in familienähnlichen Wohnungen und Wohnarrangements und sollen nun Masken tragen, wenn sie mit ihren Mitbewohnern am Tisch sitzen oder gemeinsam fernsehen – für Hinzen, Prexl und Schröder ein untragbarer Zustand.

Für Gaby Schröder hat die verschärfte Maskenpflicht im Alltag fatale Konsequenzen für die Pflegebedürftigen: „Wir sprechen bei unseren Heimbewohnern von Menschen in der letzten Lebensphase, für die der Kontakt über Sprache und Mimik im Alltag immens wichtig ist, von Menschen, die ohnehin oft nicht mehr gut hören können. Die Gesichter und das Lächeln von Pflegenden und Angehörigen sehen zu können wurde ihnen seither schon versagt. Nun dürfen sie in unseren Wohnküchen und Aufenthaltsbereichen nicht einmal mehr ihren Mitbewohnern ins Gesicht schauen.“

Mehrbelastung für die Mitarbeiter

Schröder appelliert an die Politik, die Lebensqualität der Bewohner nicht hinter den Gesundheitsschutz zu stellen. „Das ist aus ethischer Sicht und im Hinblick auf die Grundrechte in höchstem Maße bedenklich. Aber auch im Hinblick auf den Infektionsschutz ist die Maskenpflicht für Bewohner völlig unsinnig, weil die Regel nicht mehr gilt, sobald die Bewohner die Pflegeeinrichtung verlassen – zum Beispiel, wenn sie von den Angehörigen abgeholt werden.“

Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Stetten Rainer Hinzen sieht darüber hinaus erhebliche Mehrbelastungen auf die Einrichtungen zukommen, unter anderem auch, weil die Testpflicht ebenfalls verstärkt wurde: „Das neue Gesetz verlangt von uns nicht nur, dass wir zusätzliche personelle Ressourcen für die verpflichtenden Testungen schaffen, sondern auch noch, dass wir verantwortliche Personen benennen, die sich um die Umsetzung der Maßnahmen kümmern. Als ob wir nicht schon seit Beginn der Pandemie mit großem Aufwand sämtliche geforderten Schutzmaßnahmen organisieren und umsetzen würden. Die neuen Vorgaben bedeuten für uns einen erheblichen Mehraufwand, den wir angesichts der stark angespannten Personalsituation nicht noch zusätzlich schultern können. Ganz abgesehen davon, dass wir diese Maßnahmen auch noch aufwendig dokumentieren sollen und dass das Gesetz für die Zusatzaufgaben in der Eingliederungshilfe keinerlei finanziellen Ausgleich vorsieht.“ Die einrichtungsbezogene Impfpflicht verursache schon genug Unmut und zusätzliche Bürokratie. Nach zweieinhalb Jahren intensiven Coronakrisenmanagements sei das Gesetz ein weiterer Baustein, der daran zweifeln lasse, dass die Politik den Ernst der Lage der Einrichtungen begriffen habe. „Die Regeln sind speziell für uns jetzt noch schärfer als im vergangenen Coronawinter. Das ist in der jetzigen Pandemiesituation völlig absurd“, ärgert sich Schröder. Der in Aussicht gestellte finanzielle Ausgleich decke den Zusatzaufwand nicht annähernd ab.

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Erstellt:
13. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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