Von der Selbstisolation zur Prüfung

Abiauftakt: Wie im vergangenen Jahr stehen die Prüfungen wegen Corona unter einer Reihe spezieller Rahmenbedingungen und Regeln. Der Abschlussjahrgang des Heinrich-von-Zügel-Gymnasiums in Murrhardt hat den Vorteil, dass er recht klein ist.

In der Festhalle in Murrhardt ist viel Platz. Gestern starteten 17 Prüflinge im Leistungsfach Deutsch. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

In der Festhalle in Murrhardt ist viel Platz. Gestern starteten 17 Prüflinge im Leistungsfach Deutsch. Foto: A. Becher

Von Christine Schick

MURRHARDT. „Es ist ziemlich gut gelaufen“, sagt Hanna Jetter. Die 18-Jährige ist über eine halbe Stunde vor Abschluss der Deutschprüfung fertig. Sie hat sich für das Verfassen eines Kommentars zum Thema „geschlechtergerechte Sprache“ entschieden, zu dem es ein Dossier an Materialien gab. „Das war ein gutes Thema und ich finde, es muss auch Spaß machen.“ Die Möglichkeit, sich draußen die Beine ohne Maske zu vertreten, hat ihr gutgetan, sie nach einer kurzen Blockade auf andere Gedanken gebracht, erzählt sie. Die Vorbereitung in den letzten beiden Wochen beschreibt sie als konzentriert, wenn auch manchmal etwas einsam.

Insgesamt sind es 30 junge Menschen, für die nun Abiturprüfungen in der Walterichstadt anstehen. In Zeiten von Corona hat das einen ganz praktischen Vorteil, nämlich dass es leichter ist, die Abstände einzuhalten. Die Abiturienten schreiben ihre Klausuren in der Murrhardter Festhalle. Am gestrigen Dienstag stand die Prüfung im Leistungsfach Deutsch für 17 Schüler auf dem Programm. Es ist viel Platz, um die Tische weit genug voneinander aufzustellen. Annette Zickler-Maier, Konrektorin am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium, berichtet, dass sich die Abiturienten zwei Wochen zuvor in eine selbst auferlegte, freiwillige Isolation begeben haben. Der Präsenzunterricht wurde ausgesetzt beziehungsweise auf digitales Lernen umgestellt. „Wir haben ihnen das empfohlen, um das Risiko zu minimieren, nicht beim Haupttermin teilnehmen zu können“, sagt Rektor Henning Zimmermann.

Der Abiturjahrgang hat sich in selbst auferlegte Isolation begeben.

In der vergangenen Woche gab das Kultusministerium dann noch mal spezifische Regeln für die Abschlussprüfungen an den allgemeinbildenden Gymnasien, den Gemeinschaftsschulen und beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg bekannt. Neben der Pflicht, eine medizinische Maske zu tragen, und dem Abstandsgebot von 1,5 Metern sollen die Schulen den Abiturienten Schnelltests anbieten, aber nicht kurz vor der Prüfung, also mit einem gewissen Vorlauf. Zudem müssen sie dafür sorgen, dass Getestete und Nichtgetestete in jeweils getrennten Räumen ihre Prüfung ablegen können. Das heißt, die Schüler sind nicht dazu verpflichtet, sich testen zu lassen, die Schulen müssen aber besagte getrennte Räume zur Verfügung stellen. Mit der Festhalle und dem überschaubaren Jahrgang ist man in Murrhardt aber in einer relativ komfortablen Lage.

Eine Trennung der 17 Abiturienten war gestern auch nicht nötig, da sich auf die Nachfrage des Gymnasiums, wer am Montag noch einen Schnelltest in der Schule machen möchte, keiner dafür entschieden hat. Vor dem Hintergrund der 14-tägigen freiwilligen Isolation und angesichts des Wunschs, sich am letzten Tag ganz auf die Vorbereitung zu konzentrieren und nicht mehr zum Gymnasium zu fahren (Einzugsgebiet ist das Obere Murrtal), kann Annette Zickler-Maier dies gut verstehen. Hinzu kommt die zeitliche Komponente. „Angenommen beim Schnelltest handelt es sich um ein falsch-positives Ergebnis, ist nicht garantiert, dass ein Schüler bis Dienstag noch einen PCR-Test machen kann, mit dem sich das abklären ließe“, erläutert sie. Ohne solch einen negativen PCR-Test wäre die Teilnahme aber nicht möglich. Es sieht so aus, als wollten die Abiturienten jedenfalls kein Risiko in dieser Hinsicht eingehen. Auch zur zweiten Prüfung, die am Freitag ansteht, hat bisher keiner Interesse an einem Schnelltest angemeldet. Aber selbst, wenn sich das ändert, ist es in der Festhalle gut möglich, einen Raum abzugrenzen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, sagt Zimmermann.

Zu den Regeln gehört auch das Tragen einer medizinischen Maske, allerdings kann sie zum Essen und Trinken abgenommen werden und die Abiturienten haben die Möglichkeit, nach draußen zu gehen, um dort bei einer Pause ohne Mund-Nasen-Schutz durchzuatmen.

Wie sieht es bei den Vorbereitungen für die Abiturienten aus? Sie waren bereits als Elftklässler mit nicht wenigen Unterbrechungen, Homeschooling und sich immer wieder verändernden Bedingungen durch Corona konfrontiert. Mit Blick aufs Abitur und das Lernen geht Annette Zickler-Maier davon aus, dass sie sich gut auf die Prüfungen vorbereiten konnten. Das Heinrich-von-Zügel-Gymnasium habe in puncto Fernunterricht viel dazugelernt und nun einen guten Stand. Natürlich sei es auch vom Einzelnen abhängig, manche blühten beim digitalen Lernen regelrecht auf, andere bräuchten den direkten Kontakt. Seit Mitte Februar waren wieder Präsenz- und Fernunterricht im Wechsel möglich. „Ich sehe ein größeres Problem darin, dass so etwas wie ein Selbstbelohnungssystem fast nicht möglich ist“, sagt sie. Sich nach einem intensiven Lerntag beispielsweise mit einem Kinobesuch zu beschenken, geht bekanntlich nicht. Auch andere entlastende, entspannende Faktoren wie Gespräche mit Mitschülern oder Kontakt zum Lehrer waren stark reduziert. Gleichzeitig gebe es auch Punkte, die die Sondersituation ein Stück weit auszugleichen versuchen: eine größere Auswahl bei den Aufgaben und ein Plus von 30 Minuten bei der Prüfungszeit.

Daniel Reutter (18) ist zufrieden, es sei mittel bis gut gelaufen. Schon vor Prüfungsende kommt er nach draußen. „Das ist so ein Ding mit dem Abitur, man macht sich viele Gedanken und dann ist es gar nicht so viel anders wie eine normale Klausur“, meint er. Der 18-Jährige hat ebenfalls das Dossier zu „geschlechterneutrale Sprache“ durchgearbeitet und einen Kommentar geschrieben. „Das ist ein ergiebiges Thema.“ Von der Schule und seinen Lehrern fühlt er sich gut unterstützt, am schwierigsten sei es beim ersten Lockdown gewesen, weil da die digitale Betreuung erst aufgebaut werden musste. Jessica Sattler hat sich auch für die materialgestützte Erörterung zur geschlechterneutralen Sprache entschieden. „Ich war schon nervös, hab mich aber auch gut vorbereitet gefühlt“, sagt sie. Letztlich konnte sie dann recht flüssig schreiben. Nebenbei erzählt sie, dass sie heute ihren 18. Geburtstag feiert. Immerhin: Deutsch gehört zu ihren Lieblingsfächern. Der Vierte im Bunde beim Thema ist Raphael Schuster (18). Er hatte bei der Erörterung eines literarischen Textes auf ein Werk gesetzt, das nicht drankam, aber beides vorbereitet. Mit Blick auf die nicht ganz leichte Zeit mit Corona räumt er ein, etwas homeschoolingmüde zu sein. Der direkte Kontakt zu den Mitschülern und Lehrern habe ihm gefehlt, wobei er sich insgesamt sehr gut unterstützt fühlt.

Finn Dieterich (18) hat sich mit einer Kurzgeschichte von Thomas Bernhard auseinandergesetzt. „Ich glaube, es ist gut gelaufen, aber mal schauen, ob das auch stimmt“, sagt er. Die Begleitung durch seine Lehrer fand er engagiert. Die Zeit komplett ausgenutzt hat Selina Wagner (17). „Es lief ziemlich gut“, sagt sie. Ihr Werkvergleich zwischen „Der goldne Topf“ und „Steppenwolf“ umfasst 22 Seiten, jetzt hofft sie nur, gezielt genug auf die Fragestellung eingegangen zu sein. Sie gibt zu, dass ihre Stimmung wegen Corona, der Kontaktbeschränkungen und ungewissen Zukunft schon ein wenig gedrückt sei. Andererseits sei es gut, nun den wichtigen Schritt zu gehen – das Abitur abzulegen.

Aufgaben: Allgemeinbildende Gymnasien und Gemeinschaftsschulen

Aufgabe 1 (Erörterung): Auseinandersetzung auf der Grundlage eines Textes von Michael Jaeger mit den von dem Literaturwissenschaftler vertretenen Positionen zur Wahrnehmung der Figur Fausts durch Margarete in Goethes „Faust“. Alternativ konnten die Lehrkräfte wählen: Zu zwei der im Leistungsfach Deutsch behandelten Pflichtlektüren (E.T.A. Hoffmann: Der goldne Topf und Hermann Hesse: Der Steppenwolf) war ausgehend von einem Zitat von Friedrich Emanuel Hurter zu erörtern, inwieweit Anselmus in „Der goldne Topf“ und Harry Haller in „Der Steppenwolf“ ihr Leben selbst bestimmen.

Aufgabe 2 (Kurzprosa/Lyrik): Zu interpretieren war die kurze Erzählung „Von einem Nachmittag in der großen Stadt“ (erschienen 1952) von Thomas Bernhard (1931 bis 1989). Alternativ: Vergleichende Interpretation der beiden Gedichte „Der Wanderer“ (erschienen 1802) von Friedrich Schlegel (1772 bis 1829) und „Fahrten“ (erschienen 1906) von Stefan Zweig (1881 bis 1942).

Aufgabe 3 (Argumentativer Text): Auseinandersetzung mit dem Thema „geschlechtergerechte Sprache“ anhand eines Dossiers. Dazu war ein Kommentar als Beitrag für einen Schülerwettbewerb einer überregionalen Tageszeitung zu verfassen. Alternativ: Zum Artikel „Der Selbstbetrug in der digitalen Selbstverwirklichung – über das Elend des Nicht-vergessen-Könnens“ von Peter Strasser (NZZ, 5. August 2019) war die Position des Autors zu ermitteln und dessen Argumentation herauszuarbeiten, im Anschluss war eine kritische Auseinandersetzung mit der vom Autor vertretenen Position zur Selbstdarstellung im Internet gefordert.

Zum Artikel

Erstellt:
5. Mai 2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen