Wie jetzt: War’s das mit Corona?

Die Fallzahlen sind immer weiter gesunken, die Kurve ist immer flacher geworden, und es gibt kaum noch neue Infektionen. Fast alles ist wieder geöffnet. Hat uns die Normalität wieder? Oder übersehen wir etwas? Die Behörden mahnen weiter zur Vorsicht.

Abstand halten ist weiterhin geboten. Foto: R. Steinemann

© Ralph Steinemann Pressefoto

Abstand halten ist weiterhin geboten. Foto: R. Steinemann

Von Armin Fechter

WAIBLINGEN. Die offiziellen Statistiken haben sich gewandelt. Im März und April wurden täglich in der Regel zweistellige Zuwachsraten bei den neuen Fällen registriert, seit zweiter Hälfte Mai sind es jedoch nur noch einzelne Fälle. Öfter steht sogar die Null. Und selbst wenn man beispielsweise annimmt, dass von 31. Mai bis 2. Juni wegen der Pfingstfeiertage keine oder nur ganz wenige Tests gemacht wurden, sodass an diesen drei Tagen auch gar keine positiven Fälle verzeichnet werden konnten, hätte vielleicht doch ein markanter Anstieg folgen müssen. Dem war aber nicht so: Die nächsten Tage stehen mit drei, fünf, drei und noch mal drei Infektionen in der Bilanz, gefolgt von einer weiteren Null.

Ist die Krise also praktisch überstanden? Das Ganze ist so einfach nicht, sagt Martina Keck vom Landratsamt im Hinblick auf die Statistiken. Diese erfassen nämlich nur die Fälle, die gemeldet, getestet und bestätigt wurden. Wie viele Infektionen tatsächlich unterwegs sind, sei nicht bekannt, gibt sie zu bedenken: Viele Erkrankungen würden nicht als Covid-19-Fälle erkannt, weil sie untypisch verlaufen und zum Teil keine oder nur leichte Symptome auftreten. Damit fehlen, wie auch Virologen schon frühzeitig warnten, verlässliche Erkenntnisse über das Infektionsgeschehen insgesamt.

Lokale Ausbrüche zeigen, dass das Virus nach wie vor virulent ist.

Vermitteln die offiziellen Statistiken also eine trügerische Sicherheit? Immerhin könnte man ja aufgrund der Lagekarte des Landratsamts annehmen, dass es bereits eine ganze Reihe coronafreier Gemeinden im Rems-Murr-Kreis gibt: Spiegelberg, Sulzbach an der Murr, Oppenweiler, Burgstetten, Althütte und andere. Doch auch das sei „schwierig“, sagt Martina Keck. Von coronafreien Orten könne man im Grunde nicht sprechen, und das tue das Landratsamt auch nicht, denn die Zahlen besagen ja nur, dass es keine bekannten aktiven Fälle gibt. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus in der Lagekarte nicht extra ausgewiesen werden – sie stecken aber trotzdem in den jeweiligen Summen drin, nämlich in der Zahl der Infizierten. Und schließlich zeigen etliche lokale Ausbrüche wie in Göttingen, Gütersloh oder Bremerhaven, dass das Virus nach wie vor virulent ist. Solche Situationen könne man auch für den Rems-Murr-Kreis nicht ausschließen. Besondere Risiken bestünden dort, wo viele Menschen nah beieinander wohnen, etwa in Heimen, stationären Pflegeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünften, auch wenn dort Vorkehrungen für mehr Distanz getroffen wurden und Beschränkungen für Besucher gelten. Auch Schulen bergen Risiken. Erst gestern wurde eine Schülerin der Gewerblichen Schule Backnang positiv getestet. Laut Landratsamt hatte sie in der Schule keine engen Kontakte. Schule, Gesundheitsamt und Stadt wollen die Situation aber eng im Blick behalten und bei Bedarf weitere Tests veranlassen. Die Menschen dürften sich also nicht in falscher Sicherheit wiegen, warnt Keck.

„Wachsam bleiben“, lautet die Devise, die Martina Keck verbreitet – im Einklang mit Landrat Richard Sigel, der dieser Tage konstatierte, dass die Zahlen zwar etwas abgenommen haben. Aber: „So ganz haben wir Corona nicht hinter uns.“ Weil es genug Fälle gibt, bei denen unbekannt ist, woher sie kommen; weil sich die Infektionskette oftmals nicht zurückverfolgen lässt; und weil immer mehr Öffnungen auch immer mehr Kontakte nach sich ziehen, sei nach wie vor Vorsicht nötig – Disziplin und ein vernünftiger Umgang miteinander, wie es der Waiblinger OB Andreas Hesky sagte.

Sinkende Fallzahlen sind auch bei den Rems-Murr-Kliniken zu verzeichnen. Wie Sprecherin Monique Michaelis auf Anfrage berichtet, wurden im Durchschnitt im Zeitraum von Mitte März bis Ende Mai täglich rund 30 Covid-19-Fälle behandelt, Verdachtsfälle nicht inbegriffen. Im April wurde mit 100 Patienten der Höchststand verzeichnet. Rund ein Drittel der Patienten musste dabei jeweils beatmet werden. Vor dem Hintergrund dieser Fallzahlen sicherte sich der Landkreis Ende März im Hotel Sonnenhof in Kleinaspach eine Bettenreserve mit bis zu 100 Plätzen. Diese wurde inzwischen wieder aufgegeben. Ende vergangener Woche befanden sich noch neun Patienten wegen einer Covid-19-Erkrankung in Krankenhausbehandlung, davon wurde einer intensivmedizinisch behandelt.

Insgesamt wurden seit Beginn der Coronapandemie in den Rems-Murr-Kliniken fast 200 Covid-19-Patienten behandelt. Davon konnten 128 in Anschlussbehandlungen oder ins häusliche Umfeld entlassen werden, 56 sind verstorben.

Die aktuelle Lagekarte des Rems-Murr-Kreises zeigt die Fallzahlen in den einzelnen Städten und Gemeinden.

Die aktuelle Lagekarte des Rems-Murr-Kreises zeigt die Fallzahlen in den einzelnen Städten und Gemeinden.

Verlauf seit Ende März: Die Dynamik hat deutlich sichtbar abgenommen – zurzeit befinden sich nur noch 32 Personen in Quarantäne.

Verlauf seit Ende März: Die Dynamik hat deutlich sichtbar abgenommen – zurzeit befinden sich nur noch 32 Personen in Quarantäne.

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Erstellt:
24. Juni 2020, 06:00 Uhr

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