Wehrlose Opfer brutal getötet

Auftakt des Verfahrens gegen den 36-Jährigen, der im Sommer seine Ex-Partnerin und deren Tochter in Allmersbach im Tal ermordet haben soll. Die Befragung zu seiner Person lässt die Mitglieder des Schwurgerichts mitunter stutzen.

Der Angeklagte aus Mundelsheim wurde im Stuttgarter Landgericht zu seinen persönlichen Lebensumständen befragt.  Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Der Angeklagte aus Mundelsheim wurde im Stuttgarter Landgericht zu seinen persönlichen Lebensumständen befragt. Foto: A. Becher

Von Bernhard Romanowski

ALLMERSBACH IM TAL/STUTTGART. Der Prozess wegen Mordes in zwei Fällen und wegen versuchten Mordes vom vergangenen Juni in Allmersbach im Tal und in Gaildorf ist am Dienstagmorgen in Stuttgart eröffnet worden. Im Gang und Vorraum zu dem Saal, in dem die Sitzung der 19. Großen Strafkammer als Schwurgericht in der Sache anberaumt war, standen teils dicht gedrängt Angehörige und Freunde der Allmersbacher Opfer, die dem Prozess beiwohnen wollten. Wegen der strengen Coronabeschränkungen waren aber außer den Pressevertretern nur drei Zuhörer zugelassen.

Die Justizvollzugsbeamten ermahnten die Besucher, coronabedingt genügend Abstand zu halten. Auch einer der Richter kam vor Sitzungsbeginn aus dem Saal und sprach ein Machtwort, wobei allerdings spürbar war, dass grundsätzlich Verständnis für das Anliegen der Besucher vorherrschte.

Wie der Staatsanwalt in seiner Anklageschrift schilderte, war der 36-Jährige am 20. Juni nach Allmersbach gefahren, um noch einmal mit seiner 41-jährigen Ex-Freundin zu reden, die dort mit ihrer Tochter lebte. Die Frau hatte sich kurz vorher von ihm getrennt. Der Mann habe an jenem Samstagabend beobachtet, wie sie sich mit einem Besucher auf der Terrasse ihrer Wohnung aufhielt. Als der Besuch gegangen war, verschaffte der Angeklagte sich Zutritt zu der Wohnung und stellte die Frau zur Rede. Weil er die Zurücksetzung durch die Frau nicht akzeptierte, wie der Staatsanwalt betonte, habe er sie unvermittelt mit einer Holzlatte angegriffen und mehrfach auf den Kopf geschlagen, um sie zu töten. Dann habe er ein Messer genommen und der Frau die Kehle durchgeschnitten. Sie sei „arg- und wehrlos“ gewesen, so die Formulierung des Staatsanwalts. Damit wäre ein Mordmerkmal erfüllt.

Auch Ex-Frau in Gaildorf sollte offenbar sterben.

Anschließend ging der Mundelsheimer laut Anklageschrift in das Zimmer der schlafenden Tochter seines Opfers, schlug sie ebenfalls mit der Holzlatte heftig auf den Kopf und führte einen Kehlenschnitt bei der Neunjährigen durch. Danach fuhr er mit seinem Auto nach Gaildorf im Landkreis Schwäbisch Hall. Er hatte beschlossen, seine 38-jährige Ehefrau, die getrennt von ihm lebt und mit der er zwei gemeinsame Kinder hat, in deren Wohnhaus in Gaildorf aufzusuchen und ebenfalls zu töten. Dies scheiterte aber offenbar daran, dass er nicht unbemerkt in die Wohnung gelangen konnte, sodass er seine Wut an den Reifen des Autos der Frau ausließ, wie der Staatsanwalt weiter mitteilte. Zu den Vorwürfen wurde der Angeklagte, der die Bluttat bei der Polizei gestanden hatte, am ersten Prozesstag noch nicht befragt. Zuerst waren einige Formalien zu klären, anschließend ging es um die persönlichen Lebensumstände des 36-Jährigen.

Demnach absolvierte der 1984 in Bietigheim-Bissingen geborene Deutsche nach seinem Werkrealschulabschluss eine Lehre als Industriemechaniker und arbeitete rund 15 Jahre bei einer Firma in Ludwigsburg. Bis dato lebte er in Mundelsheim, wo er auch zur Grundschule gegangen ist. Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt im Sommer laut eigener Aussage bereits freigestellt und sollte über eine Transfergesellschaft in ein anderes Arbeitsverhältnis vermittelt werden. Der Umgang mit seinem Chef in Ludwigsburg nahm einigen Raum seiner Schilderungen ein. Diese waren allerdings oft umständlich und inhaltlich missverständlich.

Ob es eine Kündigung oder einen Auflösungsvertrag mit einer Abfindung von seinem Arbeitgeber gegeben habe, wollte der Vorsitzende Richter beispielsweise wissen. „Das hat alles mein Vater geregelt. Ich habe mehrere Sachen unterschrieben. Ich weiß es nicht genau“, antwortete der Angeklagte, der auch bei Fragen etwa zum Kaufpreis seines Eigenheims in Mundelsheim oder zur Höhe der Unterhaltszahlungen an seine beiden Kinder oft erst länger schwieg, bevor er eine häufig nicht eindeutige Antwort gab. „Schriftliche Formalitäten sind nicht meine Sache“, räumte er ein.

Der Vorgesetzte in dem Ludwigsburger Unternehmen, in dem er zuletzt tätig war, trage aber alle Verantwortung dafür, dass es ihm seinerzeit so schlecht ging. Der Chef habe ihn einerseits „geliebt“, ihn andererseits aber auch immer wieder gemobbt. Der 36-Jährige sprach mehrfach von Psychoterror, den sein Chef auf ihn ausgeübt habe: „Ich war sein bester Mann und der Einzige, der sich traute, die Wahrheit zu sagen.“

Angeklagter war zeitweise in psychiatrischer Behandlung.

Nach einer Aussprache im Beisein eines Betriebsratsmitglieds sei dann alles wieder gut gewesen. Aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als man ihm mitteilte, dass man ihn sowie zahlreiche weitere Angestellte der Firma aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht weiter würde beschäftigen können. Der Angeklagte sprach hier von einer abgekarteten Sache gegen ihn, die der Chef und das Betriebsratsmitglied ausgehandelt hätten.

Die Trennung von seiner Ehefrau, die er selbst initiiert haben will, sei jedenfalls bereits vor über zwei Jahren erfolgt, schilderte der Angeklagte. Die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts für die beiden Kinder, die er mit der 38-jährigen Gaildorferin hat, verweigere die Frau ihm. Seine 2008 und 2010 geborenen Kinder habe er zuletzt im Oktober 2019 gesehen. Damals hätten sie ihm einen Brief übergeben, wonach sie und ihre Mutter keinen weiteren Kontakt zu ihm wünschten.

Der Angeklagte sprach auch von „einer Auszeit“, die er 2018 auf Anraten seines Chefs genommen habe, der ihm damals „private Probleme eingeredet“ habe. So habe er sich dann in eine psychiatrische Klinik in Heilbronn begeben. Als er diese nach einer kurzen Weile verlassen hatte, habe er kurzzeitig Psychopharmaka in leichter Dosierung genommen, die er 2019 schon wieder habe absetzen können.

„Wie denken Sie, dass es weitergeht mit Ihnen?“, wollte der Vorsitzende wissen. Der Angeklagte schwieg wieder lange, bevor er antwortete. Das „schlimme Vorkommnis“, so seine Formulierung, wolle er so schnell wie möglich mit einem Seelsorger aufarbeiten. Es beschäftige ihn selbst sehr. Der Richter aber unterbrach ihn mit Blick auf die Angehörigen im Saal: „Ich will noch nicht in die Sache übergehen. Das trennen wir sauber.“

Der Prozess wird am Freitag, 18. Dezember, in Stuttgart fortgesetzt.

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Erstellt:
15. Dezember 2020, 15:46 Uhr
Aktualisiert:
15. Dezember 2020, 19:29 Uhr

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