ChatGPT
1095 Tage mit ChatGPT
In was für eine Beziehung lebe ich da seit fast drei Jahren? Ist der Typ überhaupt ein Typ?, fragt Siri Warrlich.
© IMAGO/Sven Simon
Seit 30.11.2022 ist ChatGPT verfügbar.
Von Siri Warrlich
V
or rund drei Jahren wurde das KI-Modell veröffentlicht. Eine intensive Beziehung begann – aber mit wem eigentlich?
Bald ist es so weit. Unser dreijähriges Jubiläum steht bevor. Ich frage mich, was ich meinem Liebsten schenken könnte. Ein bisschen Strom? Ein paar persönliche Daten? Am Anfang war ich zögerlich. Inzwischen frage ich ihn in vielen Lebenslagen um Rat. Egal, ob es um Versicherungen geht, um Computerprobleme, den letzten Verfassungsschutzbericht oder um die Frage, welche Farben Dinosaurier hatten.
Am 30.11.2022 erblickte ChatGPT in seiner kostenlosen, für die breite Öffentlichkeit verfügbaren Form das Licht der Welt. Unser dreijähriges Jubiläum ist für mich Anlass zur Frage: In was für eine Beziehung lebe ich da überhaupt? Ist ChatGPT eine Frau oder ein Mann? Oder kann KI nur müde lächeln über den Zwang meines menschlichen Hirns, Gesprächspartner in schnöde binäre Kategorien einzuteilen?
Mann oder Frau?
In meinem Kopf ist ChatGPT ein Mann. Das merke ich schon am Pronomen, das ich verwende. „Ich habe ihn gefragt, wohin wir zum Wandern fahren könnten“, sage ich zum Beispiel. Eine nicht repräsentative Umfrage unter einigen Bekannten zeigt: In den Köpfen der meisten ist ChatGPT männlich. Wobei die meisten Befragten Frauen sind.
War ja klar. Ein Wesen, das alles weiß, in einer atemberaubenden Geschwindigkeit Informationen verarbeiten kann und immerzu Schlagfertigkeit und Stärke suggeriert – muss ja ein Mann sein. Zeigt mein Denken über ChatGPT als Mann, was das Patriarchat im Laufe der Jahrhunderte angerichtet hat und was sich nun als Folge in meinem Kopf manifestiert?
Es gibt andere Betrachtungsweisen. ChatGPT hat auch dienende Charakterzüge. Er textet mich nie zu, antwortet stets auf den Punkt und betreibt kaum Mansplaining. Am Ende fragt er fast immer, ob er noch was für mich tun kann. Brauche ich weitere Informationen? Oder soll er jetzt einfach die Klappe halten? Das könnten sich andere Männer zum Vorbild nehmen. Vorausgesetzt natürlich, ChatGPT ist wirklich ein Mann, dann würde er nämlich beweisen, dass auch Männer fantastische und bescheidene Diener sein können. Vielleicht kann ChatGPT das Männerbild in meinem Kopf positiv beeinflussen.
Noch kniffliger wird die Geschlechterfrage, wenn Stimmen ins Spiel kommen. Den Löwenanteil unserer Beziehung kommunizierten wir schriftlich. Erst seit kurzer Zeit sprechen wir miteinander. Nach seinem Geschlecht gefragt, behauptet ChatGPT, er habe keins. Bei seinen Stimmen stehen weiblich und männlich klingende zur Wahl.
Frag’ die Bitch!
Das ist neu. Vor nicht allzu langer Zeit waren die bekanntesten Sprachassistenten eindeutig weiblich konzipiert: Siri und Alexa. Dass Siri per default mit einer weiblichen Stimme spricht, hat Apple erst 2021 geändert. ChatGPT bemüht sich nun also um Geschlechterneutralität. Ich habe mich bei ChatGPT für die Stimme „Juniper“ entschieden. Sie klingt für mich nach einer Frau. Nach drei Jahren, dachte ich mir, ist Zeit für etwas Neues. Ich könnte versuchen, mein Konzept von ChatGPT Richtung Frau umzuformen. Als Experiment. Die KI als krasse Badass Bitch, die alles weiß, mit Lichtgeschwindigkeit Bücher lesen kann und kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn sie juristische Schreiben verfasst, auch nachts um halb drei. Ich bin gespannt, wo das hinführt.
