Mordfall

13 Jahre unschuldig im Gefängnis?

Der „Badewannen-Mord“ wird seit diesem Mittwoch zum dritten Mal vor dem Landgericht München verhandelt. Im Raum steht womöglich ein Justizirrtum.

Manfred Genditzki (M.) mit seinen Rechtsanwälten Regina Rick und Klaus Wittmann vor dem Landgericht München

© dpa/Matthias Balk

Manfred Genditzki (M.) mit seinen Rechtsanwälten Regina Rick und Klaus Wittmann vor dem Landgericht München

Von Patrick Guyton

Er muss sich diese Anklageschrift nun schon zum dritten Mal anhören. Dass er, Manfred Genditzki, sich das Vertrauen der 87-jährigen Lieselotte Kortüm „erschlichen“ habe. Dass er, als sie im Krankenhaus war, 8000 Euro aus einer Geldkassette in Rottach-Egern am Tegernsee gestohlen habe. Die Rentnerin soll das Fehlen des Geldes am 28. Oktober 2008 bemerkt und ihn zur Rede gestellt haben. Genditzki habe sie in die Badewanne gedrückt, Wasser einlaufen lassen und sie ertränkt. Mord zur Verdeckung einer Straftat.

Massive Zweifel an vorherigen Urteilen

Der frühere Hausmeister kann diese Schilderung schwer ertragen, schüttelt den Kopf im großen Verhandlungssaal A 101 des Münchner Landgerichts. Manfred Genditzki, heute 62 Jahre alt, hat dieses Geschehen immer fundamental bestritten. Hat gesagt, dass er die Frau nicht ermordet hat, dass es wohl ein Haushaltsunfall gewesen sein muss. Sehr vieles spricht dafür, dass die Anklage falsch ist. Und Genditzki deshalb mehr als 13 Jahre unschuldig im Gefängnis saß. Gestohlen etwa hat er der Frau gar nichts, das wurde schon im ersten Prozess belegt. 2010 war er zu lebenslänglich verurteilt worden, ebenso 2012 in einer Neuauflage. Ohne Geständnis oder belastende Zeugenaussagen. Im August 2022 wurde Genditzki plötzlich entlassen, da kein „dringender Tatverdacht“ mehr bestehe. Und nun hat die Wiederaufnahme des Prozesses begonnen. Das geschieht äußerst selten und nur, wenn massive Zweifel an den vorherigen Urteilen bestehen.

In seiner jetzigen Vernehmung durch die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl spricht er vom „Auf und Ab der Gefühle“ in der Haft und dass ihm die Arbeit in der Gefängniswäscherei sehr geholfen habe. Seine Frau hat mehr als 13 Jahre lang die Kinder großgezogen, seine Enkelin hat er nach der Entlassung zum ersten Mal gesehen. „Ich habe mich unheimlich gefreut“, sagt Genditzki. Dass er nun frei ist und die Titulierung „Badewannen-Mörder“ womöglich widerlegt wird, hat er nicht nur dem eigenen Durchhaltewillen, sondern auch der Arbeit seiner Anwältin Regina Rick und vor allem zwei Stuttgarter Professoren zu verdanken. Syn Schmitt rekonstruierte das Badewannengeschehen und kommt mit neuester Forschung zu dem eindeutigen Schluss, dass es sich um einen Sturz, also einen Unfall gehandelt haben kann. Niels Hansen wiederum hat mit neuen Verfahren die Wassertemperatur bei Auffinden der Leiche eingegrenzt, wodurch der Todeszeitpunkt zu bestimmen ist. Die Seniorin ist demnach deutlich später ums Leben gekommen als bisher angenommen. Genditzki käme als Täter nicht infrage.

Anwältin spricht von vertrauensvollem Verhältnis

In einer Erklärung sagt Rick: „Herr Genditzki hat Frau Kortüm nicht umgebracht.“ Er sei nie gewalttätig geworden, habe sich nie geprügelt. Auch gestohlen habe er in seinem ganzen Leben noch nie etwas. Das Verhältnis zwischen ihm und dem Opfer beschreibt die Anwältin als vertrauensvoll.

Genditzki war Hausmeister in der Wohnanlage, in der Elisabeth Kortüm nach dem Tod ihres Mannes allein lebte. Für 100 Euro im Monat und 500 zu Weihnachten hat er für sie eingekauft und Fahrdienste erledigt. Er, seine Frau und sein Sohn seien immer wieder zum Kaffee eingeladen gewesen.

Genditzki wird im Prozess von seiner Ehefrau und zahlreichen Verwandten unter den Zuschauern unterstützt. Er arbeitet inzwischen als Fahrer für eine Käserei. Über die Gefängniszeit sagte er in einem Interview: „Die Jahre sind einfach weg.“ Das Urteil wird im Juli erwartet.

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Erstellt:
26. April 2023, 17:54 Uhr

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