Energiewende in Baden-Württemberg
1645 neue Windräder im Südwesten? Belächelte Ziele plötzlich greifbar
Lange hat es so ausgesehen, als ob die Landesregierung in Baden-Württemberg ihre Ziele beim Windkraft-Ausbau nicht erreichen könnte. Nun deutet sich eine überraschende Trendwende an.

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Selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann (hier bei der Besichtigung eines Windrades im Kreis Schwäbisch Hall im Jahr 2023) hat nicht mehr daran geglaubt, dass das Ziel von 1000 Anlagen zu schaffen sei.
Von Thomas Faltin
Wie viel Spott hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann ertragen müssen: 1000 Windräder wollte die Landesregierung in der laufenden Legislaturperiode bauen oder zumindest anschieben – niemals würde das klappen, hieß es allerorten, und irgendwann hat Kretschmann das Ziel sogar kleinlaut zurückgenommen. Doch jetzt, oh Wunder, sagt Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) plötzlich: „Mit derzeit 1260 Windräder im Antragsverfahren übertreffen wir das Ziel aus dem Koalitionsvertrag deutlich.“
Weitere 150 Anlagen sind bereits genehmigt, und zusätzliche 235 wurden den Behörden zumindest schon einmal vorgestellt – macht in Summe 1645 Windräder. Derzeit sind im Land gerade 812 Windmühlen in Betrieb.
Was ist geschehen? Der Regierung kommt sozusagen die Panik der Windkraftprojektierer zugute: Lange sah es so aus, also würde das geltende vereinfachte Antragsverfahren Ende Juni auslaufen, wie es in Paragraf sechs des Windenergieflächenbedarfsgesetz geregelt war. Viele Projektierer stellten deshalb noch schnell Anträge. Mittlerweile ist aber klar, dass die neue Bundesregierung die Regelung weiterlaufen lässt.
Baden-Württemberg – viel für Ausbau der Windkraft getan
Trotz der teils überhasteten Eingaben handele es sich bei diesen Windrädern nicht um Luftnummern, betont Steffen Becker, der Sprecher des Umweltministeriums. Denn damit die Anträge angenommen würden, müssten sich die Projektierer bereits entsprechende Flächen gesichert haben. Mehrheitlich geht es dabei um Standorte, die die Regionalverbände in den vergangenen Jahren – auf Anordnung der Landesregierung – ausweisen mussten.
Tatsächlich hat das Land auch sonst viel getan, um den beinahe zum Erliegen gekommenen Windkraftausbau anzukurbeln. In den vergangenen Jahren wurden selten mehr als 30 neue Windräder pro Jahr in Betrieb genommen. Es wurde deshalb etwa die Genehmigungszeit um zwei Drittel verkürzt. Derzeit seien es häufig nur noch acht Monate.
Sicherlich werden nicht alle 1645 geplanten Anlagen tatsächlich gebaut, da im Genehmigungsverfahren noch Standorte gestrichen werden können, etwa wegen des Artenschutzes. In den nächsten Jahren werden wohl auch deutlich weniger neue Anträge hinzukommen durch diesen vorweggenommen Boom. Aber trotzdem glaubt Ministerin Thekla Walker wieder daran, dass das Land sein Sektorziel für den Ausbau der Windkraft wieder erreichen kann. Derzeit haben alle Windräder im Land zusammen eine Leistung von 2000 Megawatt, bis 2030 sollen es 6000 Megawatt werden.
Große Verunsicherung in der Windkraft-Branche
Angesichts der immer größeren Dimensionen der Windkraftanlagen – neue Windmühlen haben oft 5,5 Megawatt Leistung, vor zehn Jahren war es noch die Hälfte – würden rechnerisch gut 700 Anlagen reichen, um ins Ziel zu kommen. Es gibt also Luft in den Planungen. Eine große Unsicherheit ist allerdings, dass der Bund womöglich den Bonus für Anlagen in windärmeren Gebieten wie Baden-Württemberg abschaffen will – diesen gibt es bisher, weil eine Anlage im Südwesten oft auf einen Berggipfel gebaut werden muss und dann teurer ist. „Das sorgt derzeit für massive Unruhe in der Branche“, sagt Steffen Becker.
Grundsätzlich herrscht in Baden-Württemberg im Bundesvergleich noch immer Flaute. Von allen Flächenländern stehen im Südwesten die wenigsten Anlagen mit Ausnahme des deutlichen kleineren Saarlandes. Laut dem Bundesverband Windenergie drehen sich die meisten der bundesweit knapp 30.000 Onshore-Windräder in Niedersachsen, nämlich 6200. Innerhalb Baden-Württembergs ist übrigens der Nordosten ganz vorne: In den drei Kreisen Schwäbisch Hall, Ostalb und Main-Tauber stehen 45 Prozent aller Windräder in Baden-Württemberg.