19 Grad im Rathaus: Fleecejacken gegen kalte Bürozimmer

Seit September sind in öffentlichen Einrichtungen nur bis zu 19 Grad Celsius erlaubt. Deswegen decken sich die Mitarbeiter in den Rathäusern und Verwaltungen mit Jacken und heißem Tee ein. Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich sieht die Verordnung kritisch.

Anna Seitz (links) und Patrizia Rall können bei 19 Grad Celsius gut arbeiten. Sie wärmen sich zusätzlich mit den Fleecejacken auf, die im Büro verteilt wurden. Außerdem haben die Hauptamtsleiterin und die Bürgermeisterin stets eine Tasse Tee griffbereit. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Anna Seitz (links) und Patrizia Rall können bei 19 Grad Celsius gut arbeiten. Sie wärmen sich zusätzlich mit den Fleecejacken auf, die im Büro verteilt wurden. Außerdem haben die Hauptamtsleiterin und die Bürgermeisterin stets eine Tasse Tee griffbereit. Foto: Alexander Becher

Von Anja La Roche

Rems-Murr. Es ist kalt geworden. Da will man doch am liebsten eingekuschelt zu Hause bleiben. Wer im Büro einer öffentlichen Einrichtung arbeitet, muss sich derzeit allerdings mit einer moderaten Raumtemperatur von maximal 19 Grad Celsius zurechtfinden. Denn die öffentlichen Verwaltungen sind seit dem 1. September von der Bundesregierung dazu angehalten, Energie zu sparen und daher auch weniger zu heizen (siehe Infotext). Zumindest im Rathaus in Allmersbach im Tal ist das für die Mitarbeiter kein Grund, wenn es denn mal möglich ist, lieber im Homeoffice zu arbeiten. „Wir ziehen uns warm an, dann geht das schon“, sagt Stefanie Rebmann nüchtern. Die Frau sitzt hinter ihrem Schreibtisch im Büro direkt neben dem Eingang. Dort ist sie Ansprechpartnerin für die Bürger und stellt zum Beispiel Personalausweise aus. „Ein, zwei Grad mehr würde ich mir aber schon wünschen“, ergänzt sie.

Die Kollegin am Schreibtisch nebenan findet das auch. Generell sei die Raumtemperatur schon in Ordnung, aber „auf Dauer ist’s schon frisch“. Eine besondere Schwierigkeit bringt die geringere Temperatur für die Mitarbeiterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, weil sie die Symptome ihrer Erkrankung verstärkt; sie leidet an einer Spastik. „Die Kälte verstärkt die Spastik, weil die Muskulatur eher verkrampft“, sagt sie. Aber mit warmen Schuhen, heißen Getränken und falls nötig einer Decke, die sie sich über die Beine legen kann, sei das noch kein Problem.

Warme Jacken als Weihnachtsgeschenk

Besonders lieb gewonnen hat die Mitarbeiterin wie auch die anderen 14 Angestellten, die im Rathaus arbeiten, ihre Fleecejacke mit Allmersbacher Wappen, die Bürgermeisterin Patrizia Rall an sie verteilt hat. Die Jacken waren ursprünglich für den Verkauf an die Bürger gedacht, gingen aber nicht so gut weg. Jetzt helfen sie dem Personal im Büro über die kalte Jahreszeit hinweg. Ruben Jost, stellvertretender Kämmerer der Gemeinde, gefällt der einheitliche Look unter den Kollegen. „Das hat was“, sagt er, der gerade selbst die blau-graue Fleecejacke trägt. Die 19 Grad Celsius würden auch ihn auf Dauer zum Frösteln bringen. „Gerade die Hände sind oft kalt“, sagt er. Dafür hat er sich angewöhnt, zwei paar Socken übereinander anzuziehen und über dem Hemd einen Pullover zu tragen. Wenn das nicht reicht, komme auch die lange Unterhose zum Einsatz.

Generell scheinen sich die Mitarbeiter der Allmersbacher Gemeindeverwaltung aber einig zu sein und sehen die Raumtemperatur als unproblematisch. „Wir stehen hinter den Vorschriften und halten uns daran“, betont Hauptamtsleiterin Anna Seitz. „Ob 19 oder 25 Grad Celsius, ich denke, das ist ein Luxusproblem.“ Sie kann sich dank höhenverstellbaren Schreibtischs sogar ein wenig am Arbeitsplatz bewegen, wenn die Beine kalt werden. Auch die Bürgermeisterin hat kein Problem mit den Sparmaßnahmen, zumal die Gemeinde sich selbst zum Energiesparen verpflichtet hat. Für sie ist es von zentraler Bedeutung, ein Vorbild für die Bürger und Firmen in Sachen Energiesparen zu sein. „Wir müssen uns da halt arrangieren“, sagt Rall und erinnert daran, dass der Füllstand der deutschen Gasspeicher mit Einbruch der Kälte bereits gesunken ist.

Fleecejacken sind ein beliebtes Weihnachtsgeschenk

Fleecejacken gibt es übrigens nicht nur in Allmersbach, vielmehr sind sie dieses Jahr ein beliebtes Weihnachtsgeschenk vieler Arbeitgeber an ihre Angestellten. Der Bürgermeister von Althütte, Reinhold Sczuka, hat für 3500 Euro rund 70 Jacken – ebenfalls bedruckt mit dem Logo der Gemeinde – bestellt und an das gesamte Personal verteilt, von der Reinigungskraft bis zum Bauhofmitarbeiter. Die Vorschrift zum sparsamen Heizen findet er in Ordnung. „Wenn ich mich im Wohnzimmer statt am Arbeitsplatz aufhalte, wäre das etwas anderes“, sagt Sczuka. „Ich persönlich hab es eh gerne kühler im Büro.“

Allerdings weist Sczuka auch darauf hin, dass nicht nur die Raumtemperatur zum Kälteempfinden beiträgt. „19 Grad sind nicht gleich 19 Grad“, sagt er. So haben die Allmersbacher einen gut isolierten Neubau, das Rathaus in Althütte hingegen befindet sich in einem zugigen Altbau. „Da merkt man dann schon, wo das Fenster sitzt“, sagt der Bürgermeister. Darüber hinaus sei das Kälteempfinden zwischen den Personen ja sehr individuell, gerade Frauen würden oftmals schneller frieren, gibt er zu bedenken.

Manche haben gar kein Problem, andere kleiden sich wärmer

Auch im Backnanger Rathaus zeigt sich, dass die Empfindungen in Sachen Temperatur auseinandergehen. „Manche haben gar kein Problem damit, andere kleiden sich entsprechend wärmer“, berichtet der Pressesprecher der Stadt, Christian Nathan. Insbesondere für Mitarbeiter, die aus gesundheitlichen Gründen eine höhere Raumtemperatur brauchen, gebe es aber auch Sonderregelungen.

Oberbürgermeister Maximilian Friedrich sieht die Verordnung kritischer. „Grundsätzlich halte ich den sparsamen Umgang mit Ressourcen für richtig. Inwiefern einzelne Maßnahmen im konkreten Fall tatsächlich zu einer Energieeinsparung führen, wird sich aber erst im Nachhinein zeigen“, sagt er. Zudem hält er es für kritisch, wenn die Raumtemperatur die Mitarbeiter in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtige. „Insofern würde ich mir statt pauschaler Vorschriften mehr Flexibilität und Eigenverantwortung wünschen.“

Die Firma Lochmann profitiert davon

Dass es dieses Jahr etwas kälter in vielen Büros ist – sei es, weil die Chefetage Energie sparen will oder gesetzlich dazu verpflichtet ist –, hat zumindest für die Firma Lochmann aus Backnang einen Vorteil. Das Unternehmen verkauft unter anderem Arbeitskleidung und verzeichnet derzeit besonders viele Aufträge für Jacken. Zwar sei es üblich, dass die Nachfrage im letzten Jahresquartal und besonders kurz vor Weihnachten ansteigt, unter anderem weil die Firmen ihr Restbudget loswerden wollen, berichtet Geschäftsführerin Marion Lochmann. „Aber dieses Jahr war es besonders viel.“ Viele Kunden hätten die Energiesparmaßnahmen als Grund für den Jackenkauf genannt.

Auch die Wahl der Jackenart deutet auf die allgemeine Zunahme kalter Büroräume hin. „Normalerweise verkaufen wir vor allem Jacken für draußen, dieses Jahr aber auch viele für drinnen. Das ist ungewöhnlich“, sagt Lochmann. Die hohe Nachfrage sorge derweil für leichte Verzögerungen in der hauseigenen Stickerei und Druckerei der Firma, in der sie die Logos von den Firmen auf die Stoffe bringen.

Im Backnanger Rathaus werden die Arbeitnehmer übrigens nicht mit einer Fleecejacke zum Arbeiten motiviert, sondern mit einem Pullover: „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten als Weihnachtsgeschenk einen Backnang-Hoodie“, verrät Pressesprecher Christian Nathan.

Verordnung der Bundesregierung

Energiesparen Die Bundesregierung hatte weitere Maßnahmen beschlossen, die zur Sicherung der Energieversorgung beitragen sollen. Die entsprechende Verordnung gilt vorerst bis zum 28. Februar 2023 und ist mit folgendem sperrigen Namen benannt: Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung (EnSikuMaV).

Weniger Heizen In Büroräumen hat die Regierung die zulässige Mindestraumtemperatur von 20 auf 19 Grad Celsius gesenkt. In öffentlichen Einrichtungen ist das die erlaubte Höchsttemperatur. Flächen, auf denen sich nicht dauerhaft Personen aufhalten, dürfen nicht beheizt werden. Wenn das Personal vorwiegend steht oder geht, sind 18 Grad Celsius die obere Grenze, bei körperlich schwerer Arbeit sogar nur 12 Grad Celsius.

Kaltes Wasser Das Warmwasser soll dort, wo es lediglich dem Händewaschen dient, abgeschaltet werden. Oder die Temperatur soll zumindest auf das hygienische Mindestmaß abgesenkt werden.

Ausnahmen In Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Schulen, Kindergärten und anderen Orten, bei denen die Raumtemperatur maßgeblich die Gesundheit der Menschen beeinflussen kann, gilt die Verordnung nicht. Auch wenn bestimmte Arbeitnehmer gesundheitliche Probleme haben, kann von der Verordnung abgewichen werden.

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Erstellt:
21. Dezember 2022, 06:00 Uhr

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