Acht Nationen auf zwei Stockwerken im Erich-Schumm-Stift

Irina Krysova und Reinhard Heider von der Caritas begleiten die geflüchteten Familien, die nun im Haus Emma der Erich-Schumm-Stiftung in Murrhardt leben. Ob es darum geht, einen Arzt zu finden oder einen Antrag zu stellen, Verständigung und Information stehen im Zentrum.

Reinhard Heider zeigt den Raum, in dem die Waschmaschinen stehen. Für die Benutzung gibt es einen festen Zeitplan. Fotos: Jörg Fiedler

© Jörg Fiedler

Reinhard Heider zeigt den Raum, in dem die Waschmaschinen stehen. Für die Benutzung gibt es einen festen Zeitplan. Fotos: Jörg Fiedler

Von Christine Schick

Murrhardt. Nach dem Umzug der Bewohnerinnen und Bewohner aus Haus Emma des Erich-Schumm-Stifts in den Neubau der Murrhardter Pflegeeinrichtung mit Praxisklinik gegenüber sind mittlerweile 77 Menschen im ersten und zweiten Stockwerk des Gebäudes untergekommen. „Vor Kurzem ist ein kleines Mädchen geboren worden“, erzählt Irina Krysova, Sozialarbeiterin bei der Caritas Ludwigsburg/Waiblingen/Enz. Sie und ihr Kollege Reinhard Heider betreuen nun die Familien, die aus ganz unterschiedlichen Ländern – Afghanistan, Albanien, Georgien, Nigeria, Nordmazedonien, Syrien, Tunesien und der Türkei – kommen, wie Annika Wahl berichtet. Sie hat bei der Caritas die Fachbereichsleitung „Flucht und Asyl“ inne und begleitet den Rundgang durch die Gemeinschaftsunterkunft.

Dort, wo früher die Seniorinnen und Senioren auf dem Stockwerk beim Essen oder Nachmittagskaffee zusammensaßen, ist nun viel Freifläche. Am Rand stehen Tische und ein paar Stühle. „Die Kinder nutzen den Raum, spielen oft hier“, sagt die Sozialarbeiterin. Eine Reihe der Familien leben in jeweils einem der ehemaligen Pflegezimmer, sind es viele Kinder, haben sie zwei Zimmer zur Verfügung. Die schmale Küchenzeile ist mittlerweile mit sechs Herden bestückt. An der Wand hängt ein Zettel mit jeweils drei Namen, will heißen, diese drei Familien teilen sich den Herd und müssen sich beim Kochen absprechen. Bei den Sanitärräumen sieht das ähnlich aus, das funktioniert aber nach dem Eindruck der zwei Fachleute ganz gut. Für die Benutzung der drei Waschmaschinen gibt es einen festen Wochenplan mit Zeiten.

Sicherheitskraft Shekhmous Sulaiman hilft und kann sprachlich vermitteln

Mädchen und Jungen sind in den Gängen unterwegs und scharen sich um Shekhmous Sulaiman, der als Sicherheitskraft in der Gemeinschaftsunterkunft arbeitet. Mal heißt es während der Zwölfstundenschichten bei Streitigkeiten zu vermitteln, mal bei technischen Problemen wie bei einem Stromausfall eine Lösung zu finden, erzählt er. Nicht von Nachteil ist, dass er neben Deutsch auch Kurdisch, Türkisch und Arabisch spricht. Sulaiman kam vor sechs Jahren selbst aus Syrien nach Deutschland. Einen Tag zuvor musste er schnell reagieren, weil es einem Geflüchteten schlecht ging, und die Rettung rufen. Dem Mann geht es nach einem Herzinfarkt aber wieder besser, erzählt Irina Krysova. „Wir sind froh, dass die Sicherheitskräfte rund um die Uhr hier sein können“, sagt Reinhard Heider.

Sozialarbeiterin Irina Krysova und Caritas-Fachbereichsleiterin Annika Wahl (von links).

© Jörg Fiedler

Sozialarbeiterin Irina Krysova und Caritas-Fachbereichsleiterin Annika Wahl (von links).

Typische Begleitungsthemen reichen von Hilfe bei alltäglichen, organisatorischen Fragen über gesundheitliche Probleme und Konflikte bis hin zu Informationen rund um das Asylverfahren. Reinhard Heider bringt Englisch und Französisch, Irina Krysova Russisch mit, in einem anderen sprachlichen Kontext wird dann erst mal ein Übersetzungstool übers Smartphone zu Hilfe genommen. „Ich kann aber auch einen Kollegen anrufen, der beispielsweise Kurdisch oder Türkisch spricht, und es gibt einen Pool von Ehrenamtlichen, die unter Umständen unterstützen können“, sagt Heider. Manchmal braucht es auch professionelle Dolmetscher, wie bei einem medizinischen Eingriff. Einen Termin bei einem Arzt in der Nähe zu bekommen, sei mittlerweile alles andere als leicht, weil viele Praxen keine neuen Patienten mehr aufnehmen können. „Jahrelang hat der Murrhardter Kinderarzt Kotziabassis immer gesagt, dass wir kommen sollen, jetzt fahren wir teils bis Stuttgart“, so Heider.

Die Geflüchteten versuchen sich vor allem übers Internet zu orientieren und selbst zu helfen. Wenn es darum geht, die Grundzüge und Schritte eines Asylverfahrens zu erklären, greift Reinhard Heider zu Beginn auch mal auf ein Youtube-Video zurück, das die Anhörung mit Unterstützung von gezeichneten und animierten Bildern und Figuren erklärt. „Manche Geflüchtete haben ja noch keine Idee davon, was das bedeutet“ – Antragstellung, Abklärung von Reiseroute sowie Fluchtursache und die Frage nach möglichen Beweisen beim Hintergrund einer Verfolgung oder Bedrohung. Auch später erfordert ein deutscher Alltag viel Auseinandersetzung mit bürokratischen Vorgängen – beispielsweise wenn es um die Anerkennung eines Führerscheins oder die Beschaffung einer Arbeitserlaubnis geht. „Bei einer Stellen- und Wohnungssuche können wir nur sehr bedingt helfen“, sagt Heider.

Das liegt natürlich noch vor den Familien, die nun in Murrhardt in der Gemeinschaftsunterkunft untergekommen sind. Unter ihnen ist auch ein Familienvater aus Tunesien, der mit seiner Frau und den drei Kindern nach Deutschland geflüchtet ist. Er erzählt auf Englisch, dass er als Mitarbeiter einer Firma, die für den tunesischen Staat tätig gewesen sei, es mit der Mafia zu tun bekommen habe. Zum Hintergrund berichtet er, dass es dabei um die Lieferung von offiziell recycelbarem Plastikmüll aus Italien nach Tunesien gegangen sei. In sehr vielen der Container habe sich aber auch problematischer Müll befunden, der nicht hätte importiert werden dürfen. Als Kontrolleur habe er dies öffentlich gemacht, woraufhin jemand zweimal versucht habe, ihn umzubringen. Einen weiteren Versuch habe es seiner Frau und seinem Sohn gegenüber gegeben. „Die Polizei konnte uns nicht schützen“, sagt er. Nun will er einen Asylantrag stellen und unterstreicht, dass sie das Land nicht einfach so verlassen hätten – beide Eheleute in qualifizierten Berufen und mit einem eigenen Haus. Nun versucht er mithilfe seines Handys, Deutsch zu lernen.

Frühes Lernen, Bildung und Sportals Integrationsfaktoren

Die Sprache ist der Schlüsselfaktor und insofern werden Irina Krysova und Reinhard Heider den Familienvater auch noch informieren, dass ein kostenfreier Deutschkurs für ihn und seine Frau möglich ist. In Bezug auf die Integration sagt Heider, dass sich die Kleinsten letztlich am leichtesten tun: „Die Kinder lernen ruck, zuck Deutsch.“ Auch ein familiäres Umfeld, in dem Bildung eine Rolle spielt, sei von Vorteil. „Aber auch Sportvereine können viel leisten.“ Der Sozialarbeiter nehme wahr, dass viele der früheren Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe nicht mehr aktiv seien, sich eine gewisse Erschöpfung eingestellt habe. „Manche betreuen aber auch gezielt einzelne Familien“, ergänzt Irina Krysova. Verändert hat sich für Reinhard Heider, dass es mit Blick auf Ukrainerinnen und Ukrainer, die keinen Asylantrag stellen müssen, im Vergleich zu 2015/16 zwei Gruppen Geflüchteter gibt. „Man spricht in dem Zusammenhang auch schon mal von Geflüchteten erster und zweiter Klasse.“

Hinter den Familien stehen 41 Erwachsene und 36 Minderjährige, sprich 77 Geflüchtete

Herkunftsländer Die Geflüchteten, die im Haus Emma der Erich-Schumm-Stiftung leben, kommen aus insgesamt acht Ländern (Anzahl der Personen in Klammer, ohne Neugeborenes), dies sind: Afghanistan (15), Albanien (4), Georgien (10), Nigeria (5), Nordmazedonien (17), Syrien (10), Tunesien (5) und die Türkei (10). Die Altersspanne reicht vom Neugeborenen bis 46 Jahre. Es handelt sich ausschließlich um Familien. Das Verhältnis von Nachwuchs und Erwachsenen liegt nah beieinander. Von den 77 Menschen sind 36 Minderjährige und 41 Erwachsene. Das Geschlechterverhältnis unabhängig vom Alter: 35 sind Frauen/Mädchen und 41 Männer/Jungen.

Plätze Im mehrstöckigen Haus Emma sind in einem weiteren Geschoss noch Kapazitäten beziehungsweise Plätze frei. Man geht von bis zu 150 Menschen aus, die insgesamt im Gebäude unterkommen können. Ob die weiteren Plätze in nächster Zeit belegt werden, ist der Caritas aber noch nicht bekannt.

Arbeit Die Verantwortlichen der Erich-Schumm-Stiftung sahen bei der Entscheidung, das Haus als Unterkunft zur Verfügung zu stellen, auch die Chance möglicherweise einzelne Menschen für den Pflegeberuf zu interessieren. Dass jemand den Sprung in eine Ausbildung schafft und diese auch absolvieren kann, hängt für Reinhard Heider entscheidend von der guten Begleitung beispielsweise durch zusätzlichen, flankierenden Sprachunterricht ab.

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Erstellt:
30. Januar 2023, 06:00 Uhr

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