Kosmogramm der Maya-Kultur
Aguada Fénix – ältester und größter Komplex der Maya
Kreuzförmige Kammern, Prozessionswege, farbige Symbole für die Himmelsrichtungen: Der größte und älteste Monumentalbau der Maya spiegelt ihre Kosmologie auf einzigartige Weise wider, wie neue Funde in der Mayastätte Aguada Fénix enthüllen.
© Takeshi Inomata/ Science Advances/, CC-by 4.0
3-D-Bild der Maya-Anlage Aguada Fénix, basierend auf Lasermessungen aus der Luft.
Von Markus Brauer
Mehr als 2000 Jahre lang herrschten die Maya über weite Teile Mittelamerikas. Sie errichteten gewaltige Tempel und Monumentalbauten, nutzten komplexe astronomische Berechnungen und Kalender und konstruierten durchdachte Systeme zur Wasserversorgung ihrer Städte.
Aufstieg und Fall der Maya-Kultur
Gegen Ende des zehnten Jahrhunderts brach die Hochkultur der Maya jedoch zusammen. Ihre einst riesigen Städte wurden verlassen und vom Urwald überwuchert. Die Gründe für den Zerfall dieser präkolumbianischen Kultur sind bis heute nicht vollständig geklärt. Heute leben noch etwa sechs Millionen Menschen in Mittelamerika, die Sprachen der Maya sprechen.
Trotz eindrucksvoller Ruinenstädte wie Chichen Itza, Tikal, Calakmul oder Palenque sind aber längst nicht alle Zeugnisse dieser geheimnisvollen Kultur entdeckt.
Immer wieder entdecken Archäologen Artefakte aus der Maya-Ära. Die Maya herrschten von 250 bis 900 n. Chr. über große Teile Mittelamerikas. Von ihrem Einfluss zeugen die Ruinen zahlreicher Städte und Tempel, die über die Halbinsel Yucatan und angrenzende Regionen in Guatemala und Mexiko verstreut im Dschungel liegen.
2020: Spektakuläre Entdeckung mit LIDAR-Technik
Im Juni 2020 hatten Archäologen im Süden von Mexiko die älteste und gleichzeitig größte bisher bekannte Monumentalanlage der Maya entdeckt. Das Team um Takeshi Inomata von der University of Arizona registrierte mit dem sogenannten Lidar-Verfahren in Tabasco auffällige Strukturen.
Dabei tasteten Laser von Flugzeugen aus den Boden ab und ließen auch Bauten unter der Vegetation erkennen. Insgesamt entdeckten die Forscher in der Region 21 größere und kleinere Zeremonialzentren, die fast alle ähnlich angelegt sind, wie sie in der Fachzeitschrift „Nature“berichteten. Ein in Nord-Süd-Richtung verlaufendes rechteckiges Plateau mit einer Serie von Erdhügeln.
Aguada Fénix: 1000 bis 750 v. Chr.
Der mit Abstand größte der Komplexe ist der rund 3000 Jahre alte Aguada Fénix mit einem aufgeschütteten, rechteckigen Plateau, das mehr als 1,4 Kilometer lang, 400 Meter breit und 15 Meter hoch ist. „Nach unserem Wissen ist dies die älteste jemals im Maya-Gebiet gefundene Monumentalkonstruktion und die größte in der gesamten präspanischen Geschichte dieser Region“, so die Spatenforscher.
Datierungen ergaben, dass das Aguada Fénix getaufte Bauwerk schon um 1000 v. Chr. entstand – fast tausend Jahre vor frühen Metropolen wie Teotihuacan oder Tikal. Um das Jahr 750 v. Chr. wurde die Anlage wohl bereits wieder aufgegeben. Die Blütezeit erreichte die Maya-Kultur erst etwa 200 bis 800 n. Chr.. Auf den großen Plateaus hätten anders als in den – wenigen Privilegierten vorbehaltenen – späteren Pyramiden sehr viele Menschen Platz gefunden, so die Forscher.
Abbild der kosmologischen Weltsicht der Maya
2025 kehrte das Team um Takeshi Inomata nach Aguada Fénix zurück und hat durch weitere LIDAR-Scans und Ausgrabungen entscheidende Hinweise auf die Funktion des Monumentalbaus erhalten. So bestätigen die neuen Daten, dass dieser Maya-Bau primär rituellen Zwecken diente, Paläste oder größere Wohnkomplexe gab es nicht.
Stattdessen war Aguada Fénix wohl ein Kosmogramm – also ein irdisches Abbild der kosmologischen Weltsicht der Maya. Dies beweist die Ausrichtung der Monumentalplattform: Ihre Mittelachse sowie mehrere Gänge und Kanäle zeigen auf den Aufgangsort der Sonne am 17. Oktober und 24. Februar – wichtigen Eckdaten des Mayakalenders. Denn sie liegen 130 Tage auseinander und markieren damit die Halbzeit des 260 Tage umfassenden Ritualkalenders der Maya.
35 Meter breite und 5 Meter tiefe Dämme
Die gesamte Anlage ist weit größer als zunächst bekannt: Sie orientiert sich entlang zweier Achsen in Kreuzform, die 9 und 7,5 Kilometer lang sind. Neben den bereits bekannten Plattformen enthält sie ein System miteinander verbundener Kanäle und Dämme, die bis zu 35 Meter breit und 5 Meter tief waren.
„Auch wenn die Kanäle vor dem Verlassen des Ortes nicht fertiggestellt wurden, sind das Ausmaß des Gesamtdesigns und Baus von Aguada Fénix ehrgeiziger und beeindruckender als unsere anfängliche Einschätzung, die auf der Größe des Hauptplateaus basierte“, schreiben die Archäologen.
Zweifache Kreuzgrube im Zentrum der Ritual-Plattform
„Dieses Kosmogramm repräsentierte für die Maya die Ordnung des Universums und der Zeit“, erklärt Inomata. Die Hauptachsen der Anlage bilden ein Kreuz, das an den Himmelrichtungen ausgerichtet ist. Mehrere kilometerlange Gängen folgten vom Zentrum der Plattform aus den Hauptachsen. „Diese Gänge könnten für rituelle Prozessionen genutzt worden sein, wie es auch später bei den Maya praktiziert wurde“, schreiben die Archäologen.
Die kreuzförmige Ausrichtung der Monumentalplattform setzte sich in ihrem Zentrum fort. Dort entdeckten die Forscher eine weitere, in sich verschachtelte Kreuzstruktur. Sie besteht aus einer tiefen, kreuzförmigen Grube von knapp sechs Meter Länge in Nordsüd-Richtung und 5,60 Meter Länge in Ostwest-Richtung. „An jeder der vier Schmalseiten ist ein schmaler, mit Stufen versehener Zugang, über den Personen, die Rituale durchführten, die Grube betreten konnten.“
Am Grund der Kreuzgrube entdeckten sie 24 mit rotem Pigment gefärbte Ritualäxte, außerdem mehrere Schmuckobjekte aus Jade, die ein Krokodil, einen Vogel und möglicherweise eine gebärende Frau darstellten. „Das zeigt uns, dass dies wirklich ein wichtiger Ritualort war“, erläutert Inomata.
Farbige Pigmente markieren die Himmelsrichtungen
In der Mitte der Kreuzgrube befindet sich eine weitere, kleinere kreuzförmige Vertiefung, die offenbar als zentraler Ablageort für Opfergaben diente. In ihr lagen kleine Häufchen verschiedenfarbiger Mineralpigmente – in jedem Kreuzarm andere.
„Im nördlichen Arm platzierten sie das blaue Mineralpigment Azurit, im Osten das grüne Mineral Malachit und im Süden gelbes Pigment aus Geothit-haltigem Ocker“, berichtet Inomata.
„Wir wissen, dass es bei den mesoamerikanischen Völker bestimmte Farben gibt, die mit bestimmten Richtungen assoziiert sind“, erklärt Inomata. „Aber dies ist der früheste bekannte Beleg für direktionalen Farbsymbolismus in Mittelamerika.“
Zusätzlich zu den Pigmenthäufchen fanden er und sein Team auch Schalen verschiedener Muscheln, die ebenfalls verschiedene Himmelsrichtungen symbolisiert haben könnten – vielleicht auch die in diesen Richtungen gelegenen Meere und Gewässer.
Die Archäologen vermuten, dass die Maya diese Pigmente und Opfergaben im Rahmen eines Rituals in der Kreuzgrube arrangierten und diese dann mit Sand und Erde auffüllten. Radiokarbondatierungen zufolge stammt dieses rituelle Depot aus der Zeit um 900 bis 845 v. Chr. Einige der Jadeobjekte könnten jedoch auch erst bei späteren Ritualen hinterlassen worden sein.
Wie ein Big Bang der Architektur
Zusammengenommen unterstreichen diese Funde die große Bedeutung und rituelle Funktion von Aguada Fénix. Dieser Monumentalbau könnte einer der wichtigsten frühen Zeremonialstätten im Maya-Gebiet gewesen ein, wie die Archäologen erklären.
Gleichzeitig bestätigen die neuen Erkenntnisse, dass diese Anlage nicht nach und nach heranwuchs, sondern quasi wie aus dem Nichts erbaut wurde. „Wir haben herausgefunden, dass es hier vor rund 3000 Jahren eine Art ‚Urknall‘ des Bauens gab“, konstatiert Inomata. Dieser brachte die Menschen dazu, sich zusammenzufinden und – möglicherweise im Rahmen von Festen oder Ritualen – an diesem Monumentalbau zu arbeiten.
Der Aufwand für den Bau dieser Anlage war enorm: Allein für das Hauptplateau von Aguada Fénix wurden 3,6 Millionen Kubikmeter Baumaterial bewegt, haben die Archäologen berechnet. Den Arbeitsaufwand dafür schätzen sie auf mehr als 10,8 Millionen Mann-Tage. Dazu kamen noch rund 255.000 Manntage für die Kanäle und Dämme im Umfeld der zentralen Plattform.
Kein König, keine Tyrannei, keine Zwangsarbeit
In Aguada Fénix gab es keinen König oder mächtigen Herrscher, der seine Untertanen kknechtete, damit sie die zyklopische Mammutaufgabe auf sich nahmen. Stattdessen scheinen die Maya dieses Monumentalbauwerk aus eigenem Antrieb und religiösen Motiven erbaut zu haben.
„Die meisten kamen wahrscheinlich freiwillig, weil ihnen die Idee, ein Kosmogramm zu bauen, wichtig war, und so arbeiteten sie gemeinsam daran“, berichtet Inomata. Allerdings gab es wahrscheinlich geistige und intellektuelle Anführer, die den Ritualkomplex nach astronomischen Vorgaben planten und entwarfen.
„Diese Führer hatten aber keine Macht, andere Menschen zu zwingen“, betont der Forscher. Inomatas Kollegin Xanti Ceballos ergänzt: Es ist beeindruckend, dass Menschen damals ohne zentralisierte Macht oder Gesellschaftsstruktur zusammenkamen, um Rituale zu vollziehen und diesen mächtigen Bau zu errichten.
