Physiker sind ratlos
Aliens am Werk? Woher rätselhafte Signale aus der Antarktis stammen
Zwei in der Antarktis aufgefangene Signale geben Rätsel auf. Die von extrem energiereichen Teilchen erzeugten Radiosignale dürfte es laut Standardmodell der Physik gar nicht geben.

© © Stephanie Wissel/Penn State/CC-by-nc-nd 4.0
Das ANITA-Experiment in der Antarktis fahndet nach kosmischen Teilchen und ihren Zerfallsprodukten. Doch zwei Signale sind noch immer rätselhaft.
Von Markus Brauer
Immer dann, wenn Astronomen im Weltall etwas Unerklärliches antreffen, kommen Aliens ins Spiel. Eigentlich bedeutet der lateinische Begriff „alienus“ einfach nur „fremd“ oder „unbekannt“. Doch in der menschlichen Fantasie wird aus dem Unbekannten schnell das Rätselhafte, Unheimliche, Bedrohliche. Extraterrestrische – also außerirdische – Lebensformen müssen herhalten, wenn die Wissenschaft von den Sternen an ihre Wissensgrenzen stößt und selbst die klugsten Köpfe nicht mehr weiterwissen.
Der spektakulärste Erklärungsversuch das Unerklärliche zu erklären sind Megastrukturen – wie die Dyson-Sphäre, der Shkadov-Thruster, die Topolis oder der Niven-Ring:
- Shkadov-Thruster: Eine Art stellares Antriebssystem, bestehend aus einem riesigen Spiegel oder Lichtsegel, das einen ganzen Stern durch den Weltraum beschleunigt, indem er das Licht auf einer Seite selektiv reflektiert oder absorbiert.
- Topolis: Eine riesige Röhre, die rotiert, um ein künstliches Schwerkraftfeld zu erzeugen.
- Niven-Ring: Ein künstlicher Ring, der einen Stern umkreist und schneller als die Umlaufgeschwindigkeit rotiert, um künstliche Schwerkraft auf seiner inneren Oberfläche zu erzeugen. Benannt nach dem Roman „Ringworld“ des amerikanischen Science-Fiction-Schriftstellers Larry Niven.
- Dyson-Spähre: Eine Struktur von umlaufenden Objekten, die einen Stern vollständig umgibt, um dessen Sonnenenergie vollständig zu nutzen.
Rätsel-Signale aus dem Erdinnern
Unerklärlich ist auch, was Physiker jetzt in der Eiswüste der Antarktis aufgespürt haben. Auch wenn die Phänomene aus den Tiefen des Weltalls stammen und die Wissenschaftler vor ein Rätsel stellen, haben sie mit Aliens nichts zu tun. Es geht um – Neutrinos.
In den letzten Jahren haben Neutrino-Observatorien und andere Teilchendetektoren immer wieder Signale eingefangen, die schwer erklärbar sind. Zu diesen Rätsel-Signalen gehören auch zwei Anomalien – also Abweichungen von der Norm –, welche die Messballons des ANITA-Experiments (Antarctic Impulsive Transient Antenna) vor einigen Jahren aufgenommen haben.
Diese Detektoren fangen sogenannte Radiopulse – also kurzlebige oder periodische Radiowellenschübe – ein, die durch die Interaktion von Neutrinos und anderen energiereichen kosmischen Partikeln mit der Erdatmosphäre oder dem Untergrund entstehen.
Neutrinos sind überall und winzig klein
Im Durchschnitt treffen in jeder Sekunde einige zehn Milliarden Neutrinos auf jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche. Sie können die gesamten Erdball umrunden, ohne eine einzige Reaktion auszulösen. Das erschwert es ungemein, sie überhaupt aufzuspüren und ihre Masse zu bestimmen.
Die beiden vom ANITA-Experiment entdeckten Radiosignale hatten die enorme Energie von 0,6 Exaelektronenvolt (EeV) – eine physikalische Maßeinheit für einen ultrahochenergetischen kosmischen Strahl – und waren damit gut 200-fach stärker als gängige Signale bekannter Quellen.
Das Merkwürdigste daran ist, dass die Teilchenspuren deutlich unterhalb des Horizonts kamen. „Die Radiopulse kamen im Winkel von rund 30 Grad von unten aus dem Eis“, schreibt Stephanie Wissel von der Pennsylvania State University in Old Main und dem Bariloche Atomforschungszentrum in Argentinien im Fachjournal „Physical Review Letters“.
#Unexplained radio pulses detected by the ANITA experiment in Antarctica challenge current particle physics, suggesting the possibility of unknown particles or interactions beneath the ice. @penn_state@physrevletthttps://t.co/5rG58qTgkWhttps://t.co/AQC8uwPWRT — Phys.org (@physorg_com) June 13, 2025
Quer durch die Erde? Physikalisch eigentlich unmöglich
Diese extrem energiereichen Zerfallsteilchen müssen folglich die gesamte Erde durchquert haben. Doch das gilt nach bisherigem physikalischem Wissen als vollkommen unmöglich. Aber was heißt schon unmöglich, wenn Wissenschaftler in die Welt des Unbekannten in und außerhalb unseres Planeten vorstoßen.
„Kein Teilchen des Standardmodells kann bei diesen Energien die rund 5700 Kilometer durch die Erde hindurch zurücklegen und die Passage überstehen“, erklärt das Team des Pierre Auger Observatory. Die Zerfallsprodukte bekannter Teilchen müssten durch die Gesteinsmassen abgefangen und absorbiert werden.
Zur Info: Das Pierre Auger Observatorium in Malargüe in der argentinischen Provinz Mendoza ist ein internationales physikalisches Großexperiment zur Untersuchung der kosmischen Strahlung bei höchsten Energien.
Forscher stochern bisher im Nebel
Über den Ursprung dieser rätselhaften Signale wissen die Forscher bisher so gut wie nichts. „Das ist ein interessantes Problem, denn wir haben bisher noch immer keine Erklärung dafür, was diese Anomalien waren“, betont Wissel. „Wir wissen nur, dass sie höchstwahrscheinlich nicht durch Neutrinos verursacht wurden.“ Aber was war es dann?
Auf der Suche nach Antworten haben die Physiker noch einmal alle Daten der ANITA-Messungen analysiert und mit Daten anderer Teilchendetektoren verglichen. Dabei untersuchten die Physiker mehr als 7,6 Millionen Teilchensignale, die das Pierre Auger Observatorium im gleichen Zeitraum eingefangen hat. In diesem Konglomerat suchten sie nach Teilchenspuren, die ebenfalls aus dem terrestrischen Untergrund stammten.
„Ereignisse bleiben eine Anomalie“
Das ernüchternde Fazit: Das Pierre Auger Observatorium hat kein einziges Ereignis eingefangen, das die rätselhaften Radiopulse aus der Antarktis erklären könnte. Dies weise daraufhin, dass die Signale nicht von kosmischen Neutrinos oder anderen bekannten Teilchen stammen, resümieren die Astronomen. „Die Ereignisse bleiben weiterhin eine Anomalie“, so Wissel.
Die Eigenschaften dieser unbekannten Radiosignale seien weiterhin nicht mit dem physikalischen Standardmodell erklärbar. „Sie passen nicht zu den Teilchenkaskaden bekannter Teilchenzerfälle oder -interaktionen“, schreiben die Experten.
Doch um was für ein seltsames Phänomen könnte sich handeln? Wissel hat eine Ahnung: „Meine Vermutung ist, dass unter dem Eis oder am Horizont ein Prozess stattfindet, den wir bisher nicht verstehen. Allerdings haben wir mehrere Kandidaten dafür schon untersucht und bisher nichts finden können. Im Moment gehört dies zu den ungelösten Rätseln.“
Info: Neutrinos
Rätselhafte Partikel Sie fliegen in unvorstellbar großer Zahl jede Sekunde durch uns hindurch. Allein durch einen Daumennagel fliegen pro Sekunde etwa 60 Milliarden Neutrinos. Diese kosmischen Partikel gehören zu den rätselhaftesten Teilchen des Universums. Sie sind allgegenwärtig, reagieren aber äußerst selten mit Materie. In der Kosmologie beeinflussen Neutrinos die Entwicklung großräumiger Strukturen, während sie in der Teilchenphysik aufgrund ihrer winzigen Masse als Indikatoren für bisher unbekannte physikalische Prozesse dienen.
Neutrale Teilchen Neutrinos sind winzige, elektrisch neutrale Teilchen, die kaum mit Materie wechselwirken. Ihre Winzigkeit stellt das menschliche Vorstellungsvermögen auf die Probe. Sie werden unter anderem bei Kernfusionen in Sternen freigesetzt, treten kaum mit Materie in Wechselwirkung und rasen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durchs All. Neutrinos sind im Universum überall, entstehen vor allem in Sternen, also auch in unserer Sonne. Wenn ein Stern stirbt, bringen ihn die Neutrinos, die beim Kollaps des Sterns entstehen, als Supernova zum Platzen. Dadurch verteilen sich dann Elemente, die in den Sternen entstanden sind, im Weltraum.
Elementarteilchen Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen und könnten eine wichtige Funktion bei der Bildung des Universums gehabt haben. Sie werden unter anderem bei Kernfusionen in der Sonne freigesetzt und spielen bei radioaktiven Zerfällen von Atomkernen sowie Supernova-Explosionen im Weltall eine Rolle.
Häufigkeit Zudem sind sie überall, sie sind die häufigsten Elementarteilchen im Universum: Allein durch einen Finger strömen jede Sekunde Milliarden von ihnen. Weil sie so gut wie nicht mit ihrer Umgebung wechselwirken, merkt man davon nichts. Auch Planeten wie die Erde stoppen Neutrinos nicht.
Analyse Das macht es schwer, sie zu erfassen. 1930 postulierte der österreichische Nobelpreisträger Wolfgang Pauli erstmals die Existenz der Teilchen. Hintergrund war, dass beim Zerfall von Atomkernen Messdaten für Neutronen und Elektronen nicht zum Grundsatz der Energieerhaltung in der Physik passten. Ein bisschen was fehlte oft.
Geisterteilchen Erst mehr als zwei Jahrzehnte später wurden die Neutrinos dann nachgewiesen und galten lange sogar als masselos. Wegen ungenauer Messapparaturen konnte man bisher auch kaum mehr über Neutrinos sagen. Sie widersetzen sich gewissermaßen der wissenschaftlichen Beobachtung und werden daher auch „Geisterteilchen“ genannt.