Alle Räder stehen still

Warnstreiks der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft legen auch den Bahnverkehr um Backnang herum lahm

„Zurzeit kein Zugverkehr“ hieß es gestern zwischen 6 und 9 Uhr auf den Bahnhöfen bundesweit. Auch in Backnang herrschte auf den Gleisen wegen des Warnstreiks der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Stillstand, Unmut machte sich bei den Fahrgästen breit. Nicht nur kamen die Backnanger weder zur Arbeit oder an die Berufsschule, sie wurden auch erst am Bahnhof darüber informiert. Denn auch die Infosysteme streikten.

So hatten sich die Bahnfahrer das nicht vorgestellt: Sie starteten dank des Warnstreiks der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft mit langer Wartezeit in die Woche. Foto: A. Becher

So hatten sich die Bahnfahrer das nicht vorgestellt: Sie starteten dank des Warnstreiks der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft mit langer Wartezeit in die Woche. Foto: A. Becher

Von Armin Fechter

und Sarah Schwellinger

BACKNANG. Totaler Stillstand am Bahnhof in Backnang. Kein Zug fährt – keine S-Bahn, keine Regionalzüge. Auf allen Bahnsteigen stehen wartende Menschen, manche in Gruppen, viele aber auch allein, teilweise mit dem Smartphone in der Hand, um die neuesten Nachrichten abzurufen. In gewissen Abständen wiederholt sich die Durchsage: Aufgrund von Streikauswirkungen gebe es derzeit keinen Zugverkehr. Seit dem frühen Morgen üben die Eisenbahner den Ausstand. Den Warnstreik hat die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ausgerufen, nachdem die Tarifverhandlungen mit der Bahn geplatzt sind.

Bundesweit sind etliche Millionen Menschen von der Aktion betroffen. Die Leute am Backnanger Bahnhof – die allermeisten von ihnen Berufspendler, Schüler und Azubis, die regelmäßig mit der Bahn unterwegs sind – nehmen die Situation überraschend gelassen. Manche lachen, einer zuckt mit den Schultern: „Ich geh heim.“ Wer es nicht weit hat, wärmt sich zu Hause auf, bis die Bahnen wieder fahren. Andere ziehen es vor, im Bahnhofsgebäude zu warten, wo die Temperaturen deutlich angenehmer sind als im Freien. Dort herrscht so dichtes Gedränge wie sonst nie. Viele nutzen die Zwangspause, um sich im Bistro ein heißes Getränk zu kaufen oder mit einem kleinen Snack das ausgefallene Frühstück nachzuholen.

Eine Gruppe von Auszubildenden, die eigentlich am Morgen zum Unterricht in der Berufsschule in Stuttgart sein sollten, beratschlagt, was zu tun ist. Mittlerweile ist es schon 8 Uhr. Müssen sie nicht in ihre Betriebe gehen, wenn sie nicht in die Schule kommen? Oder sollen sie noch länger warten? Einer ruft in der Schule an und fragt nach. Dort hat man die Misere schon mitbekommen – die Schüler sollen, so wird ihnen geraten, weiter warten. Der Streik sei befristet, im Lauf des Vormittags würden die Züge wieder verkehren. Diese Nachricht wird auch über Rundfunk verbreitet und trägt wohl mit dazu bei, dass sich die Gemüter nicht so erhitzen wie vor fast genau einem Jahr, als Sturmschäden zu einem Totalausfall sorgten. Damals herrschte unter den Betroffenen eine gereizte Atmosphäre, die durch widersprüchliche Durchsagen und Anzeigen noch verschärft wurde. Zudem war völlig ungewiss, ob an diesem Tag überhaupt noch etwas gehen würde.

Fernverkehrstickets

noch bis Sonntag gültig

Eine Frau, die nach Stuttgart und von dort weiter nach Frankreich fahren will, ist dennoch ratlos: Auch im Fernverkehr bewegt sich an diesem Morgen nichts. Folglich ist momentan noch völlig unklar, ob sie einen Anschlusszug erreicht, wenn der Verkehr wieder anrollt. Doch die Bahn bietet ihren Kunden, dass alle Fernverkehrstickets für den gestrigen Tag ihre Gültigkeit bis Sonntag, 16. Dezember behalten.

Ab 9 Uhr lief der Bahnverkehr zwar langsam wieder an, trotzdem warnte der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) noch um 11 Uhr: „Es kommt weiterhin noch den ganzen Tag zu Verspätungen (...) und Ausfällen.“ In Baden-Württemberg wurden die großen Stellwerke in Karlsruhe und Mannheim bestreikt. Doch Grund für das Chaos in und um Backnang waren die Streiks in Schwäbisch Hall-Hessental, die sich negativ auf den Regionalverkehr Richtung Stuttgart auswirkten. Ab 6 Uhr standen hier die Züge still. Und nicht nur das: Apps und Informationsportale zeigten die Verbindungen wie gewohnt an. Eine Pressesprecherin der Deutschen Bahn erklärte: „Auch unsere Infosysteme waren außer Betrieb, da das Personal, die diese Systeme mit Informationen füttern, ebenfalls Teil der streikenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft sind.“ Betroffen waren hier vor allem bahn.de/aktuell und der DB-Navigator. Zudem wurden auch Reise- und Ansagezentren bestreikt.

Das machte viele Bahnfahrer wütend, sie fühlten sich am Morgen nicht ausreichend über den Streik, dessen Folgen und anstehende Fahrten informiert. Viele Reisende erfuhren deshalb erst vor Ort, was auf sie zukommt: Lange Wartezeiten in der Kälte. Für solche Fälle hat die Bahn eine kostenlose Infohotline eingerichtet, bei der sich bis zum Mittag rund 12000 Bahnfahrer informierten.

Um 9 Uhr kehrte dann aber wieder nach und nach Normalität ein. „Unsere Disponenten arbeiten auf Hochtouren daran, den Bahnverkehr wieder in geregelte Bahnen zu lenken“, versichert die Bahnsprecherin. Trotzdem müssten Reisende noch den ganzen Tag mit Problemen rechnen, denn auch weiterhin konnte es zu umfangreichen Behinderungen kommen. Denn im alltäglichen Bahnverkehr sind die Züge so eng getaktet, dass ein Ausfall schon großflächig zu Problemen kommen kann. Bei mehreren Stunden Streik vergrößert sich das Ausmaß enorm. Leidtragende sind am Ende die Fahrgäste, auch wenn die Bahn versucht, deren Unannehmlichkeiten möglichst gering zu halten, wie sie auf ihrer Homepage schreibt. Bundesweit waren nach Angeben der Deutschen Bahn insgesamt 1400 Züge betroffen, darunter auch Güterzüge.

„Streik muss man merken,

sonst hat er keinen Sinn“

Auch auf der Facebook-Seite unserer Zeitung lassen die User ihrem Unmut freien Lauf. In den Kommentaren ist die Rede von über anderthalb Stunden Wartezeit, drei Stunden Wegzeit, umständlicheren Fahrten, spontan genommenen Gleittagen und verpassten Berufsschultagen. Viele sind dann doch aufs Auto umgestiegen, um wenigstens irgendwie vorwärtszukommen. Karin Schoch kommentiert: „Man braucht ein Auto, sonst ist man seinen Job los. Traurig, aber wahr.“ Miriam Klingbeil fordert eine Antwort auf den Streik der Gewerkschaft: „Eigentlich sollten wir Bahnfahrgäste mal streiken und einfach mal kein Ticket dabei haben, wenn die kontrollieren. Man zahlt im Monat beziehungsweise im Jahr eh so viel für die Bahn.“ Doch gibt es unter den empörten Gemütern auch Verständnis. Wolfgang Schopf meint: „Wie sollen Gewerkschaften ohne Streik ihre Lohnforderung durchsetzen? Streik muss man merken, sonst hat er ja keinen Sinn!“

All diejenigen, die befürchten, der Streik könne sich über einen längeren Zeitraum ziehen, wurden bereits gegen 14 Uhr beruhigt: Die unterbrochenen Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Bahn und der EVG werden heute Nachmittag in Berlin fortgesetzt, das teile eine Bahnsprecherin.

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Erstellt:
11. Dezember 2018, 06:00 Uhr

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