Strafvollzug in Italien

Alle vier Tage ein Selbstmord

Italiens Gefängnisse sind zerfallene, überfüllte Anstalten, in denen Häftlinge oft unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. Und das mitten in Europa.

Im Strafvollzug  fehlt es auch an Aufsehern, Erziehern und Psychologen.

© IMAGO/ABACAPRESS

Im Strafvollzug fehlt es auch an Aufsehern, Erziehern und Psychologen.

Von Dominik Straub

Staatspräsident Sergio Mattarella ist bekannt dafür, dass er die Aufgabenteilung zwischen seinem Amt als Staatsoberhaupt und jenem der Regierung und des Parlaments strikt respektiert. Selten ist es, dass er sich in das politische Tagesgeschäft einmischt. Doch zu den Zuständen in den überfüllten Strafanstalten des Landes mochte der 83-Jährige nicht schweigen. „Die Zahl der Selbsttötungen ist dramatisch. Es handelt sich um eine echte soziale Notlage, die augenblicklich beendet werden muss“, sagte Mattarella am Montag bei einem Treffen mit Vertretern der Strafvollzugsbehörden. So, wie sich die Gefängnisse heute präsentierten, seien diese regelrechte „Trainingszentren für neue Straftaten“.

Law-and-Order-Politik

Die Rechtsregierung von Giorgia Meloni hat bisher wenig unternommen, um die Zustände in den Gefängnissen zu verbessern - ganz im Gegenteil. Mit Verve erfindet die Koalition aus Melonis postfaschistischen Fratelli d’Italia, der rechtspopulistischen Lega von Vizepremier Matteo Salvini und der früheren Berlusconi-Partei Forza Italia laufend neue Straftatbestände und verschärft die Strafen für bestehende Delikte. So wurde das Strafgesetzbuch um die „illegale Rave-Party“ bereichert. Organisatoren drohen nun bis zu sechs Jahre Gefängnis. Das Resultat dieser Law-and-Order-Politik: Seit 2022, als Meloni ihr Amt als Ministerpräsidentin antrat, ist die Zahl der Strafgefangenen von 55 200 auf 62 400 gestiegen. Die Kapazität der Gefängnisse liegt dagegen nur bei 51 300 Plätzen, von denen zudem 4500 nicht benutzbar sind.

Erbärmliche Zustände

Zur chronischen und zunehmenden Überbelegung kommen in den meisten Strafanstalten prekäre bis katastrophale hygienische Zustände hinzu. Viele Zellen sind voller Kakerlaken und anderem Ungeziefer. Laut der Gefangenenhilfsorganisation Antigone haben ein Drittel aller Sträflinge in ihren Zellen weniger als drei Quadratmeter zur Verfügung (was die europäische Rechtssprechung als „inhuman und erniedrigend“ qualifiziert), in 45 Prozent der Zellen fehlt warmes Wasser, in einigen auch kaltes. Zehn Prozent der Zellen sind auch im Winter nicht geheizt, nicht selten regnet es hinein.

Die erbärmlichen Zustände in den Gefängnissen treibt immer häufiger Gefangene in den Selbstmord: 2024 nahmen sich in Italien 91 Häftlinge das Leben, 2023 waren es 83. Damit liegt die Suizidrate in den Strafanstalten um das 25-fache über jener außerhalb der Gefängnismauern, und sie ist auch doppelt so hoch wie der Durchschnitt in den Gefängnissen im übrigen Europa. Und die Suizide sind nur die Spitze des Eisberges. Hinzu kommen laut der Organisation Antigone etwa 10 000 Selbstverletzungen jedes Jahr. Häftlinge drücken brennende Zigaretten auf ihrer Haut aus, schlucken Rasierklingen und Batterien, schlagen immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand, bis sie bewusstlos umfallen. „Das sind Zustände, die eines zivilisierten Landes unwürdig sind“, klagt die Organisation Antigone.

Mattarella forderte die Regierung in einer Brandrede auf, für den Strafvollzug deutlich mehr Geld zur Verfügung zu stellen, nicht zuletzt auch für das Gefängnispersonal. Die Zahl der Aufseherstellen liegt um fast 4000 unter dem Soll von 34 000 - bei Erziehern und Psychologen ist der Personalmangel noch ausgeprägter.

Auch mit dem Bau neuer Strafanstalten ist die Regierung massiv im Verzug: Statt den in Aussicht gestellten 7000 neuen Gefängnisplätzen und Investitionen von 236 Millionen Euro werden bis Ende 2026 voraussichtlich lediglich 384 neue Plätze in vorfabrizierten, transportierbaren Modulen bereitstehen. Kostenpunkt: 32 Millionen Euro.

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Erstellt:
1. Juli 2025, 16:26 Uhr

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