Mercedes in der NS-Zeit

Als der Stern den dicken braunen Anstrich bekam

Wie viel Schuld hat Daimler-Benz in der NS-Zeit auf sich geladen, und wie glaubwürdig war die Aufarbeitung? Antworten auf heute noch aktuelle Fragen gibt es im Hotel Silber.

März 1938: nach dem „Anschluss“ Österreichs rollt Adolf Hitler im Mercedes in Wien ein.

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März 1938: nach dem „Anschluss“ Österreichs rollt Adolf Hitler im Mercedes in Wien ein.

Von Peter Stolterfoht

Das lebendigste Mahnmal Stuttgarts – diesem Ruf ist der Erinnerungsort Hotel Silber in Stuttgart einmal mehr gerecht geworden. Diesmal mit einem Vortrag über die Verstrickungen von Daimler-Benz im Regime der Nationalsozialisten und darüber, wie der Konzern das Mittel Zwangsarbeit gnadenlos ausgenutzt hat. Mit dem auf diesem Weg hochgefahrenen Rüstungsprogramm profitierte der Konzern nicht nur im NS-Staat, sondern legte gleichzeitig auch die Basis für die Fortsetzung des wirtschaftlichen Erfolgs nach Kriegsende. Diese Entwicklung zeichneten der ehemalige stellvertretende Untertürkheimer Mercedes-Betriebsratsvorsitzende Karl Reif und Harald Stingele vom „Arbeitskreis Zwangsarbeit in Stuttgart“ in ihrem Vortrag nach.

Lange Zeit totgeschwiegen

Es wurde deutlich, dass über die Verfehlungen des Konzerns zwischen 1933 und 1945 noch lange nicht alles gesagt worden ist. Das fängt bei der Mercedes-Aufarbeitung der eigenen Historie an. Lange totgeschwiegen, wird damit erst 1986 begonnen – mit der Studie „Die Daimler-Benz AG in den Jahren 1933 bis 1945“. Die gerät allerdings schnell in Verdacht, ein wohlwollendes Auftragswerk zu sein. Erst spätere Veröffentlichungen wie das „Daimler-Benz-Buch“ und das ebenfalls vom Konzern geförderte „Zwangsarbeit bei Daimler-Benz“ kommen der Wahrheit deutlich näher, wie es die beiden Referenten darlegen.

Besonderes Augenmerk wird auf die Vorstandsvorsitzenden dieser Zeit gelegt. Da wäre Wilhelm Kissel, seit 1926 Chef des Unternehmens und ein Wegbereiter der Fusion zwischen Daimler und Benz. Kissel ist bereits vor der Machtübernahme der Nazis im Jahr 1933 NSDAP- und SS-Mitglied. Zu einer Abkehr von früheren Überzeugungen könnte bei Wilhelm Kissel später der Tod seines Sohn beigetragen haben: Er fiel an der Front. Kissel stirbt 1942 – mutmaßlich durch Suizid. Sein Nachfolger an der Daimler-Benz-Spitze, Wilhelm Haspel, wird nach dem Krieg immer wieder mit der Aussage zitiert, Wilhelm Kissel sei kein Nazi gewesen.

Äußerst profitabel, äußerst grausam

Wilhelm Haspel wird 1942 Vorstandsvorsitzender des Konzerns und das, obwohl er wegen seiner jüdischstämmigen Ehefrau den Nazis schon als Werksleiter ein Dorn im Auge gewesen ist. Haspel ist auch nie dazu zu bewegen, NSDAP-Mitglied zu werden oder sich auf andere Weise zur Ideologie der Nazis zu bekennen. Am Ende ist es dem Regime aber wichtiger, in Haspel den besten Manager zu haben, der geradezu brachial die vorgegebenen Ziele durchsetzt. Vorsichtshalber bekommt er im Vorstand mit dem ehemaligen Autoverkäufer und engen Hitler-Vertrauten Jakob Werlin einen ideologischen Wachhund zur Seite gestellt.

Unter Haspel wird die Produktion von Rüstungsgütern mit Hilfe von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen auf die Spitze getrieben. Sie müssen an allen Daimler-Standorten ihr Leben unter teilweise unmenschlichen Bedingungen fristen. Vor allem die aus Konzentrationslagern stammenden oder die im Osten in Kriegsgefangenschaft geratenen Menschen bekommen die besondere Grausamkeit des für Daimler äußerst profitablen Systems zu spüren. Ausgehend von Wach- und Gestapo-Personal, für die die Ost-Arbeiter „Untermenschen“ sind.

Betriebsrente für den Nazi-Ideologen

1944 entfallen 93 Prozent der Daimler-Produktion auf Rüstungsgüter – obwohl das Unternehmen die Weichen schon seit rund zwei Jahren auf Nachkriegszeit stellt. Mit in Sicherheit gebrachten Produktionsstätten und Geld. Von diesem fließen erst in den 80er-Jahren 20 Millionen Mark an Entschädigungszahlungen an die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen. Sie stellen bei Kriegsende in Untertürkheim die Hälfte der rund 15 000 Personen zählenden Belegschaft. Gelder fließen aber nur an das zwangsrekrutierte Personal aus westlichen Ländern wie etwa Frankreich, den Niederlanden oder Belgien.

1945 wird Wilhelm Haspel von den Amerikanern als Konzern-Chef entlassen, zwei Jahre später dann, in Folge des Entnazifizierungsverfahrens, rehabilitiert und zum 1. Januar 1948 wieder zum Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG ernannt. Er stirbt 1952. Während der Daimler-Chef-Nazi-Ideologe Jakob Werlin bis zu seinem Tod 1965 eine Betriebsrente von 1400 Mark monatlich erhält – mit dem Hinweis: „Daimler-Benz vergisst Werlin nicht.“

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Erstellt:
27. November 2025, 11:32 Uhr
Aktualisiert:
27. November 2025, 12:53 Uhr

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