Ricarda Lang gewährt Einblicke
„Als ich dick war, war’s das Dicksein – dann der fehlende Studienabschluss“
Die Ex-Vorsitzende der Grünen hat in einem Interview mit der „Bild“ über ihre Kindheit in der Region Stuttgart, ihre Familie und ihren Rückzug aus dem Machtzentrum gesprochen.
© IMAGO/Panama Pictures
Ricarda Lang Mitte Oktober auf der Frankfurter Buchmesse.
Von Michael Bosch
Die ehemalige Parteichefin der Grünen, Ricarda Lang, hat sich nach ihrem Rücktritt stark gewandelt – nicht nur, aber auch äußerlich. Darüber, aber auch ihre Kindheit in Nürtingen, hat die 31-Jährige nun in einem ausführlichen Interview mit der „Bild“ gesprochen. Was sagt die Bundestagsabgeordnete über ...
... ihren schwäbischen Dialekt
Dass Ricarda Lang aus Baden-Württemberg stammt, hört man nicht. Den Dialekt hat sie abgelegt. Aber er komme „immer mehr“ zum Vorschein, „wenn ich ‚unten‘ bin – oder mit meiner Familie telefoniere“. Wenn dann ihr Mann daneben sitze, könne man ihm richtig aus dem Gesicht ablesen, dass er sich frage: „Was passiert denn plötzlich mit ihr; da sitzt ein anderer Mensch“, so Lang. „Da kommt das „sch“ ganz stark wieder durch, oder dass ich das ‚en’ so verschlucke. Aber wenn man beispielsweise auf der Schwäbischen Alb unterwegs ist, das ist ein ganz anderes Kaliber.“
... den Frauenhaushalt, in dem sie aufgewachsen ist
Lang wuchs bei ihrer Mutter, einer Sozialarbeiterin, in Nürtingen (Kreis Esslingen) auf, auch die Oma wohnte im selben Haus. Geschwister hat sie keine. „Ich fand es immer traurig Einzelkind zu sein, habe mir immer Geschwister gewünscht“, sagt sie. Die Rolle übernahm ihr Cousine, die „fast wie meine Schwester“ war, sagt Lang. Insgesamt habe sie eine „sehr glückliche Kindheit“ gehabt und „viel Geborgenheit“ erfahren. Mutter und Oma, die Ehefrau eines Pfarrers war, seien „sehr unterschiedliche Frauen“ gewesen, so Lang. Was sie gemeinsam hatten: Sie hätten sich „selbst einen Weg gebahnt“ Auch unter schwierigen Umständen, sei es ihnen gelungen, „zu definieren, wer man sein will“. Das habe auch sie geprägt, sagte Lang im Interview mit Bild-Unterhaltungschefin Tanja May.
... das Verhältnis zu ihrem Vater
Dass ihre Eltern nicht verheiratet waren, sei zu der Zeit, als sie aufwuchs, im konservativen Schwabenländle durchaus ein Thema gewesen. „Was sagen die Nachbarn?“, sei eine Frage gewesen, die sich ihre Großeltern durchaus gestellt hätten. Für ihre Mutter sei das „ziemlich hart“ gewesen, auch weil das „Vorurteil der Rabenmutter noch total ausgeprägt“ war. In der Grundschule sei sie dann „eines dieser Schlüsselkinder“ gewesen. Für sie sei das aber keine Belastung gewesen, sondern habe ihr „totale Autonomie gegeben, ich habe da ganz viel gelernt.“ Zu ihrem Vater, dem Künstler Eckhart Dietz, der 2019 an Alzheimer starb, habe sie „kein klassisches Vater-Tochter-Verhältnis“ gepflegt, was „auf gewisse Weise gut“ war. Wir hatten „auf Distanz ein total liebevolles Verhältnis entwickelt, aber in normalem Familienmodell wäre das schwierig gewesen – er war kein einfacher Mensch.“
... ihre Schulzeit am Hölderlin-Gymnasium
2012 machte Ricarda Lang das Abitur am Hölderlin-Gymnasium in ihrer Heimatstadt. „Ich bin immer gern in die Schule gegangen, hatte viele Freunde“, sagt sie. Horror-Geschichten aus dem Klassenzimmer oder vom Pausenhof kenne sie, „aber bei mir war das nicht mit Angst besetzt“. Nur Sport habe sie nicht gemocht, das Fach sei ihr unangenehm und sie in vielen Disziplinen schlecht gewesen. „Sport macht mir keinen Spaß“, habe sie deshalb noch Jahre später gedacht. Aber mit dem Entschluss, abnehmen zu wollen, habe sie gemerkt, dass das gar nicht stimme. Daran sei auch das deutsche Bildungssystem schuld. „Traurig, dass wir Kindern eigentlich die Lust an der Bewegung, einem positiven Verhältnis zum eigenen Körper und zu gesunder Ernährung austreiben“, befindet Lang.
... ihren Berufswunsch als Kind und ihr Studium
Lang wollte als Kind „Forscherin“ werden. Als Kind sei sie ein großer Fan von Jane Goodall gewesen. Ihr Vater hatte die Hoffnung, dass sie als Künstlerin Fuß fassen würde. „Keine Kunsthochschule dieser Welt würde mich aufnehmen“, eröffnete Lang ihm nach dem Abitur, ihre fehle das Talent. Stattdessen studierte sie in Heidelberg und Berlin Jura. „Mich interessierte das internationale Recht. Ich wollte die Welt verbessern und hatte wohl das Gefühl, ich müsse einen sicheren Beruf erlernen. Ich bin kein klassisches Arbeiterkind. Meine Eltern hatten studiert. Dennoch wusste ich, dass eine Sozialarbeiterin und ein Bildhauer mir nicht mein Leben finanzieren können.“
Dass sie ihr Studium nicht beendet hatte, wurde ihr als Parteivorsitzende des Öfteren vorgehalten. „Im Politikbetrieb wird immer was gefunden: „Als ich dick war, war’s das Dicksein, dann war’s, dass ich keinen Studienabschluss hatte, jetzt wo ich einen habe, ist es nicht der richtige. Dann ist es, dass man nicht gearbeitet hat. Die Vorstellung, man kann sich komplett von allen Angriffspunkten befreien, wäre ziemlich naiv.“ Inzwischen hat sie den Bachelor-Abschluss in der Tasche, das Masterstudium macht sie neben ihrem Bundestagsmandat, das „absolute Priorität“ habe.
.... die Oma, die Grünen und Winfried Kretschmann
Die Oma, die „ein Leben lang CDU gewählt“ habe, „fand das mit der Politik eigenartig, und dann auch noch die Grünen“, erzählte Lang im „Bild“-Interview. Trotzdem sei sie „irre stolz“ gewesen auf die Enkelin. „Ich glaube es hat ein bisschen geholfen, dass sie in Baden-Württemberg gelebt hat und Winfried Kretschmann ganz gern mochte. Als er das erste Mal zum MP gewählt wurde, war ich erst 17 – und ich durfte nicht wählen. Meine Mutter hat damals die Grünen gewählt. Die kam abends die Treppe runter gerannt – das war ja eine Revolution in Baden-Württemberg, Mappus weg – und rief: die Grünen, die haben’s geschafft.“ Ihre Oma sei der Meinung gewesen, dass da gerade „etwas gehörig schief“ gelaufen sei. 2019 habe sie bei der Europawahl wegen ihr vermutlich einmal die Grünen gewählt.
... ihren Rücktritt als Parteivorsitzende
Im November trat sie gemeinsam mit ihrem Co-Vorsitzenden Omid Nouripour nach nicht ganz zwei Jahren als Parteivorsitzende bei den Grünen zurück: „Das war die richtige Entscheidung, für mich für die Partei. Auch für die Politik insgesamt“, blickt Lang zurück. „Es gibt Momente, da juckt es mir in den Fingern. Natürlich ist das erst einmal ein Machtverlust. Manchmal empfinde ich auch eine Art Phantomschmerz. Und gleichzeitig ist da auch eine Erleichterung, nicht auf jedes Thema sofort und rund um die Uhr reagieren zu müssen. Ich habe ein hervorragendes Verhältnis mit meinen Nachfolgern. Wir tauschen uns aus. Alles in allem genieße ich es, wieder mehr ich selbst sein zu dürfen.“ Bei der Bundestagswahl 2025 kandidierte sie erneut im Wahlkreis Backnang – Schwäbisch Gmünd für die Grünen und zog über die Landesliste in den Bundestag ein.
... die Rolle als Parteivorsitzende bei den Grünen
Sie selbst zu sein, das hatte sie in dem Spitzenamt verlernt, gibt Lang zu. „Ich habe in Interviews manchmal Dinge gesagt, die ich mir selbst nicht mehr geglaubt habe. Das merken die Menschen. Und das hat auch mich mürbe gemacht.“ Die Standpunkte und „Wordings“ ihrer Partei seien bisweilen so verklausuliert gewesen, dass die Wählerinnen und Wähler damit gar nicht mehr erreicht wurden. Sie habe in der Zeit zwei Dinge gelernt: „Erstens habe ich soviel Kraft als Parteivorsitzende verwendet, zu zeigen, wer ich nicht bin, dass ich vergessen habe, wer ich bin. Und zweitens: Es allen recht zu machen, hilft nichts. Eine klare Meinung zu vertreten, auch mal Fehler machen und dazu zu stehen, das kommt bei viel viel mehr Menschen an, auch wenn sie die Meinung gar nicht teilen.“
... ihren Gewichtsverlust
Lang hat in den vergangenen eineinhalb Jahren 40 Kilogramm Gewicht verloren. Der Entschluss, abnehmen zu wollen, sei nicht von jetzt auf gleich gefallen. „Ich hatte nicht diesen einen initialen Moment. Aber ich habe zunehmend gemerkt, dass ich mich nicht mehr arg wohlgefühlt habe in meinem Körper“, sagt Lang. Schon Treppensteigen oder zum Zug zu rennen, sei sehr anstrengend gewesen. „Ich habe mir gesagt: Du bist jetzt 30 – vielleicht hat diese Zahl etwas bedeutet – und willst nicht in 20 Jahren total fertig sein. Ich will auch dann noch fit sein, was erleben können. Der ausschlaggebende Punkt war schon das Gesundheitliche.“ Konkrete Tipps zum Abnehmen wolle sie nicht geben, aber ohne die richtige Ernährung gehe es nicht. „Es braucht schon Disziplin. Natürlich muss man auf Sachen verzichten. Etwas mehr Ehrlichkeit wäre da auch hilfreich.“
Das ist Ricarda Lang
Person Ricarda Lang wurde am 17. Januar 1994 in Filderstadt geboren. Sie ist seit August 2024 mit Florian Wilsch verheiratet. Obwohl sie in einem kirchlich geprägten Haus – der Großvater war Pfarrer – aufwuchs, bezeichnet sie sich selbst als Agnostikerin.
Beruf Lang ist Berufspolitikerin und Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Seit Oktober 2021 ist sie Abgeordnete im Deutschen Bundestag und vertritt den Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd. Von Februar 2022 bis November 2024 war sie Bundesvorsitzende der Grünen. Ihre politische Laufbahn begann 2012 mit dem Eintritt in die Grüne Jugend. Sie gehört dem linken Parteiflügel der Grünen an und setzt sich besonders für Feminismus und soziale Gerechtigkeit ein. Im September 2024 kündigte sie nach schlechten Wahlergebnissen der Grünen ihren Rücktritt als Parteivorsitzende an.
