Europaparlament
Altbekannte Floskeln statt Ideenfeuerwerk
Das Europaparlament diskutierte am Dienstag über die Zukunft Europas. Doch selbst die Abgeordneten zeigen wenig Interesse am Thema.

© Philipp von Ditfurth/dpa
Das leere Plenum im Europaparlament vor Beginn der Sitzung. Doch auch danach war das Interesse der Abgeordneten an dem Thema Zukunft Europas nicht sonderlich groß.
Von Knut Krohn
Diese Debatte hätte der Höhepunkt einer arbeitsreichen Woche des Europaparlaments werden können. Die Abgeordneten diskutierten am Dienstag in Straßburg über nichts Geringeres als die Zukunft Europas. In welcher Welt sollen die Bürger leben? Welche Werte können sie teilen? Wie kann die Wirtschaft auf Trab gebracht werden?
Doch die Politiker haben die Chance ungenutzt verstreichen lassen, auch etwas Werbung für die Debattenkultur in Europa zu machen. Die Sessel der Abgeordneten im weiten Rund des Straßburger Plenums waren an diesem Morgen mehr als spärlich besetzt. Das vielversprechende Thema wurde abgearbeitet, als ginge es um irgendeine Verordnung zur Regulierung der Verpackungsgröße im Online-Versandhandel.
Die Analyse der Problemlage ist klar
Überraschend war nicht nur das geringe Interesse an der Diskussion. Die Sprecher der Fraktionen im Parlament trugen so routiniert vor, dass die Beiträge wie abgegriffene Appelle wirkten. Luc Frieden, Premierminister von Luxemburg und am Dienstag eine Art Starredner im Parlament, brachte es auf den Punkt: „Die Analyse der Problemlage ist längst klar.“ Mario Draghi habe den Weg aus der Krise bereits klar formuliert, betonte er in seiner Rede „Was macht Europa aus?“, nun müsse die EU ins Handeln kommen.
Der angesprochene Ex-EZB-Chef Draghi hatte in einem viel zitierten Strategiepapier im vergangenen Jahr die Europäer zu massiven Investitionen in Wirtschaft, Verteidigung und Klimaschutz aufgerufen. In diesen Tagen hatte sich der Italiener noch einmal zu Wort gemeldet, da zwar viel über seine Empfehlungen geredet wird, bisher aber sehr wenig angegangen wurde. Draghi forderte die EU deshalb noch einmal unmissverständlich zur Eile auf, „Ergebnisse innerhalb von Monaten zu liefern, nicht Jahren“. Unternehmen seien „enttäuscht darüber, wie langsam die EU handelt. Sie sehen, dass wir nicht in der Lage sind, die Reformgeschwindigkeit zu erreichen, die wir anderswo sehen.“
Alle wollen bürokratischen Hindernisse abbauen
Dieser Analyse wollte am Dienstagmorgen in Straßburg keiner der Redner widersprechen. Auch Stéphane Séjourné, als EU-Kommissar zuständig für den Bereich Industrie, betonte, dass die Kommission mit großem Nachdruck am Abbau von bürokratischen Hindernissen arbeite. Und er erinnerte daran, dass seine Chefin, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dazu jüngst einen Fahrplan vorgelegt habe, wie der erstrebte europäische Binnenmarkt vollendet werden könne. Ziel sei es, die „Terrible Ten“ anzugehen.
Was sich wie der Titel eines Italo-Westerns anhört, ist in Wahrheit eine Liste der zehn größten Hindernisse für einen freien Handel über die Landesgrenzen hinweg. Das reicht von den komplexen EU-Vorschriften über die eingeschränkte Anerkennung von Berufsqualifikationen bis zu den fehlenden gemeinsamen Standards für Produkte und Dienstleistungen.
Dann erinnerte der Kommissionsvertreter Séjourné das Parlament daran, dass alle Ebenen in der Union zusammenarbeiten müssten, um Erfolge zu erzielen. Bei dieser Gelegenheit merkte der Grünen-Abgeordnete Bas Eickhout an, wie schnell in einem Land der Reformeifer erlahmen kann, wenn die Nachteile einer Veränderung die Vorteile überwiegen.
Mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen wandte sich Eickhout an den Luxemburger Premierminister. Seine Frage: Weshalb das als europäische Steueroase bekannte Großherzogtum vehement für die Abschaffung der Einstimmigkeit in der Außenpolitik sei, bei der gemeinsamen Steuerpolitik davon aber nichts wissen wolle?
Die Rechtsextremen sehen die EU als Feindin
Der immer wieder vorgetragenen Analyse, dass die bürokratischen Hindernisse zwischen den Staaten weiter abgebaut werden müssen, um Europa konkurrenzfähiger zu machen, konnten am Dienstag fast alle Redner zustimmen. Einen Alleingang wagte die Fraktion Europa der Souveränen Nationen, zu der auch die deutsche AfD gehört. Die Bulgarien Rada Laykova von der nationalistischen, rechtsextremen, pro-russischen Partei „Wiedergeburt“ trat an das Rednerpult und was folgte, war eine einminütige politische Hasstirade. Sie sieht in der EU einen Feind, der offensichtlich daran arbeite die Nationalstaaten zu zerstören. Und sie verstieg sich in der Behauptung, Brüssel habe das hoch verschuldete Frankreich bereits an den Rand des Bankrotts gebracht. Ein Abgeordneter murmelte nach der Sitzung beim Hinausgehen, auch solche Meinungen müsse das Parlament eben ertragen.