Amateurfunk: Technikfans mit lebensrettendem Wissen

Der Ortsverband für Amateurfunk in Backnang zählt stolze 95 Mitglieder. Immerhin ist die Stadt seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein Industriestandort für Nachrichtentechnik. Doch dem Verband fehlt Nachwuchs. Dabei steckt hinter Amateurfunk viel mehr als oftmals vermutet.

Funkamateur Helmut Volpp (vorne) kann auf seinem Dachboden Funksignale aus der ganzen Welt empfangen.

© Fotos: Alexander Becher

Funkamateur Helmut Volpp (vorne) kann auf seinem Dachboden Funksignale aus der ganzen Welt empfangen.

Von Anja La Roche

Backnang/Mainhardt. Schon von außen fällt das Haus auf. Zahlreiche Antennen ragen vom Dach gen Himmel. Spektakulärer wird es allerdings in der Stube unter dem Dach: Die Wandregale sind zugestellt mit unzähligen Geräten, überall ragen Kabel von einer in die nächste Ecke. Willkommen in der privaten Funkbude von Helmut Volpp in Mainhardt. Von hier aus tritt der erfahrene Funkamateur in Kontakt mit Menschen auf der ganzen Welt und bastelt an seiner perfekten Funktechnik. „Ich hab mich schon mit 16 Jahren für Technik interessiert“, sagt der heute 66-Jährige. Bis zu seiner Pensionierung hat er als Diplom-Ingenieur bei dem Unternehmen für Nachrichtentechnik ANT (später Marconi und Telent) in Backnang gearbeitet. Der Amateurfunk bildet für ihn einen Gegensatz zur heutigen Konsumgesellschaft – kein oberflächlicher Umgang mit Technik, sondern tiefgreifendes Verstehen dessen steht im Vordergrund.

Funkamateure sind gar nicht mal so selten, wie man vermuten könnte. Weltweit sind es etwa 2,8 Millionen, davon rund 63000 in Deutschland. Sie organisieren sich im Deutschen Amateur-Radio-Club (DARC). Helmut Volpp ist als ehemaliger Backnanger Mitglied im Ortsverband Backnang. Der zählt mit 95 Mitgliedern (drei Frauen) zu einem der größten DARC-Ortsverbände Deutschlands. Immerhin hat Backnang eine lange Tradition an Unternehmen aus dem Bereich der Telekommunikation. Viele Mitglieder des Ortsverbands sind oder waren Angestellte bei Tesat, ANT, Bosch, Marconi und Co.

Der Begriff suggeriert ein falsches Bild

„Der Begriff Amateurfunk wird oft falsch verstanden“, sagt der Vorsitzende des Backnanger Ortsverbands, Norbert Lihs (66). Viele würden denken, es handle sich um den Umgang mit kleinen handelsüblichen Funkgeräten, sogenannten Walkie-Talkies. Denn als Amateure werden heutzutage oft Personen bezeichnet, die Anfänger auf ihrem Gebiet sind. Dabei sollte der Begriff, der Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführt wurde, lediglich die Funkamateure von militärischen und staatlichen Akteuren abgrenzen. „Viele grundlegende Entdeckungen basieren auf dem Amateurfunk und bilden die Basis der heutigen Kommunikationsmöglichkeiten“, betont Lihs das hohe technische Niveau, auf dem sich viele Funkamateure bewegen.

Ein paar mehr Antennen als gewöhnlich.

© Alexander Becher

Ein paar mehr Antennen als gewöhnlich.

Andreas Möckel (63), ebenfalls Mitglied des Amateurfunkverbands, ist zu Besuch in der Funkbude von Volpp und demonstriert einen typischen Vorgang. Er dreht am Regler eines Geräts, mit dem man auf verschiedenen Kurzwellenbändern senden und empfangen kann, einem sogenannten Transceiver. Dabei ist ein permanentes Rauschen zu hören, das Grundrauschen. Bei einer bestimmten Frequenz dreht Möckel nicht mehr weiter. Eine Amateurfunkstation aus einem fremden Land ertönt in der Mainhardter Stube. Wie das funktioniert? „Mit Kurzwellen kann man mit sehr geringen Sendeleistungen um die ganze Welt funken, weil sie in der Atmosphäre reflektiert und wieder zur Erde zurückgeschickt werden. Von dort aus werden sie ebenfalls wieder reflektiert“, erklärt Norbert Lihs. So wandere das Signal quasi im Zickzack um die Welt. Auf diese Weise Funksignale empfangen kann jeder, wenn er ein entsprechendes Empfangsgerät besitzt. „Zuhören darf jeder, aber sobald man senden will, braucht man eine Lizenz“, erklärt Möckel. Er und seine Verbandskollegen haben diese staatlich geprüfte Lizenz bereits vor vielen Jahren erhalten. Auf die Bereiche Technik, Gesetzeskunde, Betriebstechnik und Morsen mussten sie sich damals vorbereiten, um die Prüfung zu bestehen.

Andreas Möckel verstellt mit dem Regler die Frequenz.

© Alexander Becher

Andreas Möckel verstellt mit dem Regler die Frequenz.

Helmut Volpp kann auch Funksignale von Satelliten empfangen. Er zeigt auf seinen Bildschirmen ein Video, das er über den ersten und bislang einzigen geostationären Satelliten für Amateurfunk (Qatar Oscar-100) empfängt. Darauf ist ein Brite zu sehen, der Saxofon in seiner eigenen Funkbude spielt. Diese bewegten Bilder sind aus Großbritannien über den Satelliten bis nach Mainhardt gelangt. Ein technisches Meisterwerk, das analoge und digitale Technik vereint. Auch andere Betriebsarten des Amateurfunks sind möglich. Zum Beispiel kann man die elektromagnetischen Wellen mithilfe von Relaisstationen über weite Entfernungen senden.

Die Mitgliederzahl schrumpft

Für Verbandsvorsitzenden Norbert Lihs ist klar: Das Faszinierende am Amateurfunk ist, dass man versteht, wie die weltweite Kommunikation technisch funktioniert. Doch immer schwieriger sei es, junge Mitglieder für den Verband zu gewinnen. „Wir haben Probleme, unser Hobby verständlich bei der Jugend vorzustellen“, sagt Lihs. Womöglich liegt das an der komplizierten Materie. Vielleicht aber auch daran, dass junge Menschen aufgrund der modernen digitalen Kommunikationsmöglichkeiten die Funktechnik für obsolet halten. Die Backnanger Funkamateure sehen hier insbesondere die Wegwerfmentalität als Problem: Kaputte Geräte werden einfach neu gekauft. Das für eine Reparatur notwendige Technikverständnis fehlt. Sie beobachten eine zunehmende Technikfeindlichkeit in der Gesellschaft. Dabei ist das technische Wissen nach wie vor wichtig, das die Funkamateure durch ihre freiwillige Tätigkeit sammeln. Zum einen lässt sie sich mit neuer Kommunikationstechnologie verbinden. So wird nicht nur wertvolles Wissen weitervererbt, sondern auch weiterentwickelt. Zum anderen kann der Amateurfunk bei einem Zusammenbruch der Infrastruktur zum einzigen Kommunikationsmittel werden. Bei Katastrophen wie der Überflutung des Ahrtals 2021 können Behörden die Hilfe der Funkamateure in Anspruch nehmen. Aber auch beispielsweise die Rettung der Jugendlichen, die 2018 in einer Höhle in Thailand feststeckten, sei nur dank einer Erfindung eines englischen Funkamateurs gelungen, erzählt Lihs.

Ihr 70-Jahr-Jubiläum im Oktober 2021 feierten die Mitglieder des DARC Backnang ohne großes Aufsehen – so wie ihr Nischenhobby auch sonst eher unbeachtet ist. Sie haben eigens für das Jubiläum ein Rufzeichen von der Bundesnetzagentur erhalten, um es in die Welt zu funken. Den Empfängern ihres Jubiläumsgrußes entsendeten sie eine unter Funkamateuren übliche Bestätigungskarte (QSL) per Post. Etwa 2700 solcher Karten fanden so ihren Weg zu Personen auf der ganzen Welt.

Amateurfunk kennenlernen

Technikforum Im Backnanger Technikforum kann man neben weiterer historischer Nachrichtentechnik auch eine funktionsfähige Amateurfunkstation des DARC Backnang bestaunen.

Dachverband Weitere Informationen zum Amateurfunk findet man auf der Website www.darc.de/home.

Ortsverband Auf der Website findet man auch Informationen und Kontakt zum Ortsverband Backnang. „Man muss kein Elektroniker sein, um Amateurfunk zu machen“, ermutigt der stellvertretende Verbandsvorsitzende Andreas Möckel.

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Erstellt:
16. August 2022, 06:00 Uhr

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