Andere Arbeitszeiten, andere Tätigkeiten

Seit dem Ausbruch der Coronapandemie lernen und arbeiten Auszubildende unter erschwerten Bedingungen. Die Betriebe müssen sich alternative Lehrmethoden einfallen lassen. Was ihnen auch zu schaffen macht: Es kommen kaum neue Azubis nach.

Paul Juraschek bereitet einen Tafelspitz zu. Der 16-Jährige ist Auszubildender im Gasthaus Stern in Rudersberg-Schlechtbach. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Paul Juraschek bereitet einen Tafelspitz zu. Der 16-Jährige ist Auszubildender im Gasthaus Stern in Rudersberg-Schlechtbach. Foto: A. Becher

Von Melanie Maier

BACKNANG/HEBSACK/RUDERSBERG. Ein bisschen verzweifelt sei sie schon, wenn sie an die Prüfungen im Sommer denke, sagt Julia Lederer. Die 18-Jährige aus Winterbach ist angehende Hotelfachfrau. Ihre Ausbildung im Hotel und Restaurant Lamm in Hebsack hat sie bereits 2018 begonnen. Im Juli soll Lederer an den Abschlussprüfungen teilnehmen – vorausgesetzt, sie finden statt.

Die Coronapandemie, sagt die junge Frau, habe in ihrem Ausbildungsalltag alles verändert. Vorher war der sehr eng getaktet: Von 10 bis 14.30 Uhr sowie von 18 bis 22.30 Uhr arbeitete sie im Lamm im Getränkeservice. Sie servierte Wein und Aperitifs, beriet die Gäste bei der Wahl ihrer Getränke. Seit zwei Wochen habe sie wieder Schule, sagt Lederer. „Davor bin ich nur noch ein paarmal pro Woche zur Arbeit gegangen, um das Frühstück für die Seniorchefin vorzubereiten, beim Abholservice zu helfen.“ Die restliche Zeit war sie daheim. Eine ungewohnte Situation für die angehende Hotelfachfrau: „Es fehlt mir unglaublich, die Gäste nicht mehr zu sehen.“

Der Unterricht findet per Online-Videokonferenz statt.

Was sie außerdem belastet, sind die bevorstehenden Abschlussprüfungen. Der Unterricht, den Lederer im Zuge ihrer dualen Ausbildung besucht, findet längst online statt, per Videokonferenz. „Das ist etwas ganz anderes als der Unterricht vor Ort“, sagt sie. Auf die Theorietests fühle sie sich nicht wirklich gut vorbereitet. Um den Stoff aufzuarbeiten, tauscht sie sich mit den Mitschülern aus.

Wie es für sie weitergehen wird, kann Lederer noch nicht sagen. Da sie nicht weiß, ob sie ihre Ausbildung im Juli wie geplant abschließen kann, könne sie sich nicht auf Stellen bewerben. Daher sei sie froh um das Angebot ihrer Chefin, noch ein halbes Jahr im Lamm weiterzuarbeiten: „Das ist eine riesige Erleichterung!“

An der Rezeption des Hotels Lamm in Hebsack empfängt Julia Lederer momentan keine Gäste. Die 18-Jährige absolviert eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Foto: K. Pfaue

An der Rezeption des Hotels Lamm in Hebsack empfängt Julia Lederer momentan keine Gäste. Die 18-Jährige absolviert eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Foto: K. Pfaue

Für Sylvia Polinski, die das Hotel und Restaurant Lamm mit ihrem Mann führt und sich um die Auszubildenden kümmert, kommt das wohl auch gelegen. Statt neun oder zehn Azubis arbeiten momentan nur sechs im Lamm: drei Hotelfachkräfte und drei Köche. „Das ist wenig für uns“, sagt die 53-Jährige.

Um die Auszubildenden weiterhin sinnvoll zu beschäftigen, hat Polinski sich einiges einfallen lassen. Die Azubis helfen unter anderem beim RestaurantAbholservice mit, außerdem finden jetzt öfter interne Schulungen statt, etwa zum Thema Flambieren oder Bar-Kunde.

Schwierig findet Polinski es derzeit, neue Auszubildende zu finden. 2021 wird sie nur zwei einstellen. Warum sie nicht mehr Stellen besetzen konnte, erklärt sich die Hotelbetreiberin damit, dass die Werbemöglichkeiten fehlen. „Normalerweise stellen sich die Betriebe in Schulen und auf Ausbildungsmessen vor“, sagt sie. Doch das war 2020 nicht möglich. Stattdessen versucht Polinski, wie viele andere Unternehmer, auf YouTube dafür zu werben, eine Ausbildung als Koch oder Hotelfachkraft anzufangen, „damit die Berufe sich in der Vorstellungswelt der Abschlussklassen wiederfinden“.

Doch auch die Azubis, die 2021 fertig werden, werden es nicht einfach haben, so die Ausbilderin. „Vor der Pandemie war es so: Wenn Sie einen guten Koch wollten, haben Sie keinen bekommen – der Markt war leer“, sagt Polinski. Im Lauf des vergangenen Jahres habe sich die Situation umgekehrt: „Zurzeit stellt die Hotellerie und die Gastronomie fast niemanden ein.“ Polinski ist sich sicher, dass das wieder anders wird: „Sobald die Pandemie vorbei ist, werden Fachkräfte insgesamt wieder sehr gefragt sein.“

Das sieht auch David Fais so. Der stellvertretender Leiter der Bezirkskammer Rems-Murr bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) der Region Stuttgart ermutigt junge Menschen dazu, sich bei der Berufswahl nicht von der aktuellen Situation leiten zu lassen. „Sie sollten in sich hineinhören, sich fragen: Was mache ich gern, wo liegen meine Talente?“, rät Fais. Köche zum Beispiel werde es auch noch in 30 oder 40 Jahren geben.

Für Paul Juraschek, 16, war es ein Kindheitstraum, später einmal Koch zu werden. Seine im August 2019 begonnene Ausbildung im Rudersberger Gasthaus Stern dauert noch gut eineinhalb Jahre. „Ich habe früh angefangen zu kochen“, erinnert sich Juraschek. An seinem Beruf gefällt ihm am meisten der Umgang mit den Lebensmitteln. „Ich mag es, dabei zuzusehen, wie aus einfachen Zutaten ein fertiges Gericht entsteht“, sagt er.

„Die Situation hat gewisse Vorzüge, aber anders wär’s mir lieber.“

Durch den Lockdown hat er bei der Arbeit derzeit mehr Zeit zum Kochen. „Weil es nur noch den Abholservice und kein À-la-carte-Essen gibt, ist es weniger stressig in der Küche“, sagt er. Außerdem hat er den Sonntag frei – was während des Normalbetriebs unmöglich war. Die Situation habe gewisse Vorzüge, sagt Juraschek, „aber anders wär’s mir lieber“.

Das wäre es den Unternehmern sicher auch. Wobei sie unterschiedlich gut mit den Auswirkungen der Pandemie zurechtkommen, wie David Fais von der IHK weiß. „Einige wenige Betriebe, wie etwa Baumärkte oder Großhändler für Arbeitsschutzartikel, wissen gar nicht wohin mit den Aufträgen“, führt er aus. Für die meisten sei die aktuelle Situation jedoch extrem belastend. Das spiegeln auch die Zahlen der neu abgeschlossenen Auszubildendenverträge 2020 wieder. In der Tourismusbranche etwa fingen im vergangenen Jahr 21 Prozent weniger junge Menschen eine Ausbildung an – ein drastischer Rückgang.

Der Ausbildungsalltag sei nahezu überall stark eingeschränkt, sagt Fais. Er beobachtet alternative Lehrmethoden in vielen Betrieben: E-Learning-Systeme, Kurzhospitationen (etwa bei Zulieferern) oder einen größeren Fokus auf den Online-Bereich und Prozessoptimierungen.

So handhabt es auch der Arbeitgeber von Justin Müller, wobei der 17-Jährige die Änderungen in seinem Ausbildungsalltag als eher geringfügig empfindet. Müller ist im zweiten Ausbildungsjahr als Groß- und Außenhandelskaufmann beim Backnanger Unternehmen Lochmann, das Berufskleidung herstellt. Vor der Pandemie arbeitete er vor allem im Fachgeschäft, beriet Kunden. Das macht er jetzt per E-Mail oder übers Telefon. Zudem wickelt er Bestellungen ab, stellt neue Artikel in den Online-Shop. „Dass ich auch mal online arbeite, war sowieso geplant, unabhängig von Corona.“

Gummihandschuhe, FFP2-Maske, Trennwände an den Schreibtischen: In seinem Betrieb fühlt der angehende Groß- und Außenhandelskaufmann Justin Müller, 17, sich sicher. Foto: T. Sellmaier

© Lochmann Berufskleidung

Gummihandschuhe, FFP2-Maske, Trennwände an den Schreibtischen: In seinem Betrieb fühlt der angehende Groß- und Außenhandelskaufmann Justin Müller, 17, sich sicher. Foto: T. Sellmaier

Müller ist froh um die Abwechslung. Gleichzeitig vermisst er den direkten Kontakt zu den Kunden, „das hat mir immer viel Spaß gemacht“. An eineinhalb Tagen pro Woche nimmt er online am Schulunterricht teil, zweieinhalb Tage kommt er ins Büro. Dort fühlt er sich dank eines Hygienekonzepts gut aufgehoben: „Die Schreibtische haben Trennwände und in der Firma tragen alle Masken, wenn sie von ihrem Platz aufstehen.“

Wie Julia Lederer sorgt auch Müller sich ein bisschen vor den Prüfungen, die bei ihm allerdings erst im Sommer 2022 stattfinden werden. Im ersten Lockdown habe er von der Schule nur Aufgaben zur Bearbeitung zugeschickt bekommen. „Die Themen mussten wir uns selber beibringen“, sagt er. „Da ist schon eine ziemliche Wissenslücke entstanden.“ Der angehende Groß- und Außenhandelskaufmann hofft nun, dass das bei den Prüfungen berücksichtigt werden wird.

Ausbildungsplätze sichern

Die Bundesregierung unterstützt Unternehmen, die trotz der Coronapandemie die Anzahl ihrer Ausbildungsplätze halten oder sogar erhöhen, mit dem Programm „Ausbildungsplätze sichern“. Mitte Januar wurden die Voraussetzungen für die Förderung in vielen Punkten erleichtert.

Die Änderungen gelten rückwirkend. Somit können Anträge auf Förderungen innerhalb von drei Monaten auch für schon bestehende Ausbildungsverhältnisse gestellt werden, für die eine Förderung bisher nicht möglich war.

Das Programm läuft seit August 2020 und wurde in der Region Stuttgart bislang von knapp 650 Unternehmen in Anspruch genommen. Alle Informationen dazu findet man auf der Website der IHK unter www.stuttgart.ihk24.de/coronavirus-informationen-unternehmen/corona-ausbildungspraemie-4831532.

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Erstellt:
28. Januar 2021, 06:00 Uhr

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