Anfang für eine Kehrtwende in der Pflege

Bei der Umsetzung des seit Januar geltenden Pflegepersonalstärkungsgesetzes sind noch viele Fragen und Wünsche offen

Viel wurde im vergangenen Jahr über das geplante Pflegepersonalstärkungsgesetz diskutiert – manches wurde begrüßt, manches aber auch kritisiert. Seit Januar ist das Gesetz nun in Kraft. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Das wollten wir von Verantwortlichen in der Pflege wissen. Tenor: Dass etwas getan wird, ist gut. Doch es bleiben noch viele Wünsche und Fragen offen.

Fachkräfte in der Pflege sind Mangelware: Die in der Pflege Arbeitenden fordern mehr Wertschätzung für den Beruf. Foto: Adobe Stock

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Fachkräfte in der Pflege sind Mangelware: Die in der Pflege Arbeitenden fordern mehr Wertschätzung für den Beruf. Foto: Adobe Stock

Von Ingrid Knack

BACKNANG. Das Gesetz sei tatsächlich eine kleine Revolution im System der ambulanten Pflege, findet Thomas Nehr, Vorstand der Diakonie ambulant Gesundheitsdienste Oberes Murrtal. Doch dass von heute auf morgen vieles besser wird, sei nicht zu erwarten. Dies liegt nicht nur an der von allen Befragten aus dem Pflegebereich angeführten Bürokratie, sondern vor allem am Fachkräftemangel. Von 13000 zusätzlichen Stellen ist in dem Gesetz die Rede. Eckart Jost, Geschäftsführer der Stiftung Altenheime Backnang und Wildberg, sagt aber: „Examinierte Altenpfleger gibt es so gut wie nicht mehr auf dem Markt.“ Dem Beruf fehle heutzutage die „Wertigkeit“.

Martina Zoll, Geschäftsführerin der Diakoniestation Weissacher Tal, schlägt in dieselbe Kerbe: „Wir müssen den Pflegeberuf gesellschaftlich wieder attraktiv machen. Unsere Mitarbeiter arbeiten gerne in ihrem Beruf, gerade für sie ist es oft schwierig, auszuhalten, wenn sie in der Presse nur Negativschlagzeilen lesen. Ich bin seit 25 Jahren in diesem Feld tätig und kenne noch die hohe Anerkennung, die die Gemeindekrankenschwester hatte. Im Alltag in den Pflegehäusern erfahren das unsere Mitarbeiter auch noch. Nur hat das Pflegeversicherungsgesetz auch eindeutig eine Anspruchshaltung bei den Familien gefördert. Die Dienstleistung steht im Vordergrund.“

Positiv beurteilt wird von den in der Pflege Arbeitenden zum einen, dass die tarifliche Entlohnung der Pflegekräfte, das heißt auch die tariflichen Steigerungen, nun von den Krankenkassen übernommen werden müssen. Zum anderen werden künftig auch die längeren Wegezeiten im ländlichen Bereich in den Vergütungsvereinbarungen berücksichtigt.

Vollständige Refinanzierung jeder zusätzlichen Pflegekraft

Ein Eckpunkt des Gesetzes ist auch die Gesundheitsförderung und Prävention für das Pflegepersonal. Im Oberen Murrtal geht man da schon länger eigene Wege. Seit acht Jahren gebe es bei der Diakoniestation ein aktives betriebliches Gesundheitsmanagement, berichtet Thomas Nehr. Es beinhaltet beispielsweise Dienstzeiten, die auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter zugeschnitten sind. Für dieses betriebliche Gesundheitsmanagement gebe es aber keinen direkten Zugang zu den Präventionsgeldern. „Dies sollte gefördert werden“, wünscht sich Nehr.

Matthias Haller, Pflegedienstleitung Rems-Murr-Klinikum Winnenden, sagt zur Auswirkung des Gesetzes auf den Klinikalltag: „Wenn wir heute vom Personalpflegestärkungsgesetz reden, kommen wir nicht umhin, auch die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung in den Blick zu nehmen, die seit dem 1. Januar 2019 für die Bereiche Kardiologie, Unfallchirurgie, Geriatrie und Intensivmedizin greift. Letzteres ist in der täglichen Praxis zunächst mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden, da beispielsweise Schichtbesetzungen im wahrsten Sinne des Wortes minutiös erfasst und übermittelt werden müssen.“

Dass die Pflege aus ihrem Schattendasein endlich in den Fokus gerückt und ernsthafte Versuche unternommen würden, die Situation der Pflegekräfte zu verbessern, seien die klaren Stärken der bundespolitischen Bemühungen, gegen den Fachkräftemangel in der Pflege vorzugehen. Das Pflegestellenförderprogramm steche darunter besonders positiv heraus: Aufgrund der vollen Refinanzierung durch die Kassen, könne nun jede zusätzliche Pflegefachkraft unabhängig von wirtschaftlichen oder anderen ausschlaggebenden Faktoren eingestellt werden. Allein der Arbeitsmarkt habe sich dadurch noch nicht verbessert. Grundsätzlich sei es aber zu begrüßen, Personaluntergrenzen mit dem Ziel einzuführen, eine akzeptable Qualität der Patientenversorgung zu garantieren.

Haller übt aber auch Kritik: „Vorerst gelten die Personaluntergrenzen lediglich in vier Bereichen, die von der Verordnung als pflegesensitiv beziehungsweise -intensiv definiert wurden. Dadurch erfolgt eine Hierarchisierung der Stationen, die stattdessen alle gleich behandelt werden sollten.“ Das habe die Politik aber nun erkannt und wolle in den folgenden Jahren die Personaluntergrenzen auf das komplette Krankenhaus ausweiten. Voraussetzung sei aber eine belastbare Datengrundlage, die den tatsächlichen Pflegebedarf und Pflegeaufwand erfasse. Die jetzigen Daten basierten allerdings noch auf der Pflegepersonalregelung der 1990er-Jahre. Es müssen also noch Hausaufgaben gemacht werden.

Nicht immer müssen examinierte Pflegekräfte eingesetzt werden

Die bundespolitischen Bemühungen, die Personalausstattung und die Arbeitsbedingungen der Pflege zu verbessern, klingen nach den Worten Hallers zunächst einmal positiv. Leider könnten die Versprechen aber nicht gehalten werden: „Zwar wird nun jede zusätzliche Pflegefachkraft refinanziert, dafür wurde aber gleichzeitig der Pflegezuschlag gestrichen. Der Wegfall des Pflegezuschlags reißt uns jährlich ein Loch von 800000 Euro ins Budget, das zunächst einmal durch die Einstellung von zusätzlichen Pflegefachkräften kompensiert werden will. Genau hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Pflegefachkräfte sind auf dem Arbeitsmarkt als rares Gut schwer umkämpft.“ Und der demografische Wandel wird das Problem noch verschärfen: Nach Prognosen von Experten werden bis zum Jahr 2030 deutschlandweit bis zu 500000 Pflegekräfte fehlen.

In Bezug auf die Pflegeuntergrenzen-Verordnung ist ein Kritikpunkt der Fokus auf examiniertes Personal – dies hatte auch Martina Zoll für ihren Bereich bemängelt. Haller: „Wir als Rems-Murr-Kliniken haben einen eigenen Weg gefunden, den angesprochenen Herausforderungen des Fachkräftemangels in der Pflege zu begegnen. Dafür haben wir ein System etabliert, das Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unterschiedlichen Qualifikationen zielgerichtet in der Patientenversorgung einsetzt.“ Denn nicht jede Tätigkeit, die im Stationsalltag anfällt, müsse von einer examinierten Pflegekraft ausgeübt werden. Entsprechend setzen sich die Teams auf den Stationen unter anderem aus Gesundheits- und Krankenpflegern, Krankenpflegehelfern, Pflegeassistenten, Servicemitarbeitern, Stationssekretärinnen und Anerkennungspraktikanten zusammen.

„Doch diese innovative Lösungsstrategie wird von der aktuellen Gesetzgebung weder ausreichend berücksichtigt noch refinanziert.“ Stattdessen konzentriere sich die Politik auf die Anhebung der Pflegefachkraftquote, die wiederum vor der Personalknappheit und der einhergehenden angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt betrachtet werden müsse. „Alle weiteren unterstützenden und sinnvollen Tätigkeiten durch Hilfsberufe fallen damit unter den Tisch. Aus unserer Sicht ein Webfehler im System, den wir weiterhin durch verstärkte Maßnahmen zur Personalbindung, Personalentwicklung und Personalgewinnung aufzufangen versuchen.“ Einer der Schwerpunkte im Rems-Murr-Klinikum liege zum Beispiel auf der Nachwuchsförderung: Gesundheits- und Krankenpfleger oder Hebammen bilden wir in unserem Bildungszentrum selbst aus – bei anschließender Übernahme.“

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Erstellt:
28. Februar 2019, 06:00 Uhr

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