Angeklagter ist laut Fachmann schuldfähig

Am zehnten Verhandlungstag im Allmersbacher Mordprozess werden medizinisches und psychiatrisches Gutachten vorgelegt.

Bei der Verhandlung vor dem Stuttgarter Landgericht im Allmersbacher Mordprozess ging es nun um die Schuldfähigkeit des Angeklagten. Symbolfoto: stock.adobe/okanakdeniz

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Bei der Verhandlung vor dem Stuttgarter Landgericht im Allmersbacher Mordprozess ging es nun um die Schuldfähigkeit des Angeklagten. Symbolfoto: stock.adobe/okanakdeniz

Von Bernhard Romanowski

ALLMERSBACH IM TAL/STUTTGART. Auf welch brutale Weise die 41-jährige Allmersbacherin und ihre neunjährigen Tochter im Sommer letzten Jahres ihr Leben verloren, war zwar bekannt und von der Polizei auch schon mit Fotos belegt worden. Doch in dem medizinischen Gutachten, das gestern vor der 19. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts vorgetragen wurde, fand sich das furchtbare Szenario jenes Juniabends nun auch wissenschaftlich genau verzeichnet – also der Zustand der beiden Leichen minutiös bis ins kleinste Detail beschrieben.

Anhand der Aussagen der medizinischen Gutachterin aus Tübingen wurde deutlich, dass sich die 41-Jährige, nachdem sie von dem mutmaßlichen Täter mit einem Kantholz niedergeschlagen worden war, wohl noch heftig gewehrt hat. Vermutlich als sie bereits auf dem Boden des Esszimmers lag und der Angreifer sie mit einem langen Küchenmesser anging, versuchte sie offenbar noch, ihn daran zu hindern, ihr den Hals durchzuschneiden. Sie griff demnach nach der Klinge. Dies legen die Verletzungen an ihrer rechten Hand nahe. Die Spuren stumpfkantiger Gewalt am Kopf lassen laut Gutachterin den Schluss zu, dass der Täter mindestens dreimal mit einem am Tatort vorgefundenen Kantholz zugeschlagen hat, bevor er das Opfer mit weiterem Körpereinsatz so weit unter Kontrolle brachte, dass er zu zwei Schnitten an der Kehle der Frau ansetzen konnte. Bei dem neunjährigen Mädchen wurden eine Berstungsfraktur am Schädel und ein tiefer Schnitt durch die Kehle festgestellt. Das Kind war vermutlich bewusstlos, als der Schnitt erfolgte. Abwehrverletzungen des Mädchens waren nicht zu erkennen, so die Gutachterin. Die Neunjährige wie auch ihre Mutter starben letztlich durch Verbluten in Kombination mit Einatmung von Blut.

Der Psychiater erörtert das sexuell-aggressive Verhalten des Angeklagten.

Auch den Angeklagten hatte die Gutachterin vergangenes Jahr nach seiner Überstellung vom Polizeirevier Heilbronn-Böckingen nach Waiblingen untersucht. Dies diente nicht zuletzt der Frage, ob der Mann bei der Tat unter Drogen- oder Alkoholeinfluss gestanden haben könnte. Die Gutachterin berechnete anhand der Aussagen von Zeugen sowie des Angeklagten selbst, dass dieser zur Tatzeit allenfalls geringfügig bis gar nicht alkoholisiert war. Ein weiteres Gutachten wurde gestern von dem Gerichtspsychiater Peter Winckler aus Tübingen vorgelegt. Er hatte über zwei Monate verteilt mehrere Gespräche mit dem Angeklagten geführt, insgesamt elf Stunden lang. „Das ist lange für mich. Es war eine besondere Beurteilung und ich wollte nicht, dass ein psychisches Krankheitsbild übersehen wird“, so Winckler mit Blick auf die besondere psychische Verfasstheit des Mundelsheimers. Das sprunghafte Denken, weitschweifige Reden und die mangelnde Fähigkeit, zwischen wichtigen und unwichtigen Details zu unterscheiden, grenze an eine formale Denkstörung.

Psychodiagnostisch auffällig sei, dass der Angeklagte in den Beziehungen mit seinen Partnerinnen immer wieder in sexuell-aggressiver Weise übergriffig wurde. Winckler nannte hier die beiden von der Ex-Frau des Mundelsheimers angezeigten Versuche, ihr ins Gesicht zu ejakulieren, sowie das Verhalten des Angeklagten, als er gemäß der Aussage seiner Ex-Freundin aus Ludwigsburg ihrer Katze seinen eregierten Penis mehrfach auf den Kopf schlug und der Frau dann einen Videomitschnitt der Aktion zeigte. Auch das Auflauern in einer Tiefgarage, wie es die Heilbronner Ex-Freundin beschrieben hatte, gehöre in diesen Bereich. Laut Gutachter ist dem Angeklagten eine ausgeprägte Ichbezogenheit zu eigen. Er sehe die Schuld immer bei anderen (Fremdschuldattribuierung), habe ein unterentwickeltes soziales Gespür, und ihm fehle Empathie. Er begreife also nicht immer, wann er sich daneben benimmt, und sei nicht fähig zum Perspektivwechsel, also sich vorzustellen, was andere gerade denken oder fühlen.

Demgegenüber stehen laut Winckler die Beschreibungen der Freunde des Angeklagten, die diesen zwar als etwas verschroben, aber vor allem sehr freundlich, hilfsbereit und offen bezeichneten. „Das sind zwei Persönlichkeitsprofile, die fast unabhängig voneinander agieren“, so Winckler zu den zwei Gesichtern des Angeklagten. Doch all das reiche nicht, um dem Angeklagten Schuldunfähigkeit zu attestieren. Dieser sei normal intelligent, habe die Werkrealschule und eine Lehre absolviert und rund 15 Jahre im selben Betrieb gearbeitet. Winckler: „All das hat funktioniert, nur die Beziehungen nicht.“

Dass der Angeklagte in der Kindheit von seinem Vater physisch und psychisch misshandelt worden sein soll, wie es dessen Schwester offenbar in einem Brief behauptet, und dass die Familie des Angeklagten durch eine Reihe von Suiziden psychisch vorbelastet sein soll, zog Winkler an dieser Stelle nicht weiter in Betracht. Die Kriterien einer Affekttat seien zudem auch nicht gegeben, so der Tübinger Psychiater.

„Was bleibt, ist die Unbegreiflichkeit der Tat. Ich habe nicht den Hauch eines Erklärungsansatzes. Das lässt mich ratlos zurück“, resümierte Winckler. Er betonte gestern, dass es nicht nur zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen dürfe, sondern dass eine Sozialtherapie für den Mundelsheimer während der Haft angeraten sei.

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Erstellt:
24. Februar 2021, 06:00 Uhr

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