Anglikanische Erzbischöfe kritisieren Johnsons Brexit-Kurs

dpa London. Wohin steuert Großbritannien mit Boris Johnsons harter Linie bei den Verhandlungen mit der EU? Die Kirche im Land ist besorgt und beklagt insbesondere einen Rechtsbruch der Regierung.

Premier Boris Johnson bei einer Pressekonferenz in der 10 Downing Street. Foto: Toby Melville/PA Wire/dpa

Premier Boris Johnson bei einer Pressekonferenz in der 10 Downing Street. Foto: Toby Melville/PA Wire/dpa

Mehrere Erzbischöfe der Anglikanischen Kirche werfen der britischen Regierung einen Rechtsbruch beim Brexit vor. Das Binnenmarktgesetz, mit dem Teile des bereits gültigen Austrittsabkommens zwischen London und der EU ausgehebelt werden können, sei ein „verheerender Präzedenzfall“.

Das Gesetz habe „enorme moralische sowie politische und rechtliche Konsequenzen“, schrieben die Geistlichen um den Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, in einem Offenen Brief, den die „Financial Times“ am Montag veröffentlicht. Es ebne den Weg für einen Verstoß gegen das Völkerrecht.

Das Gesetz könnte Sonderregeln für Nordirland im Brexit-Abkommen zunichte machen, die eine harte Grenze zum EU-Staat Irland und neue Feindseligkeiten dort verhindern sollen. Großbritannien spricht von einem „Sicherheitsnetz“, die Europäische Union hingegen von einem Vertragsbruch. Das Binnenmarktgesetz hatte im britischen Unterhaus bereits eine erste Hürde genommen. Am Montag sollte es im Oberhaus debattiert werden, in dem viele Kritiker des EU-Austritts sitzen.

In zehn Wochen endet die Brexit-Übergangsphase, in der weitgehend noch alles beim Alten geblieben ist. London und Brüssel ringen derzeit um einen Handelspakt ab 2021. Ohne Vertrag drohen Zölle und andere Handelshürden. Dies könnte die Wirtschaft stark belasten.

Zuvor hatte die britische Regierung massiv mit einem Scheitern der Verhandlungen über den Brexit-Handelspakt gedroht. Die Chancen auf einen Deal seien gesunken. Brüssel sei nicht kompromissbereit, sagte Staatsminister Michael Gove am Sonntag dem Sender Sky News. Er hatte die Chancen auf ein Abkommen nach der Brexit-Übergangsphase Ende des Jahres zuletzt auf 66 Prozent eingeschätzt. Jetzt sagte Gove: „Es ist weniger.“

Nun liege es am EU-Unterhändler Michel Barnier, ob ein Deal doch noch zustande komme. „Der Ball ist in seinem Spielfeld“, sagte Gove, der mit den Vorbereitungen auf ein Scheitern der Verhandlungen betraut ist. Die EU müsse ihre Haltung ändern. Barnier und der britische Unterhändler David Frost wollten in den kommenden Tagen über das weitere Vorgehen miteinander telefonieren, berichtete Gove weiter.

Premierminister Boris Johnson hat bereits mehrfach betont, dass Großbritannien auf einen No-Deal-Brexit vorbereitet sei. Viele Kommentatoren werten die barschen Töne aus London aber als Muskelspiel. Denn Großbritannien stehen sehr harte Zeiten bevor: Das Land muss starke wirtschaftliche Verwerfungen nicht nur bei einem No-Brexit-Deal fürchten, sondern auch wegen der Pandemie.

Großbritannien hatte die Staatengemeinschaft Ende Januar verlassen, ist aber bis Jahresende noch Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Erst danach kommt der wirtschaftliche Bruch. Sollte keine Einigung zustande kommen, drohen schwere wirtschaftliche Verwerfungen. Der Handelspakt soll das verhindern. Die Verhandlungen kommen aber seit Monaten in einigen Bereichen nicht voran.

© dpa-infocom, dpa:201019-99-999062/3

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Erstellt:
19. Oktober 2020, 13:48 Uhr

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