Anklage wegen Aufruhrs und Rebellion
Kataloniens Traum von der Unabhängigkeit landetvor Gericht in Madrid
Der Vorwurf lautet auf Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung: Am Dienstag ist in Madrid der Startschuss für den Mammutprozess gegen die separatistische Führungsriege Kataloniens gefallen. Vor dem Obersten Gericht müssen sich zwölf Angeklagte verantworten – darunter ehemalige Minister der Konfliktregion und zwei Aktivisten, die im „heißen Herbst“ 2017 zentrale Rollen gespielt haben. Der Gruppe um Ex-Vize-Regionalpräsident Oriol Junqueras drohen Haftstrafen von bis zu 25 Jahren.
Auch gut anderthalb Jahre nach den einseitigen Abspaltungsbeschlüssen, die nun ihr gerichtliches Nachspiel haben, zeichnet sich keine Lösung für die tiefgespaltene Region ab. Der Versuch von Spaniens sozialistischem Regierungschef Pedro Sánchez, per Dialog mit der katalanischen Regionalregierung nach Auswegen zu suchen, steht vor dem Scheitern. Sánchez’ Angebot, Kataloniens Autonomierechte zu stärken und die Finanzierung der Region zu verbessern, reicht den dort weiterhin regierenden Separatisten nicht. Sie bestehen auf Verhandlungen über ein bindendes Unabhängigkeitsreferendum und über die Loslösung vom spanischen Königreich – was mit Spaniens heutiger Verfassung nicht möglich ist.
Das Strafverfahren dürfte nun die Fronten weiter verhärten. Auf der Anklagebank fehlt der wohl wichtigste Protagonist des Abspaltungsreferendums: Ex-Regionalpräsident Carles Puigdemont war vor seiner Festnahme ins belgische Exil geflohen. „Wir erleben heute einen Prozess, den es nie hätte geben dürfen“, sagte der 56-Jährige am Dienstag in der katalanischen Vertretung in Berlin. Er sprach von einem „künstlich konstruierten, politischen Verfahren“. Ein schwerer Vorwurf gegen den EU-Staat Spanien. Und eine große Herausforderung für Spaniens Justiz. Sie will mit der Liveübertragung des Prozesses im Internet aller Welt beweisen, dass es sich um ein faires Verfahren mit den üblichen rechtsstaatlichen Garantien handelt.
Im internationalen Demokratie-Ranking muss sich Spanien, das sich vor 43 Jahren von der Franco-Diktatur befreite, übrigens nicht verstecken. Es befindet sich auf einer Höhe mit den anderen europäischen Ländern. Deswegen stellte sich die EU im Katalonienkonflikt guten Gewissens hinter die spanische Regierung und erteilte den Abspaltungsplänen der katalanischen Separatisten eine Abfuhr, wohl auch in der Hoffnung, nicht andernorts in Europa nationalistische Ambitionen zu bestärken.
Die angeklagten katalanischen Politiker und Separatistenführer rechtfertigen ihre umstrittenen Unabhängigkeitsbeschlüsse damit, dass sie nur den Willen des Volkes erfüllt hätten. Dazu ist schlicht anzumerken, dass Volksrepräsentanten nicht im rechtsfreien Raum handeln und natürlich für ihre Handlungen geradestehen müssen. Das gilt genauso für die Separatisten, die im Herbst 2017 bewusst mehrere Gerichtsverbote ignorierten und mit Spaniens Rechtsordnung brachen, um die Unabhängigkeit Kataloniens zu erzwingen.
Nun werden die Richter in den nächsten Monaten darüber beraten müssen, ob dieser Aufstand vielleicht doch mit dem von den Separatisten eingeforderten „Recht auf Selbstbestimmung aller Völker“ vereinbar ist. Die Angeklagten, die sich für unschuldig halten, wollen den Konflikt notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof tragen. Unabhängig von jenem Urteil, dass die Richter sprechen werden, sollte aber eines klar sein: Allein mit der Justiz lässt sich der Konflikt in Katalonien, wo die Bevölkerung ziemlich genau in der Mitte in ein separatistisches und ein prospanisches Lager geteilt ist, sicherlich nicht lösen lassen.
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