Anschluss ans internationale Eisenbahnnetz

Blick in das Archiv von Peter Wolf: Der alte imposante Backsteinbau des Backnanger Bahnhofs musste im Jahr 1975 einem Neubau weichen.

Backnanger Bahnhof im Jahr 1905.

© Repro Peter Wolf

Backnanger Bahnhof im Jahr 1905.

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. Manche Backnanger erinnern sich mit Wehmut an den früheren Bahnhof. Das Backsteingebäude gehörte zu den markantesten Bauwerken der Stadt. Oft sind emotionale Erlebnisse von Abschied oder freudigem Wiedersehen mit einem Bahnhof verbunden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Anbindung der Stadt an das Eisenbahnnetz und der Bau der Bahnstation für Backnang vor allem von großer wirtschaftlicher Relevanz und bedeuteten einen enormen Aufschwung für die Stadt.

Rohstoffe für die aufblühende Industrie mussten noch mit Pferdefuhrwerken antransportiert werden. Mit der Wahl von Friedrich von Dillenius zum Landtagsabgeordneten des Oberamtsbezirks Backnang im Jahr 1870, der der Eisenbahnverwaltung vorstand und dann Generaldirektor der Württembergischen Verkehrsanstalten wurde, erhoffte man sich einen baldigen Bau der Eisenbahnstrecke nach Backnang. Dillenius setzte sich dafür ein. Für seine Verdienste um die Erbauung der Murrtalbahn wurde er zum Backnanger Ehrenbürger ernannt. Heute trägt die Dilleniusstraße, die vom Obstmarkt in Richtung Bahnhof führt, seinen Namen.

Der Bau der Bahnstrecke war wegen der Topografie recht aufwendig.

1872 genehmigte der württembergische König Karl I. den Bau, für den wegen der Topografie große Erdbewegungen notwendig waren, informiert das Backnang-Lexikon. Im Oktober 1876 konnte die eingleisige Eisenbahnstrecke von Waiblingen nach Backnang eröffnet werden. Der erste Fahrplan sah vier Züge pro Tag nach Stuttgart vor, die Fahrzeit betrug eine Stunde und 25 Minuten.

Zunächst gab es nur ein provisorisches Bahnhofsgebäude. Es folgte aber schnell der Bau eines repräsentativen Empfangsgebäudes, das 1877 eröffnet werden konnte. Es hatte eine beachtliche Größe: Zwei dreigeschossige Pavillons verband ein etwas niedrigerer Langbau. Das Erdgeschoss war in Naturstein ausgeführt, die großen Rundbogenöffnungen von fein gehauenen Quadern eingefasst und die oberen Geschosse in Backstein gemauert. Von der Stadt erschloss eine offene Vorhalle in Gusseisenkonstruktion den Bau, heißt es im Backnang-Lexikon weiter. Im Oktober 1877 eröffnete Pächter Wilhelm Holzwarth vom Stiftsgrundhof die „Bahnhofrestauration“. In einigem Abstand wurde der Güterbahnhof errichtet, von dem der Backnanger Viehmarkt, aber vor allem die Industrie profitierte. Große Mengen von Leder und Rinde für die Gerbereien konnten verladen werden.

Eine Postkarte aus Peter Wolfs Archiv zeigt den Backnanger Bahnhof mit einer Dampflokomotive. Die Karte ist anlässlich des „II. Verbandstags der württembergischen Eisenbahn- und Dampfschifffahrt-Unterbeamten, Handwerker und Arbeiter am 8. und 9. Juli 1911“ entstanden. Inzwischen waren die Eisenbahnstrecken schon stark ausgebaut worden. 1910 hielt der Express Paris–Warschau an der hiesigen Bahnhofsstation, und 1912 führte der Orientexpress Paris– Wien über Backnang. Ein Foto aus dem Jahr 1910 zeigt das Bahnhofspersonal, das sich um einen reibungslosen Ablauf des Schienenverkehrs und das Wohlbefinden der Reisenden kümmerte.

Die Elektrifizierung der Strecke nach Waiblingen und der zweigleisige Ausbau erfolgten 1964/65. Das Bahnhofsgebäude war in die Jahre gekommen, und in den 1960er-Jahren rührte sich Unmut in der Bevölkerung über die maroden Verhältnisse. Leser beklagten sich damals in Zuschriften an die BKZ über den „unhaltbaren Zustand“ des Bahnhofs. „In all diesen Briefen war die Frage gestellt worden, wann der schon längst geplante und angekündigte, dann aber immer wieder verschobene Neubau eines Bahnhofs verwirklicht wird“, ist in der BKZ vom 24. Februar 1968 zu lesen.

In dem Artikel wird auch der damals amtierende Backnanger Oberbürgermeister Martin Dietrich zitiert, der nach einer Zugreise einen Brief an den seinerzeitigen Präsidenten der Bundesbahndirektion Stuttgart, Dr. Ziller, schrieb: „Ich habe es zuerst gar nicht fassen wollen, dass es von der Bahnhofsdecke auf die Benutzer nur so herabgeregnet hat.“ Und der OB fügte an: „Was sich hier dem Auge an Verrottung bietet, ist sicher einmalig.“ Schließlich wurde 1975 das rund 100 Jahre alte Bahnhofsgebäude abgebrochen und durch einen eingeschossigen Betonbau ersetzt, in den eine unterirdische Fußgängerverbindung zwischen Erbstetter Straße und den Gleisen integriert wurde.

Heute ist es müßig, darüber nachzudenken, ob man den alten Backnanger Bahnhof doch hätte erhalten können. Es ist wohl auch dem damaligen Zeitgeist geschuldet, dass man Altes über Bord werfen und sich Neuem und Modernem zuwenden wollte. Das Wort „Bausünde“ fällt heute unter Backnangern des Öfteren im Hinblick auf die kühle, funktionale Betonarchitektur aus den 1970er-Jahren. Zum Schwelgen in Nostalgie laden die Fotos aus Peter Wolfs Archiv ein.

Das Bahnhofspersonal ließ sich 1910 am Gebäude fotografieren. Repros: P. Wolf

Das Bahnhofspersonal ließ sich 1910 am Gebäude fotografieren. Repros: P. Wolf

Postkarte mit dem Bahnhof und einer Dampflok von 1911, die zum Verbandstag entstanden ist.

Postkarte mit dem Bahnhof und einer Dampflok von 1911, die zum Verbandstag entstanden ist.

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Erstellt:
17. August 2020, 11:30 Uhr

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