AOK schließt früher und berät dafür digital

Die Geschäftsstellen der größten Krankenkasse haben nur noch montags ganztägig geöffnet. An den anderen Wochentagen braucht man nachmittags einen Termin. Man reagiere damit auf das geänderte Kundenverhalten, sagt Geschäftsführer Alexander Schmid.

Iris Grundmann und ihr Team sind im Waiblinger Servicecenter immer häufiger telefonisch im Einsatz, dafür kommen weniger Versicherte persönlich vorbei. Foto: AOK Rems-Murr

© Ziegenbalg, Daniela [BW]

Iris Grundmann und ihr Team sind im Waiblinger Servicecenter immer häufiger telefonisch im Einsatz, dafür kommen weniger Versicherte persönlich vorbei. Foto: AOK Rems-Murr

Von Kornelius Fritz

Waiblingen. Wer als Versicherter mit einem Anliegen zu seiner AOK-Geschäftsstelle gehen will, sollte vorher lieber noch mal die Öffnungszeiten checken. Sonst könnte es passieren, dass man vor verschlossenen Türen steht. Für unangemeldete Besucher haben die Kundencenter der Krankenkasse seit vergangenem Jahr nämlich nur noch montags bis 17 Uhr geöffnet, an den anderen Wochentagen werden die Türen bereits um 13 Uhr geschlossen. Nachmittags finden persönliche Beratungen dann nur noch nach Terminvereinbarung statt. So könne man den Personaleinsatz besser steuern und bei komplexeren Anliegen auch gleich die nötige Zeit einplanen, erklärt Alexander Schmid, Geschäftsführer der Bezirksdirektion Ludwigsburg/Rems-Murr.

Dass die reduzierten Öffnungszeiten von den Versicherten als Verschlechterung wahrgenommen werden, glaubt der AOK-Chef nicht. „Unsere digitale Beratung wird dafür hochwertiger.“ Und sollte doch mal ein Kunde außerhalb der Öffnungszeiten kommen, werde man diesen auch nicht vor der Tür stehen lassen, verspricht Schmid.

Alexander SchmidFoto: AOK

Alexander SchmidFoto: AOK

Mit rund 186000 Versicherten ist die AOK die größte Krankenkasse im Rems-Murr-Kreis und auch die einzige, die mit sieben Geschäftsstellen nach wie vor im gesamten Landkreis präsent ist, unter anderem in Backnang und Murrhardt. „Es gehört zu unserer Philosophie, dass wir in der Fläche vertreten sein wollen“, erklärt Alexander Schmid. Trotzdem habe die Coronapandemie auch bei der Krankenkasse Veränderungen mit sich gebracht. „Vor Corona hatten wir deutlich mehr persönliche Kontakte als telefonische. Das hat sich mittlerweile gedreht“, berichtet Schmid.

In der Folge hat die Krankenkasse ihr Callcenter ausgebaut: Die Telefonberatung, die früher zentral von Waiblingen aus erledigt wurde, ist nun von allen Standorten und auch aus dem Homeoffice möglich. Denn nach wie arbeiten rund 40 Prozent der Beschäftigten von zu Hause aus. Bei einem Frauenanteil von 83 Prozent in der Belegschaft sei das ein großes Plus, sagt Schmid. Die AOK sei so ein noch attraktiverer Arbeitgeber geworden.

Auch online kann man sich bei der AOK seit einem halben Jahr beraten lassen. Dienstleistungen digital anzubieten ist für eine Krankenkasse gar nicht so einfach, denn in den Beratungsgesprächen geht es oft um sehr sensible Daten – vom Einkommen bis zu medizinischen Diagnosen. „Wir können das deshalb nicht über Skype oder Teams machen“, erklärt der Geschäftsführer. Inzwischen habe man aber eine Lösung gefunden, die den hohen Datenschutzanforderungen gerecht wird. Ab November soll sogar ein Videochat mit den AOK-Beraterinnen möglich sein.

Der Spielraum der Kassen beim Beitragssatz ist gering

Während die Kassen über ihre Serviceleistungen weitgehend selbst entscheiden können, ist ihr Spielraum beim Beitragssatz gering. Mit großer Skepsis blickt Alexander Schmid deshalb nach Berlin, wo die Ampelkoalition im Juli ihr GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf den Weg gebracht hat. Denn bei den gesetzlichen Krankenkassen droht im kommenden Jahr ein Gesamtdefizit von 17 Milliarden Euro.

Die Maßnahmen mit denen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diese Finanzlücke schließen will, hält der Ludwigsburger AOK-Chef allerdings für ungeeignet. Besonders ärgert ihn der Plan, erneut die Rücklagen der Kassen anzuzapfen.

Diese sollen nach dem Willen des Ministers auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum abgeschmolzen werden. Die AOK Baden-Württemberg müsste laut Schmid demnach einen „mittleren dreistelligen Millionenbetrag“ an den Gesundheitsfonds abführen. „Das ist Geld, das wir durch solides Wirtschaften für unsere Versicherten auf die Seite legen konnten“, beklagt der Geschäftsführer. Nun werde seiner Kasse jeglicher finanzieller Spielraum genommen. Die AOK-Mitglieder erwartet daher wie alle gesetzlich Versicherten zum 1. Januar 2023 eine Erhöhung des Zusatzbeitrags um voraussichtlich 0,3 Prozentpunkte.

AOK-Chef kritisiert: „Lauterbachs Pläne helfen nur kurzfristig“

Im Übrigen ändert das geplante Gesetz in Schmids Augen nichts an den Ursachen der Finanzmisere. „Das sind alles Maßnahmen, die nur kurzfristig helfen“, erklärt der AOK-Chef. Er fordert stattdessen „strukturelle Veränderungen“. So müssten etwa kostspielige Projekte auf den Prüfstand. Als Beispiele nennt Schmid teure Gesundheits-Apps mit „zweifelhaftem Nutzen“ oder das noch unter Gesundheitsminister Jens Spahn beschlossene Terminservice- und Versorgungsgesetz, das dazu beitragen sollte, dass Patienten schneller einen Termin beim Facharzt bekommen. „Eine völlig unnötige Maßnahme“, wie Schmid findet. Mit ihrem eigenen Facharztprogramm habe seine Kasse dieses Ziel nämlich längst erreicht.

Stattdessen fordert die AOK, der Staat solle die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf 7 Prozent senken und künftig einen „angemessenen Beitrag“ für die Bezieher von Arbeitslosengeld II bezahlen. Der bisherige Beitrag sei nämlich nicht ansatzweise kostendeckend und die Zahl der Leistungsbezieher durch die Geflüchteten aus der Ukraine zuletzt stark gestiegen. Dass diese eine Krankenversicherung brauchen, steht für den AOK-Geschäftsführer außer Frage, aber die Kosten dafür müsste seiner Meinung nach der Steuerzahler übernehmen und nicht die Krankenkassen.

Die Einflussmöglichkeiten der Kassenchefs sind allerdings begrenzt. Sie können nur an die Politiker appellieren, was Alexander Schmid auch auf regionaler Ebene immer wieder tut. Aber er weiß eben auch, warum es „gesetzliche Krankenkasse“ heißt: „Wir sind gezwungen, das umzusetzen, was uns der Gesetzgeber vorgibt.“

Zum Artikel

Erstellt:
20. September 2022, 16:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!
Achtung: Diese Aufnahme stammt nicht aus Bartenbach, sondern ist ein Symbolfoto. Jene Fotos, die am Mittwoch im Sulzbacher Teilort aufgenommen worden sind, wurden bisher nirgendwo veröffentlicht. Sie werden erst noch von Experten überprüft. Quelle: FVA Baden-Württemberg
Top

Stadt & Kreis

Zeigt die Wildtierkamera einen Wolf?

Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg untersucht derzeit die Aufnahmen eines Tiers, die am Mittwoch auf der Gemarkung des Sulzbacher Teilorts Bartenbach entstanden sind. Vor Abschluss der Untersuchung hüllen sich die Experten in Schweigen.

Stadt & Kreis

„Ich bin ein altes Zirkuspferd“

Als Moderator der SWR-Talkshow „Nachtcafé“ war Wieland Backes ein bekanntes Fernsehgesicht. Heute ist der 77-Jährige schriftstellerisch tätig: Am Montag präsentiert er in Backnang sein neues Buch. Im Interview verrät Backes, warum es für ihn auch eine Rückkehr zu seinen Wurzeln ist.

Stadt & Kreis

Aus Abfall entstehen Strom und Wärme

Energiewende vor der Haustür (5) Die Biovergärungsanlage der AWRM in Backnang-Neuschöntal verwertet Bioabfall aus dem Kreis und gewinnt daraus Energie. Der Strom der Anlage deckt den Jahresbedarf von etwa 3000 Haushalten.