Arbeiten gegen den Biorhythmus

Etwa sechs Millionen Beschäftigte arbeiten teilweise oder auch dauerhaft nachts. Welche Auswirkungen hat das für ihre Gesundheit? Drei Arbeitnehmer berichten über ihren Umgang mit den besonderen Herausforderungen der Schichtarbeit.

Jen Lang hat es geschafft, die Nachtschicht in einer Klinik im Kreis Ludwigsburg ist zu Ende. Foto: privat

Jen Lang hat es geschafft, die Nachtschicht in einer Klinik im Kreis Ludwigsburg ist zu Ende. Foto: privat

Von Simone Schneider-Seebeck

KIRCHBERG AN DER MURR/BACKNANG. In vielen Bereichen des täglichen Lebens gehört sie zwingend dazu – Schichtarbeit, unter anderem im Krankenhaus, bei der Polizei, dem ÖPNV, in der Wirtschaft. Laut Eurostat arbeiteten 2018 rund 15,5 Prozent der 15- bis 64-jährigen Arbeitnehmer in Deutschland in Schichtarbeit. Das wirkt sich häufig negativ auf die Gesundheit aus: durch chronische Erschöpfung, Schlafprobleme, Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einen schlechter Ernährungshaushalt und mehr. Der gestörte Biorhythmus wirkt sich stark auf die Gesundheit aus. So ist Tagschlaf nicht so erholsam wie Nachtschlaf. Das führt zu schlechterer Konzentrationsfähigkeit, Fehler und selbst ein geschwächtes Immunsystem sind die Folge.

Doch in Krankenhäusern oder der Pflege kommt man ohne den Dienst rund um die Uhr nicht aus. Jen Lang arbeitet als Operationstechnische Assistentin an einer kleineren Klinik. Neben dem Operationsfunktionsdienst mit Kernarbeitszeit von 7.20 bis 16 Uhr müssen noch weitere Zeiten in verschiedenen Schichtmodellen abgedeckt werden, die sich auch mal durch die Nacht bis in den nächsten Morgen erstrecken. Die gewünschten Dienstzeiten können in den Dienstplan eingetragen werden und werden nach Möglichkeit berücksichtigt. Die Kirchbergerin achtet darauf, dass pro Woche jeder Dienst mindestens einmal eingetragen wird, unter Berücksichtigung von vorgeschriebenen Ruhe- und Höchstarbeitszeiten. „Es dauert schon, bis man runtergekommen ist“, beschreibt sie ihre Erfahrungen aus den letzten fünf Jahren. „Wenn man morgens nach dem Rufdienst wieder zum Normaldienst rausmuss, ist das schon anstrengend.“

Verbesserung der Rahmenbedingungen erwünscht.

Mehrere Nachtdienste in Folge empfindet sie als belastend, es dauere oft zwei bis drei Tage, bis man wieder in den normalen Tagesrhythmus gefunden habe. Für die Frühaufsteherin kommt dazu, dass sie vor allem vormittags besonders produktiv ist. Sie betont: „Ich liebe meinen Job.“ Allerdings wünscht sie sich bessere Rahmenbedingungen und bedauert, dass besonders die Arbeit in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu wenig Wertschätzung und Anerkennung findet.

Etwa eineinhalb Jahre hat Alexander Seebeck aus Backnang nach seiner Ausbildung bei einem Backnanger Automobilzulieferer im Schichtdienst gearbeitet. Obwohl er damals jugendliche 19 Jahre zählte, waren die wöchentlichen Schichtwechsel nicht ohne. Bis in die Nacht hinein zu arbeiten, Spätschicht bis 23 Uhr, war für ihn an sich nicht so schlimm, doch den Wechsel von spät nach früh hat er als besonders unangenehm in Erinnerung. Erst nach zwei bis drei Tagen habe es mit dem frühen Aufstehen wieder gut geklappt. Auch wenn sich das bei ihm nicht langfristig ausgewirkt hat – solch einen wöchentlichen Schichtwechsel über Jahre hinweg kann er sich durchaus als gesundheitlich problematisch vorstellen.

Ein gut gelungenes Beispiel für verhältnismäßig wenig belastende Schichtarbeit findet sich bei der baden-württembergischen Polizei. „Wir lieben diesen Dienst“, lobt Polizeihauptkommissar Thomas Hartmann den Wechselschichtdienst. Anfang der 1990er-Jahre eingeführt, hat sich dieses Schichtmodell in den vergangenen Jahrzehnten seiner Ansicht nach bewährt. Bei diesem Konzept wird der Schichtdienst mit fünf Dienstgruppen abgedeckt, damit die Wache an sieben Tagen die Woche 24 Stunden besetzt werden kann. Auf die Spätschicht vom ersten Tag folgen Früh- und Nachtschicht am zweiten bis zum Dienstende am frühen Morgen des dritten Tages. Die beiden darauffolgenden Tage sind frei. Zusätzlich gibt es noch den Tagesergänzungsdienst unter der Woche sowie einmal im Monat den Zusatzergänzungsdienst (jeweils vormittags vor der Spätschicht) und gegebenenfalls die Sondereinsätze. Hartmann macht den Schichtdienst seit mittlerweile über 20 Jahren: „Wir arbeiten kurz und knackig. Dafür gibt es einen relativ langen Erholungsblock.“ Als Dienstgruppenleiter nimmt er seine Vorbildfunktion sehr ernst; besonders in der Nachtschicht kann er sich daher keine Durchhänger erlauben. Damit dies nicht passiert, rät er, die Ruhezeiten unbedingt einzuhalten. Wobei es sicher am Tag von Früh- und Nachtschicht nicht immer einfach ist, zwischendurch in den Schlaf zu finden, besonders wenn der Beamte oder die Beamtin eine Familie mit Kindern hat.

Ausgewogene Ernährung und Sport machen die Sache leichter.

Nach dem Nachtdienst solle man möglichst zügig in den normalen „Tagmodus“ umschalten. Weiter empfiehlt Hartmann eine ausgewogene Ernährung, die zur Tageszeit passen sollte. Sport gehört unbedingt dazu. Als Polizist ist man Wind und Wetter ausgesetzt; körperlich fit zu sein, hilft dabei, das Immunsystem zu stärken, wie er aus eigener Erfahrung bestätigen kann: „Seit ich regelmäßig Sport mache, hatte ich kaum Krankheitstage.“ Allerdings kann es trotz allem ziemlich anstrengend werden, wenn aus irgendwelchen Gründen Zusatzdienst geleistet und beispielsweise zwei Nachtdienste hintereinander verrichtet werden müssen.

Die Erkenntnisse der Befragten decken sich mit Empfehlungen der Krankenkassen, besonders in Bezug auf sportlichen Ausgleich, gesunde Ernährung und Einhaltung von Ruhezeiten. Um die Arbeitnehmer im Schichtbetrieb möglichst wenig zu belasten, schlägt Frank Brenscheidt, Arbeitszeitexperte bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, vor, anstelle von wöchentlichen Schichtwechseln auf kürzere Schichtmodelle umzustellen, da besonders mehrere Nachtschichten hintereinander ein immer größeres Erholungsdefizit bedeuten: „Das Schichtsystem sollte vorwärtsrotieren, also im Uhrzeigersinn. Wir empfehlen zwei Schichten in der Früh, zwei spät, zwei nachts und dann am besten vier Tage frei. (...) Menschen in Schichtarbeit sollten eigentlich keine 40 Stunden in der Woche arbeiten. (...) Deshalb müssten die Arbeitgeber die Löhne erhöhen und gleichzeitig mehr Personal einstellen.“ Doch: „Das alles kostet Geld. Es handelt sich also um die klassische Abwägung: Wirtschaftlichkeit gegen Menschlichkeit.“

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Erstellt:
11. Dezember 2020, 06:00 Uhr

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