„Anne Will“ über Gaskrise

Arbeitgeberpräsident warnt vor hoher Arbeitslosigkeit

In der Talkshow mit Anne Will sieht Rainer Dulger große Probleme auf Deutschland zukommen, wenn der Wirtschaft das Gas abgestellt werden würde. Eine neue Studie zeigt auf, wie man den sozial schwächeren Menschen bei den Gaspreisen helfen könnte.

BDA-Präsident Rainer Dulger sieht Deutschland in der „größten Krise, das das Land je hatte“.

© dpa/Bernd Weißbrod

BDA-Präsident Rainer Dulger sieht Deutschland in der „größten Krise, das das Land je hatte“.

Von Thomas Faltin

Es war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der vor kurzem ein Schreckgespenst an die Wand malte: Auch die Bürgerinnen und Bürger müssten einen Beitrag leisten, wenn im Winter das Gas knapp werden würde, sagte er etwas nebulös. Heißt das, fragte die Moderatorin Anne Will in ihrer Talkshow am Sonntagabend (17. Juli 2022) ihre Gäste, dass viele Menschen im Winter in kalten Wohnungen sitzen könnten?

Das wies die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang in der Sendung zurück: Nach EU-Recht müssten bevorzugt die Haushalte bedient werden, und daran habe sich nichts geändert, sagte sie. Aber natürlich würden die Menschen indirekt betroffen sein, wenn Unternehmen nicht mehr mit Gas beliefert würden und deshalb nicht mehr produzieren könnten: „Das wird zu Arbeitsplatzverlust führen, und das wird die Menschen hart treffen“, so Lang. Deshalb gelte es, genau das zu verhindern.

Rainer Dulger: Wir werden einen vernünftigen Kompromiss finden

Auch Rainer Dulger, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), hieb in diese Kerbe. Deutschland befinde sich in der „größten Krise, die das Land je hatte“. Die Unternehmen wüssten nicht, welchen Brand sie zuerst löschen sollten. In einer solchen Lage das Gas abzustellen oder auch Lohnerhöhungen von acht Prozent zu fordern, sei gefährlich.

Zudem hätten andere Länder in der Welt keinen Gasmangel und könnten deshalb Deutschland im Wettbewerb überholen. Alles zusammen könne im schlimmsten Fall zu hoher Arbeitslosigkeit führen. Seiner Meinung nach dürfe es deshalb weder stillstehende Fabriken noch kalte Wohnungen geben: „Und wir werden auch einen vernünftigen Kompromiss finden, Deutschland war in der Krise schon immer gut im Finden guter Lösungen.“

Jens Spahn, der frühere CDU-Gesundheitsminister und stellvertretende Vorsitzende seiner Fraktion im Bundestag, kritisierte die Bundesregierung, dass sie noch immer keine Entscheidungen getroffen habe, wie man einen drohenden Gasmangel noch verhindern könnte und wie man sozial schwächeren Menschen im Notfall helfen könnte.

Ricarda Lang: Entlastungspakete werden nicht ausreichen

Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hatte im Auftrag der Diakonie untersucht, wie man soziale Härten abfedern könnte. Sein Vorschlag: Empfänger von Grundsicherung sollten ein halbes Jahr lang monatlich 100 Euro mehr erhalten; möglichst sollte diese Unterstützung auch auf weitere Bevölkerungsgruppen wie Studenten oder Rentner ausgeweitet werden, die mit wenig Einkommen auskommen müssten und keine Ersparnisse hätten.

Tatsächlich fragte Anne Will die Grünen-Vorsitzende Lang, worauf die Regierung eigentlich warte, um den Menschen unter die Arme zu greifen. Ricarda Lang verwies auf die beiden Entlastungspakete mit Neun-Euro-Ticket oder Tankrabatt – zugleich räumte sie aber ein, dass diese für den Winter nicht ausreichen würden. Grundsätzlich hielt sie sich aber bedeckt: Man werde das intern in der Koalition diskutieren und nicht über die Medien austragen, sagte sie.

Jens Spahn: Atomkraftwerke länger laufen lassen

Es lägen ja aber mehrere Vorschläge auf dem Tisch, neben der Idee der Diakonie etwa auch ein Moratorium für die Kündigung von Gasverträgen, wenn die Abschläge nicht bezahlt würden. Jens Spahn brachte den Vorschlag ein, zumindest für sozial schwächere Menschen einen Basistarif für eine bestimmte durchschnittliche Energiemenge einzuführen, damit die Grundversorgung gesichert sei. Daneben könnte eine Senkung der Einkommens- sowie der Stromsteuer helfen, sagte der Ex-Minister.

Daneben mahnte Spahn, dass schnell Vorkehrungen getroffen werden, um einen Gasmangel womöglich noch zu verhindern. Er brachte erneut eine verlängerte Laufzeit der letzten drei deutschen Atomkraftwerke ins Spiel. Er wisse von Betreibern, dass neue Brennstäbe besorgt werden könnten und dass sie auch die Risiken übernehmen würden. Da immer noch 15 Prozent des deutschen Stroms in Gaskraftwerken hergestellt würden, könnte die Atomkraft für eine gewisse Übergangszeit helfen.

Neuer Strom-Stresstest angekündigt

Ricarda Lang warf Spahn dagegen mangelnde Ernsthaftigkeit vor. Die Kernkraftwerke würden nicht helfen, Gas zu sparen – dies sei leider nur bei Kohlekraftwerken der Fall, weil diese vor allem für die Spitzenlast genutzt würden. Das sei so, schmerze sie aus Klimaschutzgründen aber sehr. Daneben gebe es viele gute Gründe, die Kernkraftwerke nicht weiter zu betreiben: Es bestehe ein Haftungsrisiko, man müsste zahlreiche Sicherheitsprüfungen nachholen, und es bestehe die Gefahr von juristischen Klagen. Zudem sei nach heutigem Stand gar kein Strommangel zu erwarten.

Die Grünen-Vorsitzende kündigte aber an, dass es einen neuen bundesweiten Strom-Stresstest geben werden, in dem zum Beispiel auch unterstellt werde, dass das Ausland keinen Strom mehr liefere. Sollte sich dann herausstellen, dass zu wenig Strom vorhanden sei, werde man über alle Lösungen nochmals nachdenken. Jens Spahn wertete das als erste Aussage der Grünen, ihre kategorische Meinung zur Abschaltung der Kernkraftwerke zu überdenken. Ricarda Lang wollte das aber so nicht verstanden wissen: Es gebe viele andere Maßnahmen, die davor kämen.

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Erstellt:
18. Juli 2022, 10:44 Uhr

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