Arbeitsmarkt wird bis zu drei Jahre mit Corona kämpfen

dpa Nürnberg. Die ganzen Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt sind noch nicht einmal in vollem Ausmaß zu sehen. Dass die Erholung lange dauern wird, ist aber jetzt schon klar.

Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, Detlef Scheele, spricht vor Journalisten. Foto: Christoph Soeder/dpa

Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, Detlef Scheele, spricht vor Journalisten. Foto: Christoph Soeder/dpa

Der deutsche Arbeitsmarkt wird bis zu drei Jahre brauchen, um sich von der Corona-Krise zu erholen. „Bis wir wieder auf Normalmaß sind, das wird sicherlich bis 2022 oder 2023 dauern“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, Detlef Scheele.

„Aber wir glauben, dass das wieder gelingen kann.“ Aktuell sind in Deutschland 2,85 Millionen Menschen ohne Job, fast 640.000 davon als Folge der Pandemie. Scheele rechnet für Sommer mit einer noch etwas höheren Arbeitslosigkeit, die auch saisonal üblich ist. Die Zahl werde aber im Juli oder August nach derzeitigen Schätzungen nicht die Grenze von drei Millionen überspringen.

Die jetzige Krise sei virusbedingt und kaum konjunkturell oder strukturell verursacht. Deswegen sei es möglich, dass eine Erholung eintrete, wenn grundlegende Faktoren sich in die richtige Richtung bewegten. „Zur Zeit gehen wir von einem Abschwung aus, der vorrangig durch die Auswirkungen der Pandemie begründet ist. Der Arbeitsmarkt war ja in guter Verfassung“, sagte Scheele.

Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund, forderte eine Verlängerung der Kurzarbeiterregelung, um die Krise über einen längeren Zeitraum abzufedern. „Eine Erholung der Wirtschaft bei uns ist auch von der Entwicklung der Weltwirtschaft abhängig und von Deutschland aus nur begrenzt beeinflussbar“, betonte sie. Im internationalen Vergleich stehe die Bundesrepublik dennoch gut da. Dank kluger Vereinbarungen der Sozialpartner wirke das Instrument Kurzarbeit.

Piel verlangte Steuerzuschüsse, um die Handlungsmacht der Bundesagentur zu erhalten. „Gleichzeitig brauchen wir eine aktive Arbeitsmarktpolitik, damit sich Arbeitslosigkeit nicht verfestigt und sich der Fachkräftemangel nicht weiter verschärft“, betonte die Gewerkschafterin. Es müssten genug Mittel für Weiterbildung zur Verfügung gestellt werden, um Menschen wieder für den Arbeitsmarkt fit zu machen.

Eine ähnliche Forderung kam aus der FDP. „Zur Zeit der größten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik Deutschland dürfen CDU, CSU und SPD nicht bei der Sicherung der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse durch die erfolgreiche Kurzarbeit stehenbleiben“, sagte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel. Entscheidend werde sein, den stärksten Einbruch der Arbeitskräftenachfrage seit Beginn der Aufzeichnung abzufangen. Die Bundesregierung müsse das Jobwachstum ankurbeln.

Anzeichen, dass aus der Kurzarbeit in großem Stil Entlassungen folgen und sich möglicherweise sogar eine Insolvenzwelle anschließen könnte, seien zur Zeit nicht erkennbar, meint Scheele. „Die Kurzarbeit wirkt, wir sehen momentan keine Anzeichen für eine größere Entlassungswelle.“

Allerdings: Das Sterben kleiner Gaststätten oder Kultureinrichtungen bekomme die Arbeitsagentur im Zweifel gar nicht mit. Gleichzeitig bleibe es aber wichtig, den weiter in vielen Berufszweigen vorherrschenden Fachkräfteengpass anzugehen. Großer Mangel herrsche etwa in der Pflege. „Da ist auch keiner arbeitslos geworden“, sagte Scheele. Es sei jedoch fraglich, ob sich diejenigen, die in anderen Branchen arbeitslos geworden seien, sich für die Pflege eigneten. Einen automatischen Ausgleich werde es da nicht geben können.

„Das Fachkräfteproblem in der Pflege können wir trotz unserer vielen geförderten Qualifizierungen nicht ohne Zuwanderung lösen“, betonte der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit. Es gebe nur 40 000 zusätzliche Erwerbspersonen pro Jahr in Deutschland - daran werde sich nicht schnell etwas ändern.

© dpa-infocom, dpa:200722-99-878707/6

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Erstellt:
22. Juli 2020, 08:53 Uhr

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