Farbkunst in der Steinzeit
Archäologen entdecken am Main ältestes Blau Europas
Archäologen haben den europaweit ältesten Beleg für die Nutzung blauer Farbe entdeckt – in der Fundstätte Mühlheim-Dietesheim am Main.

© © Izzy Wisher/Thomas Birch/Aarhus University
Echte Seltenheit: Auf einem flachen Stein identifizierten Archäologen rund 13.000 Jahre alte Reste des mineralischen blauen Pigments Azurit.
Von Markus Brauer
Die Jäger und Sammler des Jungpaläolithikums (der jüngere Abschnitt der eurasischen Altsteinzeit, beginnend vor rund 45.000 Jahren bis zum Ende der letzten Kaltzeit; das heißt bis zum Beginn des Holozäns vor 11.700 Jahren) bemalten ihre Körper und Gegenstände gerne mit kräftigen gelben Ocker- und dunkelroten Röteltönen.
Als der Mensch Farben für sich entdeckte
Schon vor mehr als 30.000 Jahren verstanden es die Bewohner der Schwäbischen-Alb-Region, geeignete Gesteinsbrocken zu Pulver zu verreiben und daraus mit Wasser Farbpaste herzustellen. Solche Farbpasten könnten Tübinger Archäologen zufolge auch zum Gerben von Leder und als Schutz vor Insekten verwendet worden sein.
Allein im Hohle Fels bei Schelklingen auf der Alb, sind im Laufe der Jahre mehr als 850 Ockerfarb-Artefakte gefunden worden. Seit 2017 gehört die Karsthöhle Hohle Fels zusammen mit fünf anderen Höhlen im Achtal (Sirgensteinhöhle, Geißenklösterle, Bocksteinhöhle, Hohlenstein-Stadel und Vogelherdhöhle) zu den Weltkulturerbestätten der Unesco.
Gelber und roter Ocker, auch Rötel genannt, wurden schon vor fast 50.000 Jahren in Afrika als Farbstoff und für rituelle Zwecke verwendet. Die steinzeitlichen Jäger und Sammler transportierten die Pigmente über weite Strecken, wie eine Studie der Universität Tübingen zeigt.
Doch Blau? Die Farbe des Himmels ist besonders erhaben – und als Farbpigment eher selten. Archäologen haben jetzt den europaweit ältesten Beleg für die Nutzung blauer Farbe entdeckt – in der Fundstätte Mühlheim-Dietesheim am Main.
Auf einem flachen Stein identifizierten sie rund 13.000 Jahre alte Reste des mineralischen blauen Pigments Azurit. Die winzigen Farbreste sind eine echte Seltenheit, denn weltweit gibt es kaum Zeugnisse blauer Farbnutzung aus der Altsteinzeit. Der Fund liefert nun neue Hinweise auf den Grund dafür.
Blau – besonders und rar
Die Farbe Blau galt in vielen frühen Gesellschaften als etwas Rares und deshalb Besonderes. Weil dieser Farbton in der Natur relativ selten vorkommt, sah man ihn als Farbe höherer, spiritueller Sphären. Bisher war bekannt, dass Neandertaler und frühe Vertreter des Homo sapiens verschiedene rötliche und schwarze Pigmente für ihre Malereien verwendeten. Blau findet sich in der Steinzeit-Felskunst aber nie.
Aus der Altsteinzeit ist das älteste Zeugnis für blaue Farbnutzung an einigen rund 19.000 bis 23.000 Jahren alten Figuren aus Sibirien zu finden. Der älteste jungsteinzeitliche Fund sind Reste des blauen Minerals Azurit an rund .000 Jahre alten Toten der Steinzeitsiedlung Çatalhöyük.
- Zur Info: Die in der heutigen Türkei ausgegrabene Siedlung Çatalhöyük aus der Jungsteinzeit. Sie gilt als die erste Großsiedlung der Weltgeschichte. Sie wird auf den Zeitraum zwischen 7500 und 5700 v. Chr. und ihre Blütezeit um 7000 v. Chr. datiert. Die Ansiedlung lag knapp 40 Kilometer südöstlich der heutigen Stadt Konya auf der Hochebene Anatoliens und hatte mehrere tausend Einwohner.
Fundstätte in Mühlheim-Dietesheim
Doch nun gibt es einen neuen Fund – in Deutschland. Archäologen um Izzy Wisher von der Universität Aarhus in Dänemark haben die ältesten blauen Farbreste Europas in Mühlheim-Dietesheim im Süden Hessens entdeckt. Diese Fundstätte liegt am Südufer des Mains und diente bis vor rund 13.000 Jahren als Lagerplatz für Jäger und Sammler.
Bereits in den 1970er Jahren hatten Archäologen dort einige flache Steine entdeckt, die sie wegen ihrer leicht eingesenkten Oberfläche als steinzeitliche Öllampen interpretierten.
Die Forscher haben bei der Analyse der Steine Überraschendes herausgefunden: Unter dem Mikroskop waren auf einem der Fundstücke Spuren blauer Farbe zu erkennen. Diese offenbarten sich als Reste des blauen Minerals Azurit, einem Kupfercarbonat.
„Die Präsenz dieser Mineralreste nur an der Oberfläche des Sandsteins und der Mangel an Kupfer im Rest des Steins legen nahe, dass dieses Azurit anthropogenen Ursprungs ist“, erklären die Archäologen. Wahrscheinlich blieben die Farbreste auf dem Stein zurück, als das Azurit-Mineral auf dem rauen Sandstein zermahlen wurde.
Die in Mühlheim-Dietesheim entdeckten Azurit-Reste sind damit das älteste Zeugnis blauer Farbnutzung in Europa. Sie werfen ein ganz neues Licht auf die Farbvorlieben der Menschen in der Altsteinzeit. Denn der Fund belegt, dass die Menschen auch vor 13.000 Jahren schon blaue Pigmente kannten und nutzten.
Keine blaue Farbe zum Bemalen von Felshöhlen
In der steinzeitlichen Felskunst ist die blaue Farbe offenbar nicht verwedent worden. Forscher vermuten, dass rote und schwarze Pigmentrohstoffe häufiger vorkamen als blaue Pigmente.
„Die Präsenz des Azurits belegt jedoch, dass auch die Menschen der Altsteinzeit schon über ein tiefes Wissen zu Mineralpigmenten verfügten. Sie verwendeten eine größere Farbpalette als wir bisher dachten“, erklärt Wisher. „Möglicherweise waren sie aber wählerisch darin, wofür sie die verschiedenen Farben verwendeten.“
Blaue Farbreste nur an Skeletten gefunden
Die steinzeitlichen Künstler könnten demzufolge Rot, Schwarz und Erdtöne für das Bemaln von Felsen verwendet haben. „Das Azurit blieb dagegen vielleicht auf Nutzungen beschränkt, die sich nicht gut halten“, heißt es in der Studie. Die blaue Farbe hingene könnte ausschließlich für den Körper und zum Färben von Textilien eingesetze worden sein.
Blaue Farbreste wurden in Çatalhöyük nur an Skeletten gefunden, nicht aber in den Wandbildern der Steinzeitsiedlung. „Angesichts unserer Ergebnisse sollten wir die Farbnutzung in der oberen Altsteinzeit noch einmal kritisch überdenken und ermitteln, warum bestimmte Farbtöne für bestimmte Kunstformen genutzt oder eben nicht genutzt wurden“, resümieren die Forscher.